Der unerwünschte Gast
19. Mai 2014Der Widerstand gegen den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten am kommenden Samstag in Deutschland lässt nicht nach und zieht immer weitere Kreise. Direkt am Veranstaltungsort in Köln werden jetzt zudem mindestens 10.000 Demonstranten gegen Recep Tayyip Erdogan erwartet. Zur persona non grata soll er dennoch nicht erklärt werden. Die Bundesregierung unter Angela Merkel will sich nicht für eine Absage des umstrittenen Besuchs einsetzen, mahnt ihn den türkischen Premier aber eindringlich zur Besonnenheit.
"Die Bundesregierung geht davon aus, dass Ministerpräsident Erdogan mit Verantwortungsbewusstsein und Sensibilität sich diesem Auftritt widmet", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Er stellte einseits klar: "Der türkische Ministerpräsident - Ministerpräsident eines Landes, das uns ein wirklich enger und wichtiger Partner ist - ist in Deutschland willkommen." Andererseits gab er zu Bedenken, der Besuch komme "zu einer sehr schwierigen, belasteten Zeit".
Berlin hoffe, dass sich Erdogan der besonderen Verantwortung auch bewusst sei, damit die Kölner Veranstaltung "tatsächlich zum guten Zusammenleben der Menschen beiträgt".
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte, er gehe fest davon aus, dass sich Erdogan "in angemessener Weise den internationalen Gepflogenheiten" entsprechend verhalten werde. Der SPD-Politiker sagte: "Ich glaube, unsere Demokratie hält es aus, wenn Herr Erdogan sich in Deutschland an seine Landsleute wendet." Er warne vor einer Debatte darüber, ob der Besuch zu vermeiden sei. "Das würde dem Stand der deutsch-türkischen Beziehungen nicht entsprechen."
Der Kölner Eklat von 2008
Der islamisch-konservative Regierungschef der Türkei will vor seinen Anhängern in Köln sprechen. Befürchtet wird, dass er seine Rede für Wahlkampfzwecke nutzen könnte. Es wird damit gerechnet, dass sich Erdogan bei der Präsidentenwahl im Sommer bewerben will. 2008 hatte Erdogan bei einem Auftritt in Köln die rund drei Millionen Deutsch-Türken davor gewarnt, sich zu assimilieren und damit eine hitzige Debatte provoziert. In nationalistischer Manier hatte sich der türkische Parteiführer damals zu der Behauptung verstiegen, "kulturelle Verschmelzung" sei ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
Im eigenen Land steht Erdogan vor allem wegen einer Korruptionsaffäre und des oft rücksichtslosen Vorgehens der Staatsmacht gegen Demonstranten und Bürgerbewegungen massiv in der Kritik. Nach der jüngsten Bergwerks-Katastrophe in Soma hatte er zunächst von einem üblichen "Unfall" gesprochen und sich dann beleidigend über die Proteste geäußert. Gegen Demonstranten und Trauernde waren Wasserwerfer, Tränengas und Gummiknüppel eingesetzt worden.
SC/qu (rtr, afp, dpa, epd)