"Ich kämpfe gegen Janukowitsch"
9. Januar 2014Die ukrainische Journalistin Tetiana Chornovol, die für die oppositionelle Online-Zeitung "Ukrainska Pravda" arbeitet, wurde in der Nacht auf den 25. Dezember überfallen. Sie berichtete, von Unbekannten im Auto verfolgt und dann von einem Geländewagen von der Straße gedrängt worden zu sein. Anschließend habe sie angehalten und habe versucht zu fliehen. Die beiden Verfolger hätten sie aber eingeholt und verprügelt. Mit einem Nasenbeinbruch, einer Gehirnerschütterung und mehreren Blutergüssen lag sie danach schwer verletzt im Krankenhaus. Es wird vermutet, dass der Angriff auf die Journalistin politisch motiviert ist. Bislang ist die Tat noch nicht aufgeklärt.
Tetiana Chornovol ist bekannt für ihre Berichte über die Korruption unter Spitzenpolitikern in der Ukraine. Von ihr stammen die einzigen Aufnahmen von der prächtigen Residenz "Meschyhirja" des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Im Interview mit der Deutschen Welle äußert sie sich aus dem Krankenhaus über ihren Gesundheitszustand, ihren Recherchen über Janukowitsch und zu ihrer Vorgehensweise nach dem Überfall.
Deutsche Welle: Frau Chornovol, wie fühlen Sie sich?
Tetiana Chornovol: Mehr oder weniger normal. Das Wichtigste ist, dass mein Gehirn nicht zu schwer verletzt ist. Die Ärzte haben mir gesagt, dass es sich wieder vollständig erholen wird.
In einem Interview haben Sie dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch faktisch vorgeworfen, den Überfall auf Sie "bestellt" zu haben. Warum glauben Sie das?
Die letzten drei Jahre habe ich mich nicht als Journalistin gesehen, sondern als Kämpferin gegen Viktor Janukowitsch. Ich habe viel journalistisch recherchiert. Es hat sich so ergeben, dass ich zum Pionier der Enthüllungen über seine Residenzen geworden bin, zum Beispiel der in Meschyhirja bei Kiew. Mir ist es gelungen, von dem Bau eines riesigen neuen Anwesens der Janukowitsch-Familie am Aya-Kap auf der Krim sowie von dem Bau einer weiteren Residenz in Kontscha-Saspa nahe Kiew zu erfahren, einer noch größeren als in Meschyhirja. Das Material darüber wird zur Veröffentlichung vorbereitet.
Sie verfügen also über weiteres "brisantes" Material?
Ja. Der Luxus, der dort entsteht, ist unnormal. Was das Anwesen am Aya-Kap angeht, so habe ich im Sommer 2013 Baupläne des Gebäudes veröffentlicht. Janukowitsch hat große Angst um seine Sicherheit. Die Offenlegung der Pläne seiner Residenz ist für ihn ein ziemlicher Schlag. Was die weitere Residenz bei Kiew betrifft, so ist es mir gelungen, an die Pläne der Leitungs- und Lüftungsschächte sowie der Wasserversorgung und Kanalisation zu kommen. Jeder Sicherheitsdienst wird Ihnen sagen, dass wenn diese Pläne an die Öffentlichkeit gelangen, man alles umbauen muss.
Wie sind Sie an die Pläne gekommen?
Das war noch vor den Protesten auf dem Maidan. Ich erhielt zunächst Hinweise über den Bau der Anlage. Dann ging ich auf den Markt, kaufte einen Bauarbeiterhelm und fuhr dorthin. Alles, was man braucht, habe ich einfach mit bloßen Händen mitgenommen.
Dann haben Sie die Pläne faktisch gestohlen?
Faktisch ja. Aber da sich diese Residenz in Kontscha-Saspa bei Kiew teilweise auf staatlichem Grund und Boden befindet, ist diese Residenz an sich "gestohlen". Es stellt sich hier die Frage, wer wem was gestohlen hat.
Wie Sie sagen gehen sie seit Jahren gegen Janukowitsch vor. Was hat er Ihnen getan?
Es geht nicht darum, dass er mir etwas "getan" hat. Das Wichtigste in meinem Leben ist für mich mein Land, die Ukraine als unabhängiger Staat. Unter Präsident Janukowitsch gibt es diesbezüglich gewisse Bedrohungen. Und nach den Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gibt es sogar ziemlich ernsthafte Bedrohungen für die Unabhängigkeit der Ukraine.
Was denken Sie, wollte man Sie während des Überfalls töten?
Ich denke ja.
Werden Sie Präsident Janukowitsch verklagen?
Ich werde darüber nachdenken. Aber ich kann mich wohl kaum auf die Gerichte in unserem Land verlassen. Ich weiß zu gut, was die Gerichte in unserem Land bedeuten.
Die Regierung hat versprochen, diejenigen zu bestrafen, die für den Überfall auf Sie verantwortlich sind. Glauben Sie das?
Die Personen, die jetzt im Gefängnis sitzen, sind nur "Soldaten". Aber wer sind die Auftraggeber? Es gibt mehrere. Einen habe ich schon genannt. Es gibt keinen Zweifel, dass Viktor Janukowitsch etwas damit zu tun hat. Der einzige Punkt ist, ob er persönlich den Befehl gab, oder ob es einfach nur eine "Schwarze Liste" gibt, nach der man vorgeht. Es wäre sehr interessant herauszufinden, wer die Auftraggeber sind. Ich bin mir sicher, dass dies nicht die Ermittlungsbehörden tun werden. Aber die Öffentlichkeit arbeitet daran.
Fühlen Sie sich jetzt sicher?
Jetzt fühle ich mich wirklich sicher, und zwar wegen der heftigen Reaktion der Menschen auf das, was mit mir passiert ist. Dafür bin ich sehr dankbar. Mich unterstützen Journalisten, Aktivisten, Oppositionelle und einfache Menschen. Man hätte mich direkt in der Klinik verhaften können. Aber, wie ich sehe, wäre das sehr problematisch gewesen.
Weswegen hätte man Sie verhaften können?
Formale Gründe gibt es viele. Ich bin auf acht Artikel des Strafgesetzbuches gekommen, nach denen man mich anklagen könnte. Allerdings sind sie gegenwärtig formal wegen des Gesetzes über die Amnestie aller festgenommenen Demonstranten aufgehoben. Beispielsweise die "Besetzung" des Stadtrates. Aber ich betrachte das als "Befreiung" des Stadtrates, weil er in Janukowitschs Hand war. Er verhindert faktisch die Wahl eines Bürgermeisters.
Wie ist die bisherige Bilanz der Proteste auf dem Maidan?
Ich bin voller Optimismus. Die Menschen kommen auf den Unabhängigkeitsplatz und zeigen damit, dass sie bereit sind, für ihr Land zu kämpfen.
Tetiana Chornovol ist Aktivistin der proeuropäischen Protestbewegung in der Ukraine. Die Journalistin ist bekannt für ihre Berichte über Korruption und Amtsmissbrauch unter ukrainischen Spitzenpolitikern. Sie arbeitet für die oppositionelle Online-Zeitung "Ukrainska Pravda". Ende Dezember wurde die 34-Jährige überfallen und brutal zusammengeschlagen. Chornovol hat mit einem Video über ihre politische Arbeit an dem Projekt der Deutschen Welle "Alle Macht dem Volk" teilgenommen.