Brasiliens demokratische Reifeprüfung
18. März 2015Nach den Massenprotesten in Brasilien hat Dilma Rousseff angekündigt, die Korruption im Land stärker zu bekämpfen. "Wir sind auf dem richtigen Weg", erklärte die Staatspräsidentin in einer nationalen Fernsehansprache. Sie widersprach ihren Kritikern: "Die Korruption hat nicht zugenommen. Sie wird hierzulande nur nicht mehr unter den Teppich gekehrt."
Doch viele Brasilianer misstrauen jeder Ankündigung ihrer Präsidentin und ihrer linken Regierungspartei PT. Schließlich berichten die Medien im größten Land Lateinamerikas nahezu täglich von neuen Korruptionsskandalen innerhalb der politischen Elite.
Nun will die brasilianische Regierung - wieder einmal - den Kampf gegen die allgemein grassierende Bestechlichkeit verschärfen. Ein neuer Gesetzentwurf, der noch in dieser Woche dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden soll, sieht eine strengere Bestrafung für die unrechtmäßige Bereicherung von Staatsdienern sowie bei illegaler Parteienfinanzierung vor.
Rousseff im Umfragetief
Brasilien wird zurzeit von einer Welle politischer Proteste erschüttert. Am vergangenen Sonntag waren rund 1,5 Millionen Menschen in verschiedenen Landeshauptstädten auf die Straße gegangen, um den Rücktritt von Dilma Rousseff zu fordern. Viele verdächtigen die Präsidentin, an dem Korruptionsskandal im staatlichen Mineralölkonzern Petrobras beteiligt zu sein. Vor allem aber sind sie unzufrieden mit der Arbeiterpartei PT.
Nach der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha bewerten 62 Prozent der brasilianischen Bevölkerung die Amtsführung von Präsidentin Rousseff als "schlecht" oder "unzureichend". Nur 13 Prozent der insgesamt 2800 Befragten sind zufrieden mit der Staatschefin, die erst im Oktober 2014 wiedergewählt worden war.
In den brasilianischen Medien tobt eine Debatte über die Rechtmäßigkeit der Rücktrittsforderungen. "Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine rechtliche Basis für ein Amtsenthebungsverfahren", stellt Eliane Brum, Kolumnistin bei der brasilianischen Ausgabe von "El País", klar. "Wahlergebnisse gelten auch für Leute, die einem politisch nicht passen. Alles andere wäre illegal."
Schlechte Verlierer, schlechte Regierung?
Brasiliens Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso von der Oppositionspartei PSDB hingegen erklärte im Radiosender "Jovem Pan FM" aus São Paulo, dass "die Präsidentin allmählich die politischen Voraussetzungen fürs Regieren verliert". Sie müsse "die Realität zur Kenntnis nehmen, sie wird von der Bevölkerung abgelehnt", kommentierte Cardoso die jüngsten Meinungsumfragen.
Bereits vor zwei Jahren, im Juni 2013, gingen Hunderttausende von Brasilianern gegen ihre Regierung auf die Straße. Schon damals richteten sich die Proteste gegen Korruption - nicht nur innerhalb der PT, sondern bei allen politischen Parteien. Unter dem Druck der Straße verabschiedete der brasilianische Kongress damals ein Gesetz, das Korruption als Kapitalverbrechen einstuft und die Strafen für Geldwäsche verschärft.
Trotz der Ankündigungen, den Kampf gegen Korruption zu verschärfen, geraten die regierende Arbeiterpartei und ihre politischen Verbündeten immer stärker unter Druck. Jüngster Beschuldigter im Korruptionsskandal um den staatlichen Ölkonzern Petrobras ist der Schatzmeister der regierenden Arbeiterpartei, João Vaccari: Gegen ihn erhob die Staatsanwaltschaft am Montag Anklage wegen Bestechung und Geldwäsche.
Reinemachen im Kongress
Auch im brasilianischen Kongress befinden sich zahlreiche Politiker, gegen die vom Obersten Gerichtshof (STF) wegen Korruptionsverdachts im Fall Petrobras ermittelt wird. Zu den insgesamt 34 Verdächtigen gehören unter anderem der Senatspräsident Renan Calheiros sowie der Parlamentsvorsitzende Eduardo Cunha, beide Abgeordnete der konservativen Partei PMDB, die zur regierenden Koalition gehört.
Carlos Ayres Britto, ehemaliger Präsident des Obersten Gerichtshofs, glaubt nicht, dass die Massenproteste zum Rücktritt von Präsidentin Rousseff führen. Auch die von einigen Demonstranten geforderte "militärische Intervention" hält der Richter für utopisch.
Britto hatte 2012 bei dem aufsehenerregenden Prozess "Mensalão" mitgewirkt, bei dem erstmals 24 hochrangige Regierungsmitglieder zu Haftstrafen verurteilt worden waren. Diese hatten Kongressabgeordnete mit monatlichen Überweisungen bestochen, um die Zustimmung zu den Gesetzentwürfen der Regierung zu sichern.
"Es handelt sich um eine Welle der Unzufriedenheit mit unserem traditionell korrupten politischen System", erklärte Britto vor der brasilianischen Presse. Die Leute seien ohne den Aufruf von Parteien oder einzelnen Politikern auf die Straße gegangen. Britto gibt sich optimistisch: "30 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur funktioniert die brasilianische Demokratie mit Volldampf."