Deutschlands starker Arbeitsmarkt
17. Mai 2017Die Kennziffern für den deutschen Arbeitsmarkt geben Stoff für gleich mehrere Superlative. Zum Beispiel waren seit Beginn der gesamtdeutschen Statistik 1991 noch nie so viele Menschen in Lohn und Brot wie zurzeit: Rund 43,7 Millionen. Diese Zahl veröffentlichte das Statistische Bundesamt am Dienstag (16.05.2017) in Wiesbaden.
Genau eine Woche zuvor hatte das IAB, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, einen anderen Rekord gemeldet: Demnach sind in Deutschland noch 1.064.000 Stellen unbesetzt. Das hatte das IAB, die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, in einer Umfrage unter fast 8000 Arbeitgebern aller Branchen herausgefunden. Dabei wurden auch jene offenen Stellen mitgezählt, die den lokalen Arbeitsagenturen nicht gemeldet worden waren.
Frucht des Wirtschaftsbooms
Diese Zahlen kommen nicht von ungefähr, sagt Volkswirtschaftler Alexander Kubis vom IAB im Gespräch mit der DW. Die deutsche Wirtschaft profitiere von einer anziehenden Weltwirtschaft und einer steigenden Binnennachfrage. Das führe dazu, so Kubis, "dass wir schon seit einer ganzen Weile einen relativ starken Beschäftigungsaufbau haben. Dieser Aufbau generiert natürlich auch offene Stellen. Zum anderen sind Stellen eben nach einer Weile auch neu zu besetzen. Da wird dann ein Ersatzbedarf generiert."
Doch wie kann es sein, dass eine Million Arbeitsstellen nicht besetzt sind, während doch - je nach Buchführung und Zählweise - knapp drei Millionen Menschen einen Arbeitsplatz suchen? Dieses Phänomen ist nicht nur am Arbeitsmarkt zu beobachten, sondern auch bei den Lehrstellen. In ihrem Berufsbildungsbericht 2017 hatte die Bundesregierung im April festgestellt, dass längst nicht alle Jugendliche einen Ausbildungsplatz finden. Dennoch war Bildungsministerin Johanna Wanka damals zu dem Schluss gekommen: "Jugendliche hatten selten so gute Chancen auf einen interessanten Ausbildungsplatz wie heute."
Grundsätzlicher Wandel am Arbeitsmarkt
Diesen scheinbaren Widerspruch erklärt Alexander Kubis für den Arbeitsmarkt so: " Der Arbeitsmarkt hat sich komplett gewandelt in den letzten Jahren: Wir hatten bislang einen so genannten Arbeitgebermarkt, das heißt, die Betriebe konnten unter relativ vielen Bewerbern aussuchen."
Das habe sich nun aber fast umgekehrt. Inzwischen kämen immer weniger Bewerber auf immer mehr Stellen, jetzt könnten sich eher die Arbeitsuchenden oder die Lehrlinge aussuchen, welches Angebot sie annehmen möchten.
Dass Angebot und Nachfrage sowohl bei den Lehr- wie bei den Arbeitsstellen nicht im Einklang stehen, nennt Ministerin Wanke ein "Passungsproblem". Die Angebote, die Arbeitgeber machten, passten nicht zu den Vorstellungen, die junge Menschen in Bezug auf ihre berufliche Zukunft haben.
Ist das jetzt der Fachkräftemangel?
Seit Jahren malen viele Vertreter der deutschen Wirtschaft das Bild vom Fachkräftemangel in Deutschland an die Wand. Den aber kann Alexander Kubis aus den Zahlen, die das IAB erhoben hat, nicht herauslesen: "Wir haben momentan auf 100 offene Stellen 260 Arbeitslose. Diese Zahl zeigt, dass wir keinen flächendeckenden Fachkräftemangel in Deutschland haben. Allerdings haben wir in einzelnen Regionen und Berufsgruppen Engpässe."
So zeigt die Studie, dass in einigen Branchen kaum noch Arbeitskräfte gesucht werden - das betrifft unter anderem die Land- und Forstwirtschaft. In anderen Bereichen ist die Nachfrage aber weiterhin sehr hoch: Besonders viele freie Stellen gibt es derzeit in der Logistik und im Lagerwesen. Auch die Baubranche und viele Dienstleister suchen noch Arbeitskräfte, zum Beispiel für Gesundheits-und Pflegeberufe.
Einen Fachkräftemangel, so Kubis, würde er "an anderen Punkten festmachen". Es sei wohl eher so, dass ein Betrieb heute länger suchen muss als früher, bis er einen passenden Arbeitnehmer findet: "Wir sehen, dass die Besetzungsdauer - also die Zeit, die Betriebe brauchen, um ihre offene Stelle fertig zu besetzen - im Moment bei 82 Tagen liegt. Das ist deutlich länger als noch zum Beispiel 2010, wo die Betriebe 70 Tage brauchten."
Gute Ausbildung ist gefragt
Bei einem Kriterium sieht aber auch Alexander Kubis einen Grund, näher hinzuschauen: Bei der Qualität der Ausbildung: "Wir sehen, dass die Qualifikation eine immer stärkere Rolle bei den Stellenbesetzungen einnimmt. Vor allen Dingen auch bei den nicht akademischen Berufsfeldern."
Bei der Million noch freier Stellen akzeptieren die Betriebe nämlich nur für jede fünfte Stelle einen Bewerber, der keine Qualifikation mitbringt. Für 64 Prozent der offenen Stellen muss ein Arbeitssuchender eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen und für 16 Prozent der Jobs sogar ein Hochschulstudium abgeschlossen haben.
Und überhaupt, so Kubis, es sei wichtig, "dass die Ausbildung eben eine gute Ausbildung ist und das setzt eben auch voraus, dass die schulische Ausbildung eine gute ist". Ins gleiche Horn stößt auch Bildungsministerin Johanna Wanka, die aber gleichzeitig beklagt, dass die Zahl der Betriebe, die selbst ausbilden, schwindet.
Dabei, so die Ministerin, sei das duale Ausbildungssystem, das in Deutschland eine lange Tradition hat, besonders wichtig. Bereits im vergangenen Jahr hat die Regierung in Berlin eine Info-Kampagne zur gesellschaftlichen Bedeutung von einigen Hundert Ausbildungsberufen vorgestellt. Junge Menschen sollten so erkennen, dass eine duale Ausbildung "vielfältige Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten" eröffne und eine gute Alternative zum Hochschulstudium sei.
Andere Wege beschreiten
Fast drei Millionen Arbeitslose und mehr als eine Million unbesetzte Stellen - für Volkswirtschaftler Kubis passen diese Zahlen nicht nur zusammen, sie seien auch ein gutes Zeichen: "Der Arbeitsmarkt an sich funktioniert schon relativ gut in Deutschland."
Es gebe durchaus Anhaltspunkte dafür, dass die beiden Kennziffern einander sogar ergänzen, denn "die meisten Stellen können in der Regel nach einer gewissen Zeit besetzt werden, es dauert nur deutlich länger."
Das sei jedoch, so Kube, kein Selbstläufer. Arbeitssuchende müssten immer stärker auf eine gute Ausbildung achten und die Betriebe müssten ihrerseits "attraktive Jobangebote zur Verfügung stellen". Und vor allem sollten "Betriebe und Beschäftigte breiter suchen. Man soll sich nicht nur auf persönliche Kontakte, die Homepage oder Zeitschriftannoncen verlassen. Man muss auch andere Wege beschreiten, um künftig erfolgreich am Arbeitsmarkt zu sein."