Ukraine: Corona-Chaos mit Leihmutterschaft
25. Mai 2020"Wir sind sehr glücklich, endlich ein eigenes Kind zu haben. Wir sind total verliebt." Julia und Peter, ein Ehepaar aus Deutschland, freuen sich über das Anfang Mai von einer ukrainischen Leihmutter geborene Mädchen. Sie habe jahrelang von einem eigenen Kind geträumt, doch alle Versuche schlugen fehl, erzählt Julia der DW. Das Paar wohnt derzeit in einem Gebäudekomplex am tristen Stadtrand der Hauptstadt Kiew, das von der privaten Klinik BioTexCom "Hotel" genannt wird und eine Art Gästehaus für Kunden ist. Der Bau hinter einer Betonmauer mit Stacheldraht sorgt weltweit für Schlagzeilen. Hintergrund ist ein von der Klinik als Hilferuf verbreitetes Video, in dem 46 Babys gezeigt werden, die für meist westliche Paare auf Ausreise warten. Die wegen der Corona-Pandemie geschlossenen Grenzen machen es fast unmöglich.
Personal schickt Videos an Eltern im Ausland
Im Innenhof des "Hotels" wehen Fahnen der Länder, aus denen Kunden der Klinik stammen: China, Spanien, Schweden, Italien. Auch die deutsche Flagge ist dabei. Wer hinein will, muss Maske und Handschuhe tragen. In den Räumen sieht es teuer und kitschig aus: altmodische Möbel, stuckverzierte Decken.
Julia und Peter, beide Mitte Dreißig, heißen in Wirklichkeit anders. Sie möchten anonym bleiben, auch weil Leihmutterschaft zu Hause in Deutschland verboten ist. Das Paar hatte Glück und konnte kurz vor der Grenzschließung in die Ukraine einreisen. "Wir haben sofort Tickets gekauft und sind hierhergeflogen. Und dann haben zwei Monate lang hier im Hotel auf unsere Tochter gewartet", sagt Julia. Die meisten anderen Paare können ihren Nachwuchs nur auf Fotos und Videos sehen, die das Personal verschickt. "Mein Herz ist kaputt. Gerade die ersten Wochen sind so wichtig für die Bindung zwischen Mama und Baby", sagt Julia.
Ungezählte Babys für ausländische Paare
Anders als in vielen westlichen Ländern ist Leihmutterschaft in der Ukraine legal und ein lukratives Geschäft. Dutzende Agenturen bieten ihre Dienste an. Wie viele Babys landesweit wegen der Pandemie nicht mit ihren Wunscheltern nach Hause fahren dürfen, ist unklar. Zuständige Ministerien haben Fragen der DW dazu nicht beantwortet. Die Menschenrechtsbeauftragte im Parlament, Ljudmyla Denysowa, sprach gegenüber der DW von mehr als 100 Babys. Diese Zahl sei jedoch inoffiziell und wachse weiter.
In Umständen sich diejenigen Neugeborenen befinden, die nicht in großen Kliniken wie BioTexCom zur Welt gekommen sind, wird vom Staat offenbar nicht kontrolliert. "Es reicht, dass ihre Wunscheltern wissen, wo sie sind", sagt dazu Denysowa. Dabei gibt es Hinweise, wonach einige Babys in angemieteten Wohnungen untergebracht und von Babysittern statt vom medizinischen Personal versorgt werden. "Alles hängt von den Agenturen ab. Es war schwierig in dieser (Corona)-Zeit, qualifiziertes Personal zu finden", erklärt Serhij Antonow, Direktor des Zentrums für Reproduktionsmedizinrecht, einer privaten Kiewer Firma. Bedingungen und Betreuung seien unterschiedlich. Zumindest einige Agenturen arbeiten möglicherweise illegal. "Niemand kontrolliert sie, sie zahlen keine Steuern", so Antonow, der bei der Agenturauswahl zur Vorsicht rät.
