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Die Spuren des Krieges in Mariupol

Christian F. Trippe, Mariupol27. Juli 2016

Der Krieg in der Ostukraine hat die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer gezeichnet. Fast jeder Fünfte hier ist ein Binnenflüchtling. Das Zentrum ist verwaist, die Lage unsicher, berichtet Christian F. Trippe.

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Polizeipräsidium in Mariupol (Foto: DW/Trippe)
Bild: DW/C.F.Trippe

Der Krieg hat sich in den Vororten von Mariupol eingerichtet: Tagsüber schläft er, nachts wird geschossen. Etwa sechs Kilometer von der Stadtgrenze entfernt verläuft die Demarkationslinie zwischen den Separatisten und jenen Gebieten, die mehr oder weniger von der ukrainischen Regierung in Kiew kontrolliert werden.

Der Krieg im Donbass hat in der Hafenstadt Spuren hinterlassen. Das ehemalige Polizeipräsidium im Stadtzentrum (siehe Bild oben) ist von einer Plane verhängt. Sie verdeckt, dass das