Die SPD hat eine neue Chefin
22. April 2018Es dauerte ein paar Sekunden, bis Andrea Nahles ihren Gesichtsausdruck wieder im Griff hatte. 66,35 Prozent der Stimmen - die SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, die als haushohe Favoritin in die Abstimmung gegangen war, hatte wohl mit einem besseren Ergebnis gerechnet. Ganz sicher nicht mit dem zweitschlechtesten in der Nachkriegsgeschichte der SPD.
Ihre Gegenkandidatin - die bis vor wenigen Wochen auf Bundesebene nahezu unbekannte Oberbürgermeisterin von Flensburg, Simone Lange - erhielt auf dem Bundesparteitag der SPD in Wiesbaden satte 172 Stimmen. Nur 414 Delegierte stimmten für Nahles.
Dabei hatten die 635 Delegierten Nahles nach ihrer Bewerbungsrede durchaus viel Applaus gespendet: "Ich heiße Andrea Nahles und wohne mit meiner Tochter Ella in der Eifel", hatte die nunmehr erste Frau an der Spitze der SPD ihre Bewerbungsrede begonnen. "Katholisch, Arbeiterkind, Mädchen, Land", es sei nicht unbedingt logisch gewesen, dass sie in der SPD Karriere machen würde, so beschrieb Nahles, die vor 30 Jahren einen SPD-Ortsverband in ihrem Heimatdorf gründete, ihren Werdegang.
Nahles will die Partei wieder einen
Den Delegierten versprach sie einen neuen Kurs und Veränderung. "Wir wollen keinen Stein auf dem anderen lassen, wenn es uns weiterbringt", kündigte die Rheinland-Pfälzerin an. Unter ihrer Führung werde die Erneuerung der Partei neben der Regierungsverantwortung in der Koalition mit der Union nicht zu kurz kommen. "Es wird uns gelingen, Leute. Gemeinsam sind wir stark. Wir packen das. Das ist mein Versprechen."
In ihrer Rede warb sie dafür, stärker auf das Prinzip der Solidarität zu setzen. Die Partei müsse dabei über alles reden. Zugleich räumte sie Fehler im Bundestagswahlkampf ein. "Warum haben wir nur 20,5 Prozent bekommen?" Die SPD habe im Wahlkampf zwar gesagt, was das Ziel sei, nämlich mehr Gerechtigkeit. Es sei aber versäumt worden, den Weg zu diesem Ziel aufzuzeigen. "Das Ziel zu benennen, aber den Weg im Vagen zu belassen, das geht nicht", so Nahles. Das werde sich nun ändern.
Simone Lange stärker als gedacht
Mit Andrea Nahles und Simone Lange hatte die Partei nicht nur die Wahl zwischen zwei ganz unterschiedlichen Politikerinnen, sondern auch zwischen verschiedenen Konzepten für eine Erneuerung der SPD.
Simone Lange trat nicht zufällig in einem knallroten Kleid auf. Sie würde die Partei gerne deutlich weiter links im politischen Spektrum positionieren. Wie so vielen anderen Genossen auch ist ihr Hartz IV, die Grundsicherung für Arbeitslose, ein Dorn im Auge. Ginge es nach Lange, würde die 2003 unter dem damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder beschlossene Arbeitsmarktreform so schnell wie möglich abgeschafft.
"Wenn wir über Hartz IV debattieren, dann ist das keine Vergangenheitsdebatte", so Lange in ihrer Bewerbungsrede auf dem Parteitag. Hartz IV sei für Millionen von Menschen Alltag. "Für Menschen, die auf uns gesetzt haben, die wir enttäuscht haben, denen wir danken müssen, dass sich Deutschlands Stabilität auf ihrem Rücken aufgebaut hat." Die SPD habe in Kauf genommen, dass sie in Armut leben würden, obwohl sie arbeiteten. "Dafür möchte ich mich bei den Menschen entschuldigen", so Lange.
Weiter nach links? Die SPD ist zerrissen
Sätze, die auf dem Parteitag gut ankamen. "Heute entscheidet die SPD über ihre künftige Ausrichtung: Wollen wir einen Aufbruch wagen oder wollen wir ein Weiter-so?", fragte Simone Lange die Delegierten. "Mich zu wählen, bedeutet Mut. Aber ohne den geht es nicht." Eine Aufforderung, der am Ende mehr Delegierte folgten als gedacht.
Kevin Kühnert, Juso-Vorsitzender und erklärter Gegner der großen Koalition, gratulierte Andrea Nahles nach der Wahl ausdrücklich, warnte aber davor, "im Guten wie im Schlechten das Wohl und Wehe der SPD auf eine Person zu projizieren". In der Kampfabstimmung zwischen zwei Kandidatinnen sieht Kühnert viel Gutes. Die SPD lerne gerade wieder eine Streitkultur. "Ich will keine Parteitage mehr mit irgendwie gangbaren Kompromissen", so Kühnert.
Ein Rat von Martin Schulz
Vor allem zum Ende des Parteitags waren in Wiesbaden viele Kameras auf Martin Schulz gerichtet. Der einstige Hoffnungsträger der SPD war im März 2017 mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt worden und nach einem desaströsen Wahlergebnis und dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit der Union von allen Posten zurückgetreten. In den letzten Wochen war es still um Schulz geworden, der jetzt nur noch als einfacher Abgeordneter im Bundestag sitzt.
Andrea Nahles dankte Schulz auf dem Parteitag ausdrücklich. "Auch und vor allem für deine Haltung, mit der du das alles durchgestanden hast." Schulz ergriff daraufhin noch einmal kurz das Wort und gab Nahles einen wichtigen Rat: "Du brauchst den Rücken frei, um dich mit dem politischen Gegner auseinanderzusetzen." Die Partei müsse hinter ihrer Vorsitzenden stehen. Bleibt abzuwarten, ob die SPD diesen Rat beherzigt.