Der Islam unter Generalverdacht
13. April 2018Mustafa Saglem kennt seine Nachbarin schon länger, als er sich erinnern kann. Sie geht in der Wohnung seiner Familie ein und aus, wechselte ihm als Baby die Windeln. Auch als er schon längst erwachsen ist, halten sie Kontakt. Aber jetzt redet sie nicht mehr mit ihm. "Nach einem kleinen Streit um einen Parkplatz sagte sie mir, wir Muslime würden Ungläubige nicht respektieren. Seitdem ist Funkstille." Mustafa Saglem ist in Bonn aufgewachsen und mit einer Deutsch-Schwedin verheiratet. Aber das reicht nicht, um als Deutscher zu gelten. Für viele ist er der Moslem. Und damit ein Fremder.
Die Debatte über den Islam ist derzeit schlagzeilenträchtig wie kaum eine andere. Jüngstes Beispiel: Vor einer Woche lenkt ein Mann im westfälischen Münster einen Kleinbus in eine Menschenmenge. Zwei Menschen werden dabei getötet, 20 verletzt. Der Fahrer erschießt sich anschließend selbst. Ohne die Hintergründe zu kennen, bricht in den sozialen Netzwerken eine Debatte los, befeuert von den Rechtspopulisten. Der Vorwurf: Es könne sich dabei nur um einen islamistischen Anschlag handeln. AfD-Bundestagabgeordnete Beatrix von Storch mutmaßt in einem Tweet, dass ein Flüchtling für die Tat verantwortlich sei. Als klar wird, dass der Täter ein psychisch kranker Deutscher war, wird die steile These aufgestellt, der Amokläufer sei ein Nachahmer islamischer Terroristen gewesen.
Es ist ein Diskurs, der mittlerweile typisch für Deutschland ist. Was macht aber so eine Diskussion mit den 4,5 Millionen Muslimen, die hier in Deutschland leben? Was denken sie im ersten Moment, wenn so eine schreckliche Tat wie in Münster passiert?
Viele Muslime sind die pauschalen Anschuldigen leid
Es gebe drei typische Reaktionen bei Muslimen, sagt Politiker Haluk Yildiz: "Hoffentlich war es kein Muslim und es wird wieder politisch und medial hochgekocht, sagen die einen. Die zweite Gruppe ist mittlerweile immun gegen Anschuldigungen und ignoriert sie. Und dann gibt es Menschen, die sich dem vollständig entziehen und sagen, das geht mich alles nichts mehr an."
Yildiz kennt alle drei Gruppen nur zu gut. Der Deutsche türkischer Herkunft ist Bundesvorsitzender der Kleinpartei Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit, die sich für die Interessen von Muslimen und deren gesellschaftliche Integration einsetzt.
Yildiz bereitet vor allem letztere Gruppe Kopfschmerzen: "Diese Gruppe hat sich von der Gesellschaft abgekoppelt oder fühlt sich von ihr abgekoppelt."
Wegen des Generalverdachts fühlten sich diese Menschen schlichtweg nicht mehr wohl im Land. Die Folge: "Diese Menschen bauen eine große Distanz auf und grenzen sich komplett ab."
Wenn schon keine Islamisten, dann aber zumindest Erdogan-Anhänger
Gab es einen Zeitpunkt, als das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen in Deutschland zu bröckeln begann? Der Terroranschlag vom Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016? Die Kölner Silvesternacht 2015/16 mit den sexuellen Übergriffen? Für Haluk Yildiz begann die Stigmatisierung schon viel früher: "Bis zum 11.September 2001, den Anschlägen auf das World Trade Center, war ich der nette Türke von nebenan. Seit dem 12.September 2001 bin ich nicht mal mehr ein Muslim, sondern direkt ein Islamist."
Es gibt noch einen zweiten Generalverdacht gegen die in Deutschland lebenden muslimischen Türken: Viele seien glühende Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan, würden seit Jahren die Vorzüge des demokratischen Deutschlands genießen, aber trotzdem einen Autokraten unterstützen.
"Einige Tage nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei war ich bei meinem deutschen Hausarzt, den ich schon lange kenne. Er begrüßte mich gar nicht, sondern fragte mich nur: Ja oder Nein?", erinnert sich Yildiz. Der Politiker verstand erst gar nicht, dass sein Arzt auf die Abstimmung über das von Erdogan gewünschte Präsidialsystem abzielte. "Ich habe ihm gesagt, dass ich gar nicht abstimmen konnte, weil ich deutscher Staatsbürger bin. Und dass er mich das nächste Mal doch bitte erst begrüßen soll."
Teilweise gestörtes Verhältnis zu den Medien
Mustafa Ocak, Vorstandsvorsitzender der Türkisch Islamischen Gemeinde zu Bonn DiTiB, spart aber auch nicht mit Kritik an den eigenen Reihen: "Wir müssen mehr mit den Medien sprechen und auch auf sie zugehen. Da sind wir auch ein wenig in der Bringschuld." Viele scheinen sich zurück zu ziehen, weil sie sich von den Medien ungerecht behandelt fühlen. Das zeigte sich auch bei den Recherchen für diesen Artikel: Auf eine Interview-Anfrage der Deutschen Welle hatten andere Moscheen in Bonn und Köln zum Beispiel erst gar nicht reagiert.
Eine Lösung könne zum Beispiel ein verstärkter interreligiöser Dialog sein, sagt Yildiz. Er engagiert sich seit Jahren in einer Initiative in Bonn, die versucht, Muslime und Christen miteinander ins Gespräch zu bringen. "In letzter Zeit kamen zu unseren Treffen aber nur 20, 30 Leute, das ist einfach zu wenig." Und so sei es auch auf der großen politischen Bühne: Zu wenige vernünftige Menschen engagierten sich für das Miteinander, meldeten sich nach Anschlägen wie in Münster und den Anschuldigungen gegen die Muslime zu Wort, kritisiert Yildiz: "Eine Solidarität über alle Religionsgrenzen hinweg, von Christen und Muslimen, muss sichtbarer werden. Man muss diese Anschuldigungen verachten und sich deutlicher dagegen wehren."