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Politik

FDP-Chef Lindner - Taktiker der Macht

25. Oktober 2021

FDP-Chef Lindner will, dass die Liberalen wieder mitregieren. Der Wandelbare drückt bei den Koalitionsverhandlungen aufs Tempo und stellt eine Bedingung.

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Deutschland Berlin | Sondierungsgespräche | Ankunft Christian Lindner
Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Mit Tempo an die Macht. So gefällt es FDP-Chef Christian Lindner. Am Donnerstag der vergangenen Woche kamen die Unterhändler von SPD, Grünen und FDP bereits zu ersten Koalitionsverhandlungen zusammen. Nach einer nur kurzen Sondierungsphase soll schnell eine neue Regierung stehen, die es in dieser Konstellation noch nie auf Bundesebene gab. Schon nach den ersten Gesprächen der drei Parteien hatte FDP-Chef Lindner wortgewaltig von einer "Zäsur" gesprochen, einem "Neustart". Anfang Dezember soll Olaf Scholz (SPD) bereits zum Kanzler gewählt werden. Tempo also - ganz nach dem Geschmack von Christian Lindner. Oft war er der Erste und der Jüngste.

Berlin | Pressekonferenz nach Sondierungsgesprächen
Setzt sich gern in Szene: Christian Lindner bei einer Pressekonferenz mit SPD-Kanzleramts-Aspirant Olaf Scholz (links) und SPD-Parteichef Norbert Walter-BorjansBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Politkarriere im Eiltempo

Mit gerade mal 16 Jahren tritt Christian Lindner in die FDP ein, wird nur ein Jahr später Landesvorsitzender der Liberalen Schüler in seinem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen. Als jüngster Abgeordneter überhaupt zieht er in den Landtag des Bundeslandes ein. Da ist er 21. Sein Spitzname "Bambi" ist vom scheuen, jungen Hirsch aus dem Disney-Filmklassiker abgeleitet. Fast nebenher absolviert Lindner ein Politikstudium und wird Reserveoffizier der Luftwaffe. Seit 2009 ist er Mitglied des Bundestages, im selben Jahr wird er FDP-Generalsekretär. Mit nur 34 Jahren ist er schon Parteichef der Liberalen, nachdem die FDP 2013 zum ersten Mal überhaupt knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist und nicht in den Bundestag kommt. Ein Mann immer auf der Überholspur, der gerne privat im Porsche unterwegs ist.

Deutschland Berlin Bundespressekonferenz FDP
FDP-Urgestein Gerhart Baum (links) spart nicht mit Kritik an Christian Lindner (Mitte)Bild: Reuters/H. Hannschke

FDP-Urgestein - und durchaus Lindner-Kritiker - Gerhart Baum sagt über Christian Lindner, dessen politische Karriere er lang begleitet hat: "Er ist einer der fähigsten Nachwuchspolitiker in Deutschland. Er hat ein großes politisches Talent und durchdringt auch komplizierte Sachverhalte." Manchmal jedoch habe Lindner den "liberalen Kompass" aus dem Blick verloren, meint Baum: "Zum Beispiel beim Widerstand gegen die Flüchtlingsaufnahme 2015 durch Frau Merkel."

Schon am Wahlabend schaltet Lindner um 

Als viele seiner Parteianhänger am Wahlabend am 26. September in der FDP-Zentrale (Wahlergebnis: 11,5 Prozent) in Berlin noch von einer Koalition mit der Union träumen, die massiv verloren hat und hinter der SPD landet, sucht Christian Lindner schon den Kontakt zur Parteispitze der Grünen. FDP und Grüne machen schon einen Tag nach der Wahl Nägel mit Köpfen. Die Parteien, die die "größten inhaltlichen Unterschiede" haben, redeten bereits miteinander über Koalitionsoptionen, verkündet Christian Lindner. 

Berlin, Deutschland | Auf Instagram gepostetes Selfie von Volker Wissing und Christian Lindner (FDP), zusammen mit Annalena Baerbock und Robert Habeck (Die Grünen)
Erstes "Beschnuppern" vor der Sondierung: FDP-Generalsekretär Volker Wissing (links), Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock, FDP-Vorsitzender Christian Lindner und Robert Habeck, Co-Chef der GrünenBild: Instagram/@volkerwissing/via Reuters

Lindner beweist nun Wendigkeit. Denn er weiß: Nur mit der SPD und den Grünen hat seine FDP wieder eine Chance, an die Macht zu kommen. Die Liberalen haben schon oft Koalitionen im Bund geschmiedet, mal mit der SPD und mal mit der Union koaliert. Und auch dieses Mal wollen sie Königsmacher sein.

