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Vor der Ausreise steht die Bürokratie

Waslat Hasrat-Nazimi / Sven Pöhle21. Oktober 2013

Übersetzer, Köche, Wachleute: Rund 1200 Afghanen arbeiten für die Bundeswehr. Nach dem Abzug der Truppen befürchten sie Racheakte der Taliban. Deutschland bietet ihnen die Aufnahme an, doch es gibt hohe Hürden.

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Ein Arbeiter im Bundeswehrdistrikt Chahar Dareh in Nordafghanistan. (Foto: picture alliance / JOKER)
Bild: picture-alliance/Joker

Safiullah Sahel lebte im nordafghanischen Kundus in ständiger Angst. "Hätten sie mich gefunden, hätten sie mich wahrscheinlich vor meiner Tür ermordet", sagt Sahel. Mit "sie" meint er lokale Aufständische und Taliban, deren Racheakte er nach dem Abzug der Bundeswehr aus Kundus fürchtete.

Wer wie Sahel für die Deutschen in Afghanistan arbeitet, ist aus ihrer Sicht ein Verräter. "In Kundus haben sie den Ortskräften hinterher spioniert und ihnen aufgelauert", erzählt Sahel, der seit 2006 auf der Gehaltsliste deutscher Behörden steht. "Aber ich habe immer aufgepasst und nie jemandem gesagt, wo ich hingehe, nicht mal meiner Familie."

Zu Spitzenzeiten arbeiteten rund 1500 afghanische Ortskräfte für deutsche Institutionen. Die Einheimischen sind vor allem für die Bundeswehr, zum Beispiel als Übersetzer, Fahrer, Köche oder Wachmänner tätig. Viele von ihnen werden für die Zusammenarbeit von Aufständischen und Taliban bedroht und fürchten daher den endgültigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan Ende 2014.

Hilfszusagen für die Ortskräfte

Die Bundesregierung hat zugesagt, die Helfer nach Deutschland zu holen, wenn sie in Afghanistan konkret gefährdet sind. "Wir lassen niemanden im Stich", sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). "Die Menschen, die uns geholfen haben und jetzt deswegen gefährdet sind, kommen selbstverständlich nach Deutschland."

Ein Bundeswehrsoldat führt eine Gruppe einheimischer Arbeiter zu einem Arbeitseinsatz im deutschen Feldlager "Camp Warehouse" in Kabul (Foto: dpa/picture alliance)
Rund 1200 Ortskräfte arbeiten noch für die Bundeswehr in AfghanistanBild: picture-alliance/dpa

Der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, kritisiert den Umgang der Bundesregierung mit den Ortskräften. Vielen sei lange gar nicht bekannt gewesen, dass sie nach Deutschland kommen könnten. Zudem sei das Verfahren nicht transparent und zu bürokratisch, bemängelt er: "Die Überprüfungszeiten sind sehr lang und im Zweifelsfall wird gegen diese Leute entschieden."

Dreistufiges Aufnahmeverfahren

Die Bundesregierung prüft jeden Fall einzeln. Wer nach Deutschland will, muss sich zunächst an seinen örtlichen Vorgesetzten wenden und eine Gefahr für sich selbst oder seine Familie nachweisen, sagt Brigadegeneral Michael Vetter, der im Stab des Regionalkommandos Nord der ISAF-Schutztruppe für die Ortskräfte zuständig ist.

Vetter leitet das Gremium, das in der Folge darüber entscheidet, ob die Person tatsächlich in Gefahr ist. In diesem Gremium sitzen unter anderem Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Bundesinnenministeriums und des Verteidigungsministeriums. Das Gremium bewertet den Fall anhand eines geheimen Kriterienkatalogs und spricht dann eine Empfehlung aus. Allen Mitarbeitern, für die eine "konkrete" oder "latente" Gefährdung vorliege, werde die Ausreise in Aussicht gestellt, sagt Vetter.

