Der Unermüdliche: Wolfgang Schäuble wird 75
18. September 2017Nur noch eine knappe Woche, dann wird in Deutschland ein neues Parlament gewählt. Der Bundestagswahlkampf befindet sich im Endspurt. Die Politiker werben um jede Stimme, ein Termin reiht sich an den nächsten. Insofern war selbst der Auftritt der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin an diesem Montag auf dem Geburtstagsempfang ihres Parteifreundes und Finanzministers ein Teil des Wahlkampfs. Angela Merkel hielt eine Rede, die CDU hatte die Presse eigens dazu nach Offenburg eingeladen.
Doch ist da mehr. Angela Merkel und Wolfgang Schäuble haben ein besonderes Verhältnis zueinander. Er ist der Strippenzieher im Hintergrund, derjenige in der Partei, an dem niemand vorbei kann. Solange Merkel Schäuble auf ihrer Seite weiß, kann ihr in der CDU keiner den Rang streitig machen. Dennoch ist ihr Verhältnis nicht ungetrübt. Schon allein, weil sie das erreicht hat, was ihm, dem doch so Ambitionierten und Ehrgeizigen verwehrt blieb: Die Kanzlerschaft.
Auch Bundespräsident wurde Schäuble nie, obwohl er zweimal dafür gehandelt wurde. Ein bekannter Historiker beschrieb es einmal so: Schäuble sei wohl die "fähigste und zugleich tragischste Persönlichkeit in der neueren CDU-Geschichte".
Merkel zog an ihm vorbei
Als 1989 die Mauer fiel und die junge DDR-Bürgerin Merkel ein paar Monate darauf ihre ersten Schritte in die Politik machte, war Wolfgang Schäuble Bundesinnenminister und saß seit 17 Jahren im Bundestag. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits gewichtige Posten in der Fraktion innegehabt und war Kanzleramtsminister gewesen. Als Innenminister handelte er 1990 den Einheitsvertrag mit der DDR aus. Sein Wort hatte Gewicht, auch als es im Bundestag um die Frage ging, wo das politische Zentrum des wiedervereinigten Landes liegen sollte. Schäuble warb für Berlin und die Mehrheit der Abgeordneten folgte ihm.
Unter Kanzler Helmut Kohl machte Schäuble in den neunziger Jahren weiter Karriere, wurde Partei- und Fraktionsvorsitzender und nicht wenige sahen in ihm sogar den künftigen Regierungschef. Doch dann wurde die Parteispendenaffäre um Kohl und die CDU bekannt. Auch Schäuble verstrickte sich in Widersprüche. Im Februar 2000 erklärte er seinen Rücktritt vom Partei- und Fraktionsvorsitz.
Für den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ist Schäuble ein Bauernopfer, der für andere den Kopf hinhalten musste. "Er wird bestraft für die Sünden von anderen, darüber ist kein Zweifel", so von Weizsäcker. "Ich habe großen Respekt für alles, was er getan hat, und bin auch ganz sicher, dass er in der Geschichte der CDU einen ehrenvollen Platz hat und behalten wird."
Nie aufgeben
Aus der zweiten Reihe heraus musste Wolfgang Schäuble zusehen, wie statt seiner nun Angela Merkel in der CDU zum Zuge kam. Wie er damit umging? Pragmatisch, wie stets in seinem Leben. "Was aus einem krummem Holz geschnitzt wird, kann nie ganz gerade werden", dieser Satz stammt von dem deutschen Philosophen Immanuel Kant und Schäuble zitiert ihn gerne. Im Leben wie in der Politik läuft nicht alles nach Plan, aber man muss damit umgehen.
Das musste Schäuble auch, nachdem ihn 1990 ein geistig verwirrter Mann am Ende einer Wahlkampfveranstaltung im badischen Oppenau niedergeschossen hatte. Ein Schuss zertrümmerte seine rechte Kieferseite, der zweite traf ihn in die Wirbelsäule. Wolfgang Schäuble überlebte, aber er blieb, querschnittgelähmt, an den Rollstuhl gefesselt. Trotzdem nahm der zuvor leidenschaftliche Sportler nur sechs Wochen nach dem Attentat seine Amtsgeschäfte wieder auf. "So ist das im Leben, das kann von einer Sekunde auf die andere ganz anders sein", sagte er damals. "Manchmal liegen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt nahe beieinander."
