Brummendes Verlustgeschäft
19. August 20182017 dominierte erstmals Streaming den weltweiten Musikmarkt. Mit 38 Prozent des Gesamtumsatzes bescherte es der Musikindustrie höhere Einnahmen als kostenpflichtige Downloads oder der Verkauf von physischen Datenträgern wie CDs. Der Siegeszug der Technologie, die eine unmittelbare Wiedergabe von Musik aus dem Internet ermöglicht, ohne eine digitale Kopie des wiedergegebenen Stückes herunterzuladen, begann 2008, als der heutige Marktführer Spotify seinen Dienst startete. Darüber haben Nutzer Zugriff auf rund 30 Millionen Musikstücke. Das Basis-Angebot ist kostenlos und werbefinanziert. Über ein kostenpflichtiges, werbefreies Abonnement lassen sich zusätzliche Funktionen freischalten.
Afrika hinkt hinterher
Nach eigenen Abgaben hat Spotify inzwischen 180 Millionen Nutzer, darunter 83 Millionen zahlende Kunden. Doch in Afrika hat sich Streaming noch nicht durchgesetzt - auch, weil die Musikindustrie insgesamt einen schweren Stand hat. "Es gibt in den meisten Ländern Afrikas eine lebendige Musikszene", sagt David Price vom Weltverband der Musikindustrie (IFPI) im DW-Interview, "aber die Umsätze in diesen Ländern sind recht gering". Denn wenn in Afrika für Musik bezahlt wird, geht das Geld oft an Raubkopierer und nicht an die Produzenten. Angesichts der schwachen Umsetzung des Urheberrechts setzen viele Musiker für ihren Lebensunterhalt vor allem auf Konzerte.
Südafrika ist mit seiner hoch entwickelten Musikindustrie eine Ausnahme auf dem Kontinent. So war es 2015 das einzige afrikanische Land, in dem Spotifys großer Herausforderer Apple Music von Anfang an verfügbar war. Mittlerweile hat der US-amerikanische Technologiegigant seinen Musik-Streaming-Dienst auf mehr als zehn weitere afrikanische Länder ausgeweitet. Auch der schwedische Marktführer Spotify hat im März sein Geschäft in Südafrika aufgenommen. Afrikanische Unternehmen wie Simfy Africa, Spinlet, Iroking oder Mdundo versuchen sich schon länger an den lokalen Märkten, ohne jedoch hohe Nutzerzahlen zu erreichen. Andere Anbieter wie Kleek - eine Kooperation des Technologiekonzerns Samsung und des weltgrößten Musiklabels Universal - haben den Betrieb schon wieder eingestellt.
Teures Datenvolumen
Die größte Herausforderung ihres Geschäfts seien die hohen Kosten für Datenvolumen, sagt Gillian Ezra im DW-Interview. Sie ist Afrika-Chefin des französischen Anbieters Deezer, der in fast allen Ländern des Kontinents verfügbar ist. Nach Angaben der Organisation "Alliance for Affordable Internet" kostet ein Gigabyte Datenvolumen einen Südafrikaner 2,35 Prozent des Monatseinkommens, einen Kenianer 4,33 Prozent und einen Ivorer sogar 6,36 Prozent. Die zweitgrößte Herausforderung sei die Rechnungsstellung in Gesellschaften, in denen viele Menschen weiterhin kein Bankkonto hätten, sagt Ezra. Die dritte Herausforderung sei der Zugang zu lokaler Musik, da viele Künstler außerhalb Südafrikas nicht mit Plattenfirmen zusammenarbeiteten. Dementsprechend schwierig sei es, sie zu entdecken und unter Vertrag zu nehmen.
Für Afrika haben die Musik-Streaming-Dienste ihr Angebot angepasst: Ein Monat werbefreies Musik-Streaming kostet bei Spotify, Apple oder Deezer umgerechnet etwa 3,65 Euro - weniger als die Hälfte dessen, was Nutzer in Europa oder Amerika zahlen. Für Kunden ohne Bankkonto gibt es im Supermarkt Prepaid-Karten. Deezer hat für Afrika sein Anmeldeverfahren umgestellt: Statt Email und Passwort kommen hier die Handynummer und ein SMS-Code zum Einsatz. Außerdem beschäftigt das Unternehmen Musikredakteure, die daran arbeiten, afrikanische Musik verfügbar zu machen, die es bei den Wettbewerbern nicht gibt.
