Decoding China: Baerbocks Probleme im Umgang mit Peking
11. Oktober 2024Es war ein klares Nein - im Gegensatz zu anderen EU-Staaten hat Deutschland bei der Abstimmung in Brüssel am vergangenen Freitag (4.10.24) gegen die EU-Zusatzzölle auf E-Autos aus China gestimmt. Eine deutliche Mehrheit hatte sich dafür ausgesprochen, noch mehr Staaten enthielten sich.
Ausgerechnet zu diesem Thema ist einem Medienbericht zufolge nun ein Streit unter den drei deutschen Regierungsparteien entbrannt. Die "BILD", Deutschlands auflagenstärkste Zeitung, berichtete, die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sei für die EU-Zölle gewesen. Sie habe damit ein "Zeichen gegen das chinesische Regime" setzen und mehr Härte gegen das Land zeigen wollen. Schließlich sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Machtwort. Deutschland stimmte dagegen, obwohl das Nein aus Berlin die EU-Strafzölle nicht verhindern konnte.
Außenministerin Baerbock ist für ihre harsche Chinakritik bekannt. Im September 2023 nannte sie in einem Interview mit dem US-Sender FOX den chinesischen Präsident Xi Jinping einen "Diktator". Peking bestellte die deutsche Botschafterin ein. Die Bezeichnung sei extrem absurd und provokativ, hieß es aus dem chinesischen Außenministerium.
Langer Schatten vor geplanter China-Reise
Diese Woche berichtet die Hongkonger Zeitung "South China Morning Post", dass die Bundesaußenministerin "in den nächsten Tagen" nach China reisen werde. Aus den Regierungskreisen in Berlin hieß es lediglich, dass derzeit noch nach Terminen gesucht werde. Kürzlich hatte Chinas Außenminister Wang Yi am Rande der UN-Vollversammlung in New York seiner Kollegin Baerbock nach einem bilateralen Austausch die Einladung nach Peking ausgesprochen. "Besuchen Sie China, wann es Ihnen am besten passt", hatte Wang gesagt.
Noch bevor die Grünen in die Krise um ihre Parteiführung stürzten, war Ende September der chinesische Spitzendiplomat der Kommunistischen Partei (KPCh), Liu Jianchao, in Berlin zu Besuch. Er traf Friedrich Merz, Spitzenkandidat der CDU/CSU für die Bundestagswahlen 2025, sprach mit Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) sowie mit dem FDP-Vizevorsitzendem Johannes Vogel. Nur die andere Regierungspartei - die Grünen - besuchte Liu nicht.
Liegt der KP die Berliner China-Strategie unter der grünen Federführung immer noch im Magen? Darin bezeichnet die Bundesregierung China als "Partner, Wettbewerber und Rivalen".
"Wir sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen", sagte Bundesaußenministerin Baerbock bei der Vorstellung der China-Strategie 2023 im Berliner Mercator Institute for China Studies (MERICS). Diese deutsche Redewendung bedeutet, dass man anderen Konkurrenten ruhigen Gewissens zeigen kann, was man kann. "Gemeinsam haben wir in der EU ein unheimlich starkes Werkzeug: unseren gemeinsamen europäischen Binnenmarkt", fügte Baerbock hinzu.
"Insgesamt gehen die Grünen im Vergleich zu anderen Koalitionsparteien stärker auf den Aspekt der Rivalität ein", sagt Eva Seiwert, Analystin vom MERICS. "Allerdings liegt der Kurs im Einklang mit der EU-Linie. Die Grünen pochen darauf, dass die EU gegenüber China, aber auch generell außenpolitisch, als ein Akteur auftritt."
Freiheit für die Schifffahrt und drohender Handelskrieg
Zuletzt knisterte es heftig zwischen Berlin und Peking. Mitte September durchquerten zwei deutsche Kriegsschiffe zum ersten Mal seit 22 Jahren die umstrittene Taiwanstraße. Das ist die 180 Kilometer breite Meeresenge zwischen dem Festland China und der Insel Taiwan. China betrachtet Taiwan als eine abtrünnige Provinz, die Taiwanstraße als sein Hoheitsgebiet. Deswegen bestreitet Peking, dass es sich dabei um internationale Gewässer handelt.
Experten glauben, dass die Bundesregierung Chinas steigenden Machtansprüchen im Indopazifik Einhalt gebieten wolle. Deutschland müsse dagegen halten und sollte sich nicht dem Recht des Stärkeren ergeben, sagt Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz (MSC) im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ansonsten würde das Schule machen und möglicherweise auch an anderer Stelle Folgen haben.
Am Dienstag (08.10.2024) ließ China seine Muskeln spielen. Das chinesische Handelsministerium kündigte vorläufige Zollaufschläge für europäischen Weinbrand an. Ab Freitag müssten Importeure von Weinbrand aus der EU entsprechende Garantien in Höhe zwischen 30,6 und 39 Prozent beim chinesischen Zoll hinterlegen.
Dies wird als ein weiterer Schritt der Eskalation im erbitterten Handelsstreit zwischen China und der EU wahrgenommen. In Brüssel war vergangene Woche der Weg für zusätzliche Zölle auf Elektroautos aus China frei gemacht worden. Die Zollaufschläge von bis zu 35,3 Prozent sollen spätestens Anfang November greifen. Beide fechten derzeit vor der Welthandelsorganisation die Strafzölle jeweils der anderen Seite an.
Verhandlungslösung gesucht
Mitte September hatte schon Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beim Gespräch mit seinem Amtskollegen Wang Wentao in Berlin ausdrücklich vor der "Zollspirale" gewarnt. "Wir wollen einen Handelskonflikt mit Zollspirale, der am Ende beiden Seiten schadet, unbedingt vermeiden. Wir brauchen eine politische Lösung. Die Europäische Kommission und China sollten alles daran setzen, eine Verhandlungslösung zu finden", sagte Habeck.
"Es steckt wahrscheinlich auch eine Strategie dahinter, warum die chinesische Regierung mit den Grünen anders umgeht als mit anderen Koalitionsparteien", sagt MERICS-Expertin Seiwert. "Für die chinesische Regierung ist es nützlich, wenn sie ein bisschen Uneinigkeit innerhalb der deutschen Koalition schafft. Wir sehen dies in der EU auch, dass China verschiedene Staaten auf seine Seite zu bringen versucht und andere wiederum nicht."
Bei der Abstimmung um die Strafzölle auf E-Autos aus China hatten neben Deutschland weitere vier EU-Länder dagegen gestimmt: Ungarn, Malta, Slowenien und die Slowakei. Zehn Staaten waren dafür - wie die großen Winzernationen Italien und Frankreich. Weitere zwölf Länder enthielten sich.
"Unsere China-Strategie ist ein Auftrag zum Handeln", betonte Bundaußenministerin Baerbock im Sommer 2023. Nun wird sie den Dreiklang beim Umgang mit China - Rivale, Partner und Wettbewerber - mit Leben füllen müssen; mit ihrer "wertebasierten Außenpolitik".
"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.