Mitleid will er nicht
Im Herbst 2005 bringt Angela Merkel die Union zurück an die Macht. Schäuble wird ihr Innenminister und ruft, teils gegen innerparteilichen Widerstand, eine Islamkonferenz ins Leben. Zu einem zentralen Thema seiner Amtszeit macht er die Terrorbekämpfung. Immer wieder fordert er, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen, den Datenschutz zu lockern und den Abschuss von entführten Passagierflugzeugen zuzulassen. Dies trägt ihm heftige Kritik aus der Opposition und sogar aus den eigenen Reihen ein.
Ist Schäuble inzwischen verbittert? Solchen Vermutungen tritt er selbst vehement entgegen. "Es gab einmal die Erfahrung, dass ein früherer SPD-Fraktions-Vorsitzender gesagt hat, der Rollstuhl habe mich böse gemacht. Das hat mich sehr verletzt." Die Debatte, ob ein Rollstuhlfahrer politische Ämter wahrnehmen könne oder nicht, die finde er hingegen "ehrlich", die verletze ihn auch nicht, so Schäuble. "Ich finde, es ist ja auch wirklich eine Frage, über die man mit Fug und Recht unterschiedlicher Meinung sein kann."
Der Euro, die Griechen und der Sparhaushalt
Die Behinderung macht ihm nur einmal wirklich Probleme. Das ist im Jahr 2010. Auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise hat Angela Merkel Wolfgang Schäuble zu ihrem Finanzminister gemacht. Doch während die EU-Finanzminister in Brüssel ein Milliardenpaket zur Rettung des Euro beschließen, muss Schäuble in die Klinik. Er hat eine Infektion, ein neues Antibiotikum nicht vertragen und sich wundgesessen. Er bietet Merkel seinen Rücktritt an. "Also meine Aufgabe ist eine relativ begrenzte. Deswegen hat man auch einen Menschen wie mich, mit einer geringen Belastbarkeit, für diese Aufgabe gewählt", sagt er Journalisten gegenüber in gespielter Bescheidenheit. Doch die Kanzlerin lehnt seinen Rücktritt ab. Sie braucht ihn.
Wie sehr, das zeigt sich in den folgenden Jahren. Schäuble kämpft mit harten Bandagen, streitet für die Euro-Rettung und mit den Griechen. 2014 schließt er erstmals den Bundeshaushalt mit einer schwarzen Null ab, in den Haushalten 2015 und 2016 erzielt er Überschüsse. "Da wir gelegentlich kritisiert werden, wir hätten gar nicht gespart und auf der anderen Seite kritisiert werden, außer Sparen falle uns nicht viel ein, muss es eigentlich im Ergebnis doch so gewesen sein, dass wir die gegebenen Möglichkeiten einigermaßen gut genutzt haben", lautet sein Urteil zum Ende seiner laufenden Amtszeit.
Im neuen Bundestag wäre er der Dienstälteste
Aber von wegen Ende: Wolfgang Schäuble will es noch einmal wissen. Im August hat er auf der Nordsee-Insel Sylt Urlaub gemacht, so wie jedes Jahr. Frisch und erholt hat er sich anschließend wieder in den Wahlkampf gestürzt. Mit nun 75 Jahren kandidiert der CDU-Politiker in seinem baden-württembergischen Wahlkreis Offenburg erneut als Direktkandidat für den Deutschen Bundestag. Zum 13. Mal in 45 Jahren. Und natürlich will er seinen Wahlkreis auch diesmal wieder gewinnen. So wie es jetzt aussieht, wird Schäuble bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags die Eröffnungsrede halten - als dienstältester Abgeordneter im Parlament.