Kooperationen als Schlüssel
Ein möglicher Weg, um den hohen Datenkosten zu begegnen, ist die Kooperation der Streaming-Dienste mit Mobilfunkunternehmen. Denn diese haben die Möglichkeit, kostenlose oder vergünstigte Datenpakete für die Nutzung eines Musik-Streaming-Dienstes anzubieten. "Solche Datenbrücken könnten absolut der Schlüssel dazu sein, die Streaming-Dienste in Afrika zu etablieren", sagt Musikindustrie-Experte Price. Doch manche Mobilfunkbetreiber setzen lieber auf eigene Produkte: Im Februar startete das kenianische Safaricom seine Streaming-Plattform Songa. Im April gab der südafrikanische Telekommunikationsriese MTN bekannt, sich für Nigeria die Streaming-Rechte am Katalog des Sony-Musiklabels gesichert zu haben.
Der afrikanische Streaming-Markt ist in Bewegung, denn keiner möchte einen möglichen Boom verpassen. Auch der in Afrika erfolgreichste Smartphone-Hersteller Trassion Holdings betreibt mit Boomplay seinen eigenen Streaming-Dienst. Pro Jahr verkaufen die Chinesen auf dem Kontinent schätzungsweise 100 Millionen Telefone der Marken Tecno, Itel und Infinix. Auf vielen von ihnen ist Boomplay inzwischen vorinstalliert. Im Juli meldete Boomplay, auf mehr als zehn Millionen Android-Smartphones installiert worden zu sein. Anfang August wurde die nigerianische Sängerin Simi die erste, deren Album die Grenze von einer Million Streams auf Boomplay durchbrach.
Afrikas nächster Technologie-Sprung
Doch das Streaming-Geschäft - in Afrika und anderswo - hat einen Haken: Bisher erwirtschaften die Großen der Branche keine Gewinne. Spotify machte laut dem jüngsten Jahresbericht bei rund drei Milliarden Euro Umsatz mehr als 500 Millionen Euro Verlust. Deezer soll bei 300 Millionen Euro Umsatz 60 Millionen Verlust machen. Umso riskanter erscheint die Wette darauf, dass das Musikgeschäft in Afrika mit der neuen Technologie aufblüht.
Erfahrungen aus Asien und Lateinamerika hätten jedoch gezeigt, dass Streaming für die Musikindustrie ein Weg sein könne, neue Kunden zu gewinnen, sagt Branchenkenner Price. In Ländern mit geringer Kaufkraft seien CDs vielen Menschen zu teuer - und damit eine Barriere beim Zugang zu lizensierter Musik. Mit einem Telefon und einer Internetverbindung hätten diese Menschen plötzlich Zugang zu einem riesigen Musikarchiv. Und auch afrikanische Künstler, die bisher auf die Raubkopierer angewiesen waren, um Bekanntheit zu erlangen, hätten über Streaming-Anbieter einen neuen Weg in die Öffentlichkeit.
Musik-Streaming könnte also ein weiteres Beispiel werden für das sogenannte Leap-Frogging in Afrika. Schon bei der Verbreitung des Internets übersprang der Kontinent die Festnetz-Verbindungen weitgehend - und ging von Anfang an mobil online. Zahlreiche Afrikaner, die zuvor keine Bankkonten besaßen, gingen vom Bargeld direkt zum Bezahlen per Smartphone über. David Price vom Weltverband der Musikindustrie glaubt, dass Entwickler auf dem Kontinent ihre eigene Lösungen finden könnten: "Der Musikkonsum ist in jedem Land unterschiedlich. Afrika ist kulturell, sprachlich und musikalisch so divers, dass seine Streaming-Produkte ganz anders sein könnten als wir sie bisher gekannt haben."