Decoding China: Der drohende Handelskrieg an allen Fronten
20. Oktober 2024"Wir machen gerade eine schwierige Zeit durch", klagte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron beim Rundgang durch die Paris Motor Show, die am Montag (14.10.) begann. "Der europäische Markt schrumpft und die Konkurrenz aus China ist sehr stark." Es sei deswegen in solchen Zeiten notwendig, sich selbst zu schützen, um faire Regeln umzusetzen. "Wenn bestimmte Hersteller in China Subventionen erhalten, ist es normal, dass man Zölle einführt, um diese auszugleichen. Sonst spielt man nicht mit fairen Regeln. Und wir unterstützen das", sagte das Staatsoberhaupt.
Anfang Oktober hat die EU-Kommission die Einführung von Zusatzzöllen auf Elektroautos beschlossen, die in China hergestellt werden. Bei der Abstimmung votierte Deutschland dagegen. Frankreich, Italien, die Niederlande und viele westeuropäische Länder waren dafür.
Während Brüssel und Peking weiter über einen einvernehmlichen Umgang gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verhandeln, dreht sich die Zollspirale weiter. Zunächst verlangt Peking Zuschläge für importierten Weinbrand aus der EU. Diese Woche werden Untersuchungen gegen die EU-Subventionen bei Milchprodukten eingeleitet. Das chinesische Handelsministerium ermittelt die Preisbildung der Großmolkereien Elvir (Frankreich), Sterilgarda Alimenti (Italien) und Friesland Campina (Niederlande), hieß es. Ein Zufall?
"Zölle sind Gift"
Das E-Auto "Made in China" hat das Potenzial, einen richtigen Handelskrieg zwischen China und der EU auszulösen. Ein Krieg, den sich die Wirtschaft nicht wirklich wünscht. Alle deutschen Autobauer sind gegen die Strafmaßnahmen, darunter auch BMW.
"BMW ist Teil eines weltweiten Netzwerkes von Produktionswerken für Fahrzeuge, aber auch von Teilen und Zulieferern. Diese Teile und Fahrzeuge müssen frei gehandelt werden", fordert Martin Boluk, Senior Manager vom BMW am Dienstag auf dem deutsch-chinesischen Automobilkongress in München. "BMW glaubt an den freien Handel als Grundprinzip und unterstützt die EU-Zölle nicht."
"Wir in Deutschland brauchen China als Technologielieferant", so Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Forschungsinstituts CAR, der als "Autopapst" in Deutschland bekannt ist. Es sei nicht mehr so wie in alten Zeiten, wo die deutschen Autobauer ihre Technologien nach China transferiert hatten. "Deshalb ist die Kooperation zwischen China und Deutschland noch wichtiger. Und die Zölle sind Gift."
USA und Kanada: Vorreiter bei Zöllen auf E-Autos
Hinter verschlossenen Türen herrscht unter den chinesischen Diplomaten blanke Ratlosigkeit. Die Maßnahmen seien politisch motiviert und nicht im Einklang mit der Globalisierung. Die EU habe deswegen die Zölle eingeführt, weil die USA und Kanada bereits im Sommer 100 Prozent Mehrabgaben beim Import chinesischer E-Autos verhängt hätten.
Der Hintergrund: Die politischen, aber auch wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und den USA leiden verstärkt unter der geopolitischen Situation. Vor den US-Präsidentschaftswahlen am 5. November wird keine Entspannung erwartet.
Manche Politikberater in Peking stellen sich derzeit schon auf das Szenario ein, dass der unberechenbare Ex-Präsident Donald Trump wieder ins Weiße Haus einziehen könnte. Trump hatte schon während seiner ersten Amtszeit seine Experimentfreude mit Strafzöllen gegen den Rest der Welt unter Beweis gestellt.
Nun geraten auch die Handelsbeziehungen mit der EU buchstäblich unter die Räder. Aus Diplomatenkreisen hieß es, das EU-Verfahren sei unfair und enthalte Einiges, was sonst nirgendwo praktiziert worden sei. Die EU-Kommission habe zum Beispiel chinesische Autohersteller im Zusammenhang mit der schriftlichen Anhörung zu Geschäftsgeheimnissen wie technischen Details über den Bau von Batterien befragt. Trotz umfangreicher Stellungnahmen und Unterlagen mit einer Größe von mehreren Dutzenden Terabyte (TB) von den Herstellern habe Brüssel weiteren Informationsbedarf gesehen. Und bei der Auswahl europäischer Autohersteller zum Kostenvergleich habe Intransparenz geherrscht. So sei kein deutscher Autohersteller unter den Auserwählten, sondern lediglich die Autobauer aus Italien und Frankreich, die große Schwierigkeiten hätten, auf dem Markt zu überleben.
"Wildwestgeschichten"
Die chinesischen Unterhändler munkelten außerdem, dass ausgerechnet Tesla, ein US-Hersteller, der in Shanghai eine Megafabrik betreibt, von der Berechnung der Strafzölle ausgenommen worden sei. Tesla sei der größte Autobauer, der seine E-Autos "Made in China" nach Europa exportiere. Im EU-Beschluss wird Tesla deutlich bevorzugt im Vergleich zu seinen chinesischen Mitbewerbern - und auch den deutschen.
"Wir müssen aufpassen, solche Wildwestgeschichten in Amerika nicht weiter zu erzählen: Fahrzeuge aus China könnten zum Beispiel den Verkehr in den USA lahmlegen, deshalb wollen wir die chinesischen Technologien sperren", warnt der deutsche Forscher Dudenhöffer. "Es ist einfach nur dumm und führt uns auf den falschen Weg."
Chinesische Firmen wie CATL oder SVOLT, die die Batterietechnik gut beherrschen würden, könnten deutsche Unternehmen nicht über Nacht einholen, so Dudenhöffer. "Langfristig auch nicht. Deswegen brauchen wir Zusammenarbeit. Wir müssen auch von China lernen."
Nun suchen die chinesischen Unternehmen einen Ausweg, um ihre Stromer weiter auf dem europäischen Markt zu verkaufen. Das Unternehmen Geely, das für den Automobilkongress demonstrativ ein Hybrid-Auto mit einem chinesischen Kennzeichen auf die deutsche Straße schickt, hat größere Ambitionen.
"Wir haben bisher noch keine Produktion in Europa für Elektrofahrzeuge", sagt Frank Klaas, Kommunikationschef von Geely Europe. "Wir sind aber offen für Produktionsstätten. Wir wollen dort produzieren, wo wir verkaufen", sagt Klaas, "im Rahmen der Diskussionen um Zölle und politisch gemachten Beschränkungen werden wir uns das sicherlich überlegen."
"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.