Risiko-Millionen: Der Schatten über Monheim
5. März 2021Am Rathausplatz stehen die Monheimer schon im März vor dem Eisladen Schlange. In der kleinen Stadt am Rhein mit seinen 40.000 Einwohnern nickt man sich gegenseitig im Vorbeigehen zu. Auf den sonnigen Bänken gesellen sich viele zum Eis essen zueinander. Das Fahrrad des Bürgermeisters steht an seinem Stammplatz: am Seiteneingang des Rathauses. Monheim steht auch wirtschaftlich auf der Sonnenseite, die Stadt ist seit ein paar Jahren schuldenfrei. Doch das könnte sich gerade ändern.
Plötzlich fehlen nämlich 38 Millionen Euro. Angesichts von Milliarden und Abermilliarden, die gerade zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in den Ring geworfen werden, ein Trinkgeld. Aber nicht für eine kleine Gemeinde wie Monheim am Rhein. Die Kommune gilt hierzulande als eine Art legale Steueroase mit niedrigen Gewerbesteuersätzen. Und weil sich deswegen viele Unternehmen angesiedelt haben, mussten sich die Monheimer Gedanken machen, wo sie wegen der anhaltenden Nullzinsen ihr Geld anlegen sollten.
Wer Zinsen will, muss ins Risiko gehen
Wer in diesen Zeiten Geld rentabel anlegen will, muss ins Risiko gehen. Die Bremer Greensill Bank bot solche Möglichkeiten. In drei Tranchen hat die Monheimer Stadtverwaltung 38 Millionen Euro bei Greensill angelegt. Damals hatte sich die Stadt für das vermeintlich günstigste Angebot entschieden. "Um den Negativzins in Höhe von einigen 10.000 Euro im Monat zu vermeiden, haben wir den Blick dafür verloren, welches Risiko man diese 38 Millionen Euro aussetzt", sagt Monheims Bürgermeister Daniel Zimmermann im Gespräch mit der DW.
In dieser Woche platzte die Bombe: Da legte die Finanzaufsicht Bafin faktisch alle Geschäfte von Greensill auf Eis: Um die Vermögenswerte der Bank zu sichern, untersagte die Behörde der Bank den Kundenverkehr ebenso wie Zahlungen oder Veräußerungen. Gelder darf Greensill nur noch annehmen, wenn sie zur Tilgung von Schulden bestimmt sind. Üppig dürften solche Gelder allerdings nicht fließen.
Die Greensill Bank ist zwar der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken zugeordnet. Die Einlagen von institutionellen Investoren sind jedoch seit dem 01. Oktober 2017 nicht mehr durch Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken gesichert. Der Stadt droht daher nun der Ausfall der gesamten Summe. "Es ist ein bitterer Schaden", meint Zimmermann. Kommende Woche werden in einer Sondersitzung des Rechnungsprüfungsausschusses andere Anlageprodukte der Stadt geprüft.
Greensill - wer dahinter steckt
Im Raum steht der Verdacht der Bilanzmanipulation. Deswegen hat die Behörde auch gleich Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Bremen gegen verantwortliche Manager des Geldhauses gestellt. Erst vor wenigen Wochen hatten die Finanzaufseher einen Sonderprüfer bei Greensill eingesetzt. Diese Prüfung habe ergeben, dass die Bank nicht in der Lage ist, den Nachweis über die Existenz bestimmter Forderungen im Zusammenhang mit GFC Alliance Group zu erbringen. GFG steht für Gupta Family Group. Sie gehört dem indisch-britischen Stahlmagnaten Sanjeev Gupta. Dessen Firma Liberty Steel wollte unlängst die Stahlsparte von Thyssenkrupp übernehmen, allerdings scheiterte das.
Wer oder was aber ist eigentlich diese Bank, von der die meisten Menschen vorher wohl noch nichts gehört haben dürften? Greensill ist der deutsche Ableger eines britischen Geldhauses gleichen Namens, dem die Pleite droht. Die Bank ist auf die sogenannte Lieferkettenfinanzierung spezialisiert. Das heißt, sie bietet kurzfristige Finanzierungen an und leiht Unternehmen Geld, damit die ihre Rechnungen bezahlen können.
Die Bremer Tochter hatte zum Ende des Jahres eine Bilanzsumme von 4,5 Milliarden Euro. Das ist eine gute Nachricht - denn für Banken ist das eine noch sehr überschaubare Bilanzsumme. (Zum Vergleich: Die Bilanzsumme der Deutschen Bank belief sich Ende 2020 auf 1,3 Billionen Euro.) Daher sei Greensill nach Auskunft der Bafin nicht systemrelevant. "Ihre Notlage stellt daher keine Bedrohung für die Finanzstabilität dar."
Warum schwieg die Aufsicht?
In den vergangenen Jahren jedenfalls schwoll die Bilanzsumme von Greensill in Deutschland stark an. Denn die Bremer sammelten über Online-Portale wie Zinspilot und Weltsparen in den vergangenen Jahren viel Geld von privaten Sparern - und offenbar auch Kommunen wie der Stadt Monheim. Die Verbindlichkeiten gegenüber Kunden beliefen sich Ende 2019 laut Jahresabschluss der Bank auf knapp 3,3 Milliarden Euro. Etwa eine Milliarde davon soll einem Bericht der Ratingagentur Scope zufolge von privaten Anlegern stammen.
Pikant an der Geschichte könnte werden, dass die Bafin bereits vor rund einem Jahr, Anfang 2020 Hinweise bekommen hat, dass es bei der Greensill-Bank Ungereimtheiten geben könnte. Offenbar hatte der deutsche Bankenverband darauf aufmerksam gemacht, dass das Management von Greensill sich nicht an die Regeln eines Einlagensicherungsfonds der Privatbanken halte.
"Unter den Augen der Finanzaufsicht BaFin ist hier eine Bank offenbar in massive Schieflage geraten", sagte Michael Peters, Referent für Finanzmärkte bei der Bürgerbewegung Finanzwende der DW. Angesichts des Versagens der BaFin bei Wirecard und früheren Anlagepleiten wäre es nicht das erste Mal, dass die Aufsicht zu wenig getan oder zu spät erst reagiert habe.
Auf dem sonnigen Rathausplatz blickt der Monheimer Otto, der seinen Nachnahmen nicht nennen möchte, auf das Fahrrad des Bürgermeisters und meint: "Das war kein Risikogeschäft. Wir haben Geld bei einer Bank angelegt, da hätte sowas nicht passieren dürfen. Die Bafin hätte uns absichern sollen." Den Bürgermeister selbst könne er nicht leiden, aber den Verlust nehme er ihm nicht übel, so etwas sei menschlich. Ob sich die kleine Gemeinde am Rhein aber weiter auf Sonnenseite wiederfinden wird? Die Lust auf riskante Geldanlagen dürfte dem Bürgermeister vorerst vergangen sein.