Die Festung Europa kann tödlich sein
30. September 2005Stacheldraht, meterhohe Zäune, Infrarotkameras, bewaffnete Sicherheitskräfte - an der Grenze der beiden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla an Marokkos Küste ist die "Festung Europa" nicht nur eine Metapher. Nach dem Massenansturm afrikanischer Flüchtlinge in den vergangenen Nächten will Spanien nun zusätzlich Soldaten dorthin schicken. Er habe vom Ministerpräsidenten die Anordnung erhalten, die Küstenwache in den Exklaven mit Truppen zu verstärken, erklärte Verteidigungsminister Jose Bono am Donnerstag (29.9.2005). Wie viele Soldaten stationiert werden sollen, konnte er zunächst nicht sagen. In der Nacht zuvor waren mindestens fünf afrikanische Flüchtlinge gestorben, als bis zu 600 Menschen versuchten, den Grenzzaun von Ceuta mit Leitern zu überwinden.
Auf dem Weg nach Europa sterben Tausende
Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) versuche derzeit herauszufinden, wie es zu den Todesfällen kommen konnte, sagt der UNHCR-Sprecher Rupert Colville. Allerdings betreffe das Problem nicht nur die beiden Exklaven, sondern die ganze EU: "Bei dem Versuch, nach Europa zu kommen, stirbt eine schockierende Zahl von Menschen." In den vergangenen zwölf Jahren seien 6300 Fälle dokumentiert worden - und dies sei wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges, da die Toten oft nicht gemeldet oder gefunden würden.
Eine Patentlösung gebe es wegen der Komplexität des Problems nicht - die Fragen reichten von der Entwicklung in Afrika über das Seerecht bis hin zu den Asylgesetzen, sagt Colville. Klar sei aber: "Die Staaten müssen sich des Problems stärker als bisher annehmen." Der europäische Umgang mit Einwanderung erinnere an die Prohibition in den Vereinigten Staaten, sagt Colville: So wie das Verbot von Alkohol mafiöse Strukturen begünstigt habe, so spiele die Abschottung in die Hände von Schleusern.
Kein legaler Weg
Wer einen Asylantrag in Europa stellen will, dem bleibt nichts anderes übrig, als illegal einzuwandern - es sei denn er kommt mit dem Flugzeug oder per Schiff. Genau das sei für politisch Verfolgte jedoch kaum möglich: "Wer aus einem Staat flieht, in dem er verfolgt wird, kann dort keinen Pass beantragen, um legal auszureisen", erklärt Colville. Der Versuch, so genannte Wirtschaftsflüchtlinge fernzuhalten, habe dazu geführt, dass es für politisch Verfolgte kaum noch einen Zugang gebe.
"Europa hat den Fehler gemacht, sich in eine rein defensive Abschottungsmentalität zu verbeißen", sagt auch Wolfgang Bosswick, Geschäftsführer des Europäisches Forum für Migrationsstudien. "Es gibt derzeit keinen legalen Weg, als Arbeitsmigrant nach Europa zu kommen, sieht man von Programmen wie der Greencard im hoch qualifizierten Bereich ab."
Restriktive Politik
Langfristig führe wegen der demographischen Entwicklung in Europa ohnehin kein Weg an einer Einwanderungspolitik vorbei, sagt Bosswick. In Deutschland beispielsweise werde die Bevölkerungszahl bis 2050 auch dann von gegenwärtig rund 82 Millionen auf 60 bis 70 Millionen sinken, wenn weiterhin rund 200.000 Menschen pro Jahr einwandern. Länder wie Kanada hätten dagegen längst Systeme entwickelt, um die Einwanderung sowohl von qualifizierten als auch von ungelernten Arbeitskräften zu lenken. Zwar sei Einwanderung ein ambivalenter Prozess, aber: "Die Einwanderung trägt dort stark zur wirtschaftlichen Dynamik bei, weil die Migranten oft als Unternehmer in eigener Sache agieren."
Auch die EU-Kommission sieht einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen in Ceuta und Melilla und der restriktiven Politik der europäischen Staaten. "Diese Tragödie zeugt einmal mehr von der dringenden Notwendigkeit eines echten und wirksamen Managements in Migrationsfragen", sagte die Kommissionssprecherin Francoise Le Bail am Donnerstag. Für die Eindämmung der illegalen Einwanderung sei ein klarer rechtlicher Rahmen für die legale Migration nötig. (stu)