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Deutsche Wirtschaft verliert an Schwung

Rolf Wenkel14. August 2014

Die deutsche Wirtschaft ist im Frühjahr erstmals seit gut einem Jahr geschrumpft. Zwischen April und Juni ließ die Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent zum Vorquartal nach. Experten sprechen nur von einer Delle.

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Symbolbild Maschinenbau Ingenieure
Bild: picture-alliance/dpa

Bekommt die deutsche Wirtschaft eine Sommergrippe? Ukraine-Krise, Russland-Boykott, viele mögliche Explosionsherde im Nahen Osten, mögliche Engpässe bei der Öl- und Gasversorgung, ein starker Euro, der deutsche Waren teuer macht auf dem Weltmarkt - das alles schmeckt den Unternehmen in Deutschland nicht. Kein Wunder, dass gerade der Außenhandel schwächelt und die Firmenchefs angesichts der internationalen Unsicherheiten ihre Investitionsentscheidungen erst einmal zurückstellen.

Mit Folgen für das Bruttoinlandsprodukt: Wegen des schwächelnden Außenhandels und sinkender Investitionen fiel die deutsche Wirtschaftsleistung zwischen April und Juni überraschend um 0,2 Prozent zum Vorquartal, melden die Fachleute vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden. Das ist bereits schlimmer, als die meisten Experten erwartet hatten, denn viele von ihnen hatten schlimmstenfalls mit einer Stagnation grechenet.

Immerhin: "Das ist nur eine Delle", beruhigt der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. "Ich sehe keine Rezessionsgefahr." Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin macht auf einen statistischen Effekt aufmerksam: "Die schwache Entwicklung ist zu einem guten Teil dem Vergleich mit dem starken ersten Quartal geschuldet, in dem vor allem die Bauwirtschaft durch den milden Winter merklich angekurbelt worden war" sagt Ferdinand Fichtner, Konjunkturchef des DIW.

Geopolitische Krisen

Im Vergleich zum Auftaktquartal ist die Bauproduktion in den Monaten von April bis Juni sechs Prozent geringer ausgefallen. Die Berliner Konjunkturforscher machen aber nicht nur die Witterungseffekte für den Rücksetzer verantwortlich: "Die rückläufigen Ausrüstungsinvestitionen weisen auf erste Bremsspuren aufgrund der geopolitischen Krisen hin", warnt DIW-Deutschlandexperte Simon Junker. Auch die anhaltend schwierige Lage vor allem in den Krisenländern des Euroraums belastet die deutsche Konjunktur weiterhin, so das DIW Berlin.

Holger Sandte von der Nordea Bank macht nicht nur die gegenwärtigen Krisenherde für die Flaute verantwortlich: "Vielleicht noch wichtiger ist die anhaltende Schwäche in wichtigen Partnerländern wie Frankreich und Italien." Denn bei Deutschlands wichtigstem Handelspartner Frankreich stagnierte die Wirtschaft im Frühjahr. Die Regierung in Paris halbierte deshalb ihre Wachstumsprognose für 2014 und rechnet mit einer höheren Neuverschuldung. Das Bruttoinlandprodukt werde voraussichtlich nur um 0,5 Prozent zulegen, schrieb Finanzminister Michel Sapin in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung "Le Monde".

Revidierte Prognosen

In Deutschland war die Wirtschaft im ersten Quartal noch um 0,7 Prozent gewachsen und hatte vor allem vom milden Winter profitiert. Deshalb waren viele Investitionen in der Baubranche vorgezogen worden, die nun im Frühjahr fehlten, wie die Statistiker erklärten. Aber auch bei Ausgaben in Maschinen und Anlagen hielten sich die Firmen zurück. Da die Exporte weniger stark stiegen als die Importe, dämpfte der Außenhandel die Konjunktur zusätzlich. Für Impulse hingegen sorgten die privaten Verbraucher und die öffentlichen Haushalte, die ihre Ausgaben jeweils leicht steigerten.

Die Bundesregierung rechnet 2014 mit 1,8 Prozent Wachstum und 2015 mit plus 2,0 Prozent. Wegen der Folgen der Ukraine-Krise und wachsender Unsicherheiten haben zuletzt viele Ökonomen allerdings ihre Schätzung für dieses Jahr gesenkt. "Wir haben unsere Prognose bereits von 2,0 auf 1,7 Prozent heruntergenommen", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. Er betonte aber: "Um ein solches Wachstum beneiden uns die meisten Länder in der Euro-Zone."

Neue Rechenmethoden

Zu einigen Missverständnissen haben die neuesten Zahlen aus dem Statistischen Bundesamt geführt, denn "mit der Erstberechnung des zweiten Quartals 2014 gibt das Statistische Bundesamt auch erste Ergebnisse der Generalrevision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) bekannt. Die Revision war notwendig, um das ab September 2014 rechtsverbindliche Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 2010)umzusetzen", heißt es in der Pressemitteilung.

Nach der neuen Rechenmethode ist die Wirtschaftsleistung ist um durchschnittlich etwa drei Prozent höher als bislang berechnet, schätzt das Statistische Bundesamt. Lag die Summe der in Deutschland hergestellten Produkte und erbrachten Dienstleistungen 2013 bei ursprünglich 2738 Milliarden Euro, so erhöht sie sich durch die Neuberechnung nun um rund 72 Milliarden Euro.

Heißt das nun, dass ohne diese Neuberechnung aus der Wachstumsdelle im zweiten Quartal ein tiefer Einbruch geworden wäre? Nein. Das BIP wird lediglich einmal auf ein um 72 Milliarden Euro höheres Niveau angehoben, und anschließend wird aus Gründen der Vergleichbarkeit das Bruttoinlandsprodukt zurückberechnet bis in das Jahr 1991. Somit ändert sich an den jährlichen Veränderungsraten voraussichtlich nur wenig: Im Schnitt werden die alten Ergebnisse um bis zu 0,3 Punkte angepasst. So wurde das Wachstum für 2013 von ursprünglich 0,4 auf 0,1 Prozent nach unten revidiert. Genaue Ergebnisse der Neuberechnung will das Statistische Bundesamt am 1. September bekannt geben.