2017 hat er eine mögliche Koalition platzen lassen

Dass sich der Ton gegenüber den bisherigen politischen Gegnern im Wahlkampf ändern muss, erkennt Christian Lindner sofort und schaltet um. Aus Anfeindungen und scharfen Attacken gegen SPD und Grüne im Wahlkampf werden "Fantasiebekundungen". Im Wahlkampf hatte er immer wieder davon gesprochen, dass ihm für das Ampel-Dreierbündnis jegliche Fantasie fehle. Jetzt erkennt er eine "Zäsur für die politische Kultur", eine "Modernisierungschance".

Scheitern der Jamaika-Sondierungen
2017 ließ Christian Lindner die Sondierungen mit Union und Grünen platzenBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Noch einmal nein sagen am Ende von Sondierungen wie nach der letzten Wahl 2017? Damals wurde eine sogenannte Jamaika-Koalition verhandelt, ein Bündnis mit Union und Grünen. In der Schlussphase der Sondierungen stellte sich Christian Lindner vor die Presse und sagte: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Er schickte die Partei, die er gerade wieder in den Bundestag zurückgebracht hatte, in die Opposition. Dass das noch einmal passieren könnte, "das halte ich praktisch für ausgeschlossen. Er (Christian Lindner) ist jetzt zum Regieren verdammt", sagt der Politikwissenschaftler Frank Decker der DW im Interview.

Problem One-Man-Show und Frauenanteil

Rückblick: Berlin, am Samstag vor der Bundestagswahl. Einer der letzten Wahlkampfauftritte nach einem Marathon von Veranstaltungen. Christian Lindner taucht im maßgeschneiderten Anzug auf wie aus dem Nichts. Im Nu ist er umringt von jungen Leuten. Vor allem von jungen Männern. Sie wollen Autogramme, outen sich als Fans des FDP-Chefs. Die FDP wurde - wie die Grünen - überproportional von jungen Menschen gewählt. Das hat auch mit Lindner zu tun. Für viele von ihnen steht er für Erfolg, für's Social-Media-Affine, für eine gewisse Coolness. Lindner ist sein Aussehen wichtig. Er trainiert, sooft er kann, an einem Rudergerät, hat sich Haar transplantieren lassen, ist immer topmodisch gekleidet.

Bayreuther Festspielen | Christian Lindner mit seiner Freundin Franca Lehfeldt
Christian Lindner mit Freundin und RTL-Journalistin Franca Lehfeldt im Sommer 2018 bei den Bayreuther FestspielenBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Er war mit einer Journalistin verheiratet, ist nach der Scheidung wieder mit einer jungen Journalistin liiert. Einblick ins Private gewährt er nur selten. Umso überraschender ein Interview in der Zeitschrift "Bunte" kurz vor der Wahl. Dass er durch seine Freundin mit einer "durchaus kritischen Frauensicht" konfrontiert werde, räumt er ein. Lindner war mehrfach durch frauenfeindliche Altherrenwitze aufgefallen. Ein Ministerposten sei ihm gar nicht so wichtig, sagt er kokettierend, "sondern bald zwei, drei oder vier Mädchen oder Jungs zu haben".

Eines hat Christian Lindner in den Jahren als Parteivorsitzender nicht geschafft: Frauen ausreichend zu fördern. In den Parteigremien, im Bundestag und bei der Parteimitgliedschaft sind Frauen im Vergleich zu Grünen, SPD und Linken drastisch unterrepräsentiert. Der frühere FDP-Spitzenpolitiker Gerhart Baum attestiert Lindner aber, dass er "ernsthafter und nachdenklicher" geworden sei, "Kritik jetzt eher als früher" annimmt. Und dass er bemüht sei, den Eindruck der FDP als Lindner-Show zu entkräften: "Er bringt zunehmend auch andere Männer und Frauen in der FDP zur Geltung. Er will das, damit sich nicht der Eindruck erhärtet, die FDP sei eine Ein-Mann-Partei."

Mission Finanzministerium

Schon im Wahlkampf wiederholte es Christian Lindner fast mantrahaft: "Ich will Finanzminister werden."Der Politikwissenschaftler Frank Decker erklärt sich die Ambition so: "Das Finanzministerium ist nach dem Kanzleramt durch seinen Querschnittscharakter das wichtigste Ressort. Außerdem kann die FDP dort ihre wirtschafts- und steuerpolitischen Kernkompetenzen am besten ausspielen." Noch wird in den Koalitionsverhandlungen gerungen, gezerrt, gepokert. Wer welchen Ministerposten erhält, darüber soll - zumindest angeblich - erst ganz am Ende gesprochen werden. Aber einer ist bei der Bewerbung ums Finanzministerium schon vorgeprescht: Christian Lindner.

 

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online