Etwa 30-40 Übersetzer haben sich am 14.05.2013 vor dem PRT-Lager in Kundus versammelt um auf ihre geäfhrliche Situation aufmerksam zu machen. (Foto: Yama Sherzad/DW)
Fühlen sich im Stich gelassen: Übersetzer der Bundeswehr protestierten im Mai 2013 in KundusBild: DW/Y.Sherzad

Falls eine Ortskraft tatsächlich nach Deutschland möchte, leitet das Gremium seine Empfehlung an das Bundesinnenministerium weiter, das letztlich über den Aufenthalt entscheidet.

Erst drei Ortskräfte sind in Deutschland eingereist

Nach Angaben von Bundeswehr und Bundesinnenministerium haben bislang 289 Afghanen Sicherheitsbedenken angemeldet. 275 dieser Fälle habe man geprüft. 173 Personen sind demnach "konkret" oder "latent" gefährdet. "23 dieser Ortskräfte haben bislang eine Aufnahmezusage für sich und ihre Familie erhalten", sagt ein Sprecher des Innenministeriums. Die restlichen 150 erhielten demnächst eine Aufnahmezusage. Sie haben den Angaben zufolge bislang noch nicht explizit um Asyl in Deutschland gebeten.

Tatsächlich eingereist seien bislang drei ehemalige Ortskräfte. Ehepartner und Kinder dürfen sie mitbringen. Alle erhalten eine Aufenthaltserlaubnis und dürfen somit auch in Deutschland arbeiten.

Umzug statt Ausreise

Der Großteil der inzwischen noch 1200 Ortskräfte ist im Feldlager Camp Marmal bei Masar-i-Sharif beschäftigt. Nach dem Abzug der internationalen Truppen 2014 wird ihre Zahl absehbar kleiner. Dann könnte den deutschen Behörden eine größere Zahl an Aufnahmeanträgen afghanischer Ortskräfte bevorstehen.

Bundeswehrsoldaten übergeben den Außenposten OP North an afghanische Sicherheitskräfte (Foto: EPA/JAWED KARGAR/ dpa)
Den Außenposten OP North und die Feldlager Kundus und Faisabad hat die Bundeswehr bereits verlassenBild: picture-alliance/dpa

Das Innenministerium ist jedoch überzeugt, dass es keine Antragswelle geben wird. "Viele der Ortskräfte wollen auch aus familiären Gründen gar nicht nach Deutschland, sondern vor allem eine Erleichterung ihrer Situation", sagt ein Sprecher. Zu einer solchen Erleichterung kann eine finanzielle Abfindung gehören, die die Dienststellen an ausscheidende Mitarbeiter zahlen. Sie richtet sich nach Verdienst und Dauer der Beschäftigung und beträgt maximal ein Jahresgehalt.

Neue Arbeit für Safiullah Sahel

Zudem helfe man den Ortskräften bei der Suche nach einer neuen Arbeit. "Generell haben wir das Ziel, zunächst mal zu schauen, ob wir für eine Ortskraft eine Weiterbeschäftigung realisieren können", sagt Brigadegeneral Vetter. Dazu habe man beispielsweise Mitarbeiter aus Kundus nach dem Abzug der Bundeswehr in Masar-i-Sharif untergebracht. Außerdem sei von deutscher Seite eine Jobbörse geschaffen worden, die ihnen Stellen in der Entwicklungszusammenarbeit vermitteln soll.

Safiullah Sahel hat ein neues Jobangebot der Deutschen angenommen. Er arbeitet inzwischen im deutschen Konsulat in Masar-i-Sharif als Büroangestellter. Neben dem Umzug, der ihn von seiner Familie getrennt hat, sieht er ein weiteres Problem: "Unseren Landsmännern gegenüber haben wir unser Gesicht verloren, denn sie denken, dass nur die, die gut gearbeitet haben auch mitgenommen werden."