Corona-Krise sorgt für Ansturm auf Radläden
21. Mai 2020Stolz steigt der siebenjährige Mats auf sein neues Fahrrad. Das ist ebenso strahlend blau wie der Helm, der fest auf dem Kopf des Jungen sitzt. "Ein echtes Polizeifahrrad", sagt Mats und fährt mit fröhlichem "Tatü-Tata" eine Runde durch den Fahrradladen.
Mats hat Glück gehabt. Kinderräder sind in vielen Kölner Geschäften zurzeit Mangelware. Auch Erwachsene, die nach bestimmten Modellen oder Ersatzteilen suchen, müssen mit langen Lieferzeiten rechnen. Denn die Nachfrage ist riesig. "Ich werde nie den Montag vergessen, an dem wir das Geschäft wieder aufgemacht haben", sagt Christoph Hopp vom Fahrradladen "Radlager". "Es war wie ein Dammbruch."
Wochenlang mussten Radgeschäfte in ganz Deutschland wegen der Corona-Pandemie schließen. Und zwar genau zu dem Zeitpunkt, an dem normalerweise das große Frühlingsgeschäft beginnt. "In der Minute, in der die ersten Krokusse ihre Köpfe aus dem Boden recken, wollen die Leute aufs Rad", sagt Hopp. Das sei jedes Jahr so. "Durch die Schließungen in diesem Jahr hat sich natürlich alles angestaut", so der Verkäufer. Jetzt sei der Andrang "einfach irre". Doch nicht nur das schöne Frühlingswetter und die angestaute Kauflust treibt die Menschen aufs Rad.
Das Verkehrsmittel der Stunde
"Durch Corona ist das Fahrrad das Verkehrsmittel der Stunde", sagt David Eisenberger vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) der DW. "Das merken wir eben nicht nur auf den Straßen, sondern auch beim Ansturm auf die Fahrradläden." Manche schwingen sich aufs Rad, um dem Heimkoller zu entkommen und in Form zu bleiben. Andere schreckt die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln ab. "Deswegen steigen momentan auch Leute aufs Fahrrad auf oder auch um, die vielleicht vorher mit der U-Bahn zur Arbeit gefahren sind." In mehreren deutschen Großstädten wurden zudem die Fahrradwege ausgebaut.
Auf dem Hohenstauffenring in der Kölner Innenstadt herrscht dichter Feierabendverkehr. Ein Radfahrer muss scharf bremsen, weil eine Gruppe Fußgänger - ohne nach links und rechts zu schauen - den Radweg überquert. Ein Stück dahinter schiebt eine junge Frau ein Rad aus einem Geschäft heraus. Sie hat es allerdings nicht gekauft, sondern frisch gemietet. "Zur Arbeit kann ich damit leider nicht fahren, für mich ist noch Homeoffice angesagt", sagt Ines. Weil ihr Sportkurs noch pausiert, plant die 28-Jährige Radtouren am Rhein entlang. Ein neues Zweirad musste her.
Kaufen - oder mieten?
Beim Unternehmen "Swapfiets" können sich Kunden für etwa 20 Euro im Monat ein Rad mieten. Reparaturen gibt es gratis und jederzeit. Außerdem sind die Räder monatlich kündbar. "Ich weiß noch nicht, wie lange ich in Deutschland bleiben werde, deshalb hat das Konzept für mich gepasst", erzählt Ines.
Die Swapfiets-Bikes sind gut an ihren blauen Vorderreifen zu erkennen. 3.500 Stück sind inzwischen auf den Straßen Kölns unterwegs. In den vergangenen Wochen ist die Zahl der Kunden nochmal in die Höhe geschossen. "Wir erlebten gerade in den Monaten März und April dieses Jahres einen regelrechten Boom, der nicht nur auf das gute Wetter und die beginnende Fahrradsaison zurückzuführen ist", sagte André Illmer, Deutschlandchef von Swapfiets, der DW.
Einbußen reinholen
Um den Boom zu ergründen, hat das Unternehmen in den vergangenen Wochen 741 Neukunden befragt. 42 Prozent von ihnen gaben an, dass die Corona-Pandemie ihre Entscheidung, aufs Rad umzusteigen, beeinflusst hat. 45 Prozent meinen, dass Radeln derzeit einfach die bessere Alternative ist, um unterwegs zu sein - besonders weil öffentliche Verkehrsmittel teilweise ihren Dienst reduzieren müssen.
Egal ob gekauft oder geliehen: Das Geschäft mit den Rädern läuft richtig gut. Jetzt gilt es für die Händler, die Einbußen der wochenlangen Schließungen wieder einzuholen und den Produktionsrückstand auszugleichen. "Wir gehen schon davon aus, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen", sagt David Eisenberger vom ZIV. "Aber nur, wenn der Sommer so schön bleibt - und wenn es keine zweite Ansteckungswelle gibt."