In Deutschland verboten, in der Ukraine erlaubt
Um trotz Quarantäne in die Ukraine einzureisen, etwa mit einem Charterflug, brauchen ausländische Paare eine Sondererlaubnis des Außenministeriums in Kiew. Dafür gibt es zwei Wege. Die meisten versuchen es über die Botschaft ihres Heimatlandes - und das dauert Wochen, auch wegen Corona. Der schnellere Weg laufe über ihr Büro, so die Menschenrechtsbeauftragte Denysowa. Doch offenbar kennen nur wenige Paare diese Möglichkeit.
Bei der Heimreise sind Paare auf Botschaftshilfe angewiesen, denn sie bekommen erst dort Ausreisepapiere für das Kind. "Dem Auswärtigen Amt ist die Problematik bewusst", teilte ein Sprecher auf DW-Anfrage mit. Die Botschaft in Kiew stehe trotz Corona-Einschränkungen bereit, "um betroffene Familien zu unterstützen und eine Ausreise der neugeborenen Kinder zu ihren Familien in Deutschland zu ermöglichen."
Die Schwierigkeit liegt in rechtlichen Unterschieden. In der Ukraine werden die Wunscheltern, deren Kinder von Leihmüttern ausgetragen werden, in die Geburtsurkunde eingetragen. Das wird jedoch in Deutschland nicht anerkannt. Leihmutterschaft ist in der Bundesrepublik aus ethischen Gründen verboten. "Nach deutschem Recht kann eine Mutterschaft nur durch die Geburt eines Kindes begründet werden", erklärt Marko Oldenburger, Fachanwalt für Familienrecht von der Hamburger Kanzlei "Rose & Partner", gegenüber der DW. "Danach wird also die ukrainische Leihmutter mit sogenannten Statusrechten versehen, nicht aber die deutsche Wunschmutter." Bei der Vaterschaft sei das anders. "Wenn das Kind vom Wunschvater abstammt, dessen Samen für die künstliche Befruchtung verwendet wird, kann dessen Vaterschaft - auch vor der Geburt - mit Zustimmung der Leihmutter anerkannt und bestätigt werden." Das Kind würde dann die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen und dürfte ausreisen. Zu Hause in Deutschland muss dann die deutsche Wunschmutter das Kind adoptieren.
Aufrufe zum Verbot von Leihmutterschaft
Das Video mit den Babys von Kiew hat eine politische Debatte in der Ukraine ausgelöst. Der Beauftragte des Präsidenten für Kinderrechte, Mykola Kuleba, sprach sich für ein Verbot der Leihmutterschaft aus. Ähnlich äußerte sich zunächst auch die parlamentarische Menschenrechtsbeauftragte Denysowa, relativierte jedoch später ihre Aussage und plädiert nun für eine bessere gesetzliche Regulierung. "Die Nachfrage für Leihmutterschaft bei Ausländern ist sehr groß. Ein Verbot würde das Problem nicht lösen, sondern eine Schattenfabrik für Kinderzeugung schaffen", sagt Denysowa.
Das ukrainische Justizministerium teilte auf DW-Anfrage mit, dass 2019 fast 1500 Babys im Auftrag ausländischer Paare von Leihmüttern in der Ukraine geboren wurden. Bei rund 140 dieser Kinder hatte mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsbürgerschaft. Noch 2018 wurden nach Angaben des Ministeriums weniger, nämlich rund 1100 solcher Geburten gemeldet. Bisher gab es jahrelang keine zuverlässige Statistik.
Viele ukrainische Frauen sind aus wirtschaftlicher Not offenbar bereit, mit dem Austragen von Babys Geld zu verdienen - mehr als 15.000 Euro pro Kind. Ein Durchschnittsgehalt in der früheren Sowjetrepublik liegt derzeit bei rund 350 Euro pro Monat, wobei die Corona-Krise viele Menschen in die Arbeitslosigkeit treibt. "Ich habe ohne Zweifel für meine eigenen Kinder diesen Schritt getan", berichtete der DW eine Leihmutter. Sie wolle ihnen so "ein gutes Leben" finanzieren.