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Gesellschaft

Berlin: Jung hilft Alt

17. März 2020

Die ehemalige Mauerstadt kennt sich aus mit Krisen – und weiß um die Bedeutung von Solidarität. In der Corona-Krise bieten Technik-affine Teenager und Hilfsorganisationen Hilfe für die Schwächsten an.

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Symbolbild - Ältere Menschen in Pflege
Bild: picture-alliance/dpa/H-J. Wiedl

Zwei Tage und zwei Nächte lang hat Noah Adler getüftelt, und dann war die Webseite Coronaport.netam Wochenende fertig. Noah Adler ist kein Internetexperte oder Programmierer. Er ist Schüler an einem Gymnasium in Berlin, besucht die 11. Klasse. "Ich habe die Nachrichten verfolgt, und da war für mich klar: da wird Hilfe gebraucht", sagt der 15-jährige der DW. "Nachbarschaft, Hilfe, das Füreinander-Einstehen in Berlin sind jetzt einfach wichtig", ergänzt der Teenager selbstbewusst. Sein Internetangebot nennt er "Erweiterte Nachbarschaftshilfe Berlin". Und jetzt, da seine Schule geschlossen wurde, hat er noch mehr Zeit für diese Hilfe.

Noah Adler, Gründer Hilfe-Portal Coronavirus
Noah Adler organisiert mit seiner Plattform Coronaport.net Hilfe für die SchwächstenBild: privat

Im wahrsten Wortsinn: Soziale Medien

Weiter heißt es auf seiner Webseite: "Menschen, die nicht auf Familie oder Freude zurückgreifen können, insbesondere die, die zu einer Risikogruppe gehören, sind auf fremde Hilfe angewiesen!". Adler, der ehrenamtlich Sanitätsdienste leistet und als Rettungsschwimmer arbeitet, macht auf seiner Seite möglich, dass Anbieter von Hilfe und Hilfssuchende zusammenfinden: "Zum Beispiel Hilfe beim Einkauf, der Kinderbetreuung oder der Beschaffung von Desinfektionsmitteln oder auch körperliche Arbeit."

Den Appell von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vom Montag hat Noah Adler aufmerksam gehört. Steinmeier hatte gesagt: "Seien wir solidarisch!" Gerade die Jungen hatte der Bundespräsident zur Vorsicht aufgerufen; er hatte sie aufgefordert zu sagen: "Ja, ich übernehme Verantwortung. Für meine Eltern und Großeltern, für Alte und Schwache." Da spreche ihm der Bundespräsident aus dem Herzen, erklärt Noah.

Über 800 Helfer haben sich bei Coronaport.net bereits registrieren lassen. Sie sind per Mail oder auch über das Telefon zu erreichen. Sylvia Günther zum Beispiel aus dem Berliner Szenebezirk Friedrichshain-Kreuzberg bietet Hilfe beim Einkaufen an, bei der Verteilung von Hilfsgütern oder auch, wenn der Hund mal spazieren geführt werden muss. Michelle wiederum bietet ihre Unterstützung gleich in  mehreren Stadtteile an: Einkaufshilfe, allgemeine körperliche Arbeit, Kinderbetreuung, sogar persönliche Betreuung und Hunde ausführen sind unter ihrem Namen aufgelistet.

Ruhe vor dem Sturm?

Jung hilft Alt. Füreinander einstehen in der Corona-Krise - das ist die Idee. In der Praxis, erläutert Noah Adler auf Nachfrage, gebe es zur Zeit zwar sehr viele Hilfswillige, aber noch kaum Nachfrage von Bedürftigen. Vielleicht, sinniert der Teenager, liege das auch daran, dass viele der Hilfsbedürftigen das Internet gar nicht nutzen. "Mein Angebot ist also noch eher prophylaktisch. Aber der Bedarf wird kommen", sagt Adler voraus.

Berlin schafft das!

Berlin kennt Krisen: als ehemaligen Mauerstadt, als vom Krieg zerstörte Metropole, die während der sowjetischen Blockade Ende der 1940er Jahre von amerikanischen "Rosinenbombern" aus der Luft versorgt wurde. Auch jetzt wächst mit der Krise wieder die Solidarität unter den Berlinern. Vor allem für ältere Menschen, die sich nicht mehr trauen, einkaufen zu gehen und verunsichert sind. In den Pflegeheimen dürfen sie in Berlin in der Regel nicht mehr besucht werden. Einsamkeit und Isolation drohen. Und täglich werden die Einschränkungen und damit die Angst größer.

Deutschland, Britische Militärpolizei vor abgeriegeltem Brandenburger Tor
Aus den Zeiten der Teilung wissen die Berliner um den Wert der SolidaritätBild: picture-alliance/G.Bratke

Auch das Kinder- und Jugendwerk Arche hat auf diese neue Situation reagiert. Die sechs Standorte in Berlin werden ab Mittwoch geschlossen; die kostenfreie Essensausgabe und Betreuung für Kinder und sozial Bedürftige ist dann nicht mehr möglich. Pastor Bernd Siggelow, der Gründer und Leiter der "Arche", will aber weiterhin helfen: "Daher liefern wir ab sofort haltbare Lebensmittel, aber auch frisches Obst und Gemüse, sowie Brot und Hygenieartikel an die Familien kostenlos aus." Die Auslieferung übernehmen ab Mitte der Woche freiwillige Helfer.

Auch der paritätische Wohlfahrtsverband in Berlin hat seine Angebote erweitert. "Vor allem in den 70 Stadtteilzentren rufen immer mehr Menschen an", sagt Kathrin Zauter vom Dachverband der Hilfsorganisation in der Hauptstadt. Die Internetangebote wurden ausgebaut. Für Menschen, die das Internet nicht nutzen, hat der  Paritätische Wohlfahrtsverband eine zusätzliche Telefonhotline eingerichtet. "Das funktioniert dann meistens in enger Nachbarschaftshilfe in den Bezirken." Zauter stellt den Berlinern ein gutes Zeugnis aus in Zeiten der Krise. "Solidarität in Berlin heißt, auf Menschen zugehen, nach dem Nachbarn schauen, sich um andere kümmern. Und das klappt."

Hilfe digital und analog

Sowohl die Hilfsverbände als auch die Internetinitiative Coronaport.net und ähnliche Angebote setzten aber auch auf analoge Hilfsangebote. Der Paritätische Wohlfahrtsverband wie auch der jugendliche Internet-Hilfs-Pionier Noah Adler bieten Online-Vordrucke an. Die können potenzielle Helfer dann ausdrucken, mit ihren konkreten Hilfsangeboten sowie einer Telefonnummer ausfüllen. Anschließend kann man die dem gebrechlichen Nachbarn unter der Türe durchschieben oder die Angebote im Hausflur oder Supermarkt aushängen. Diese Angebote sieht man in Berlin immer häufiger.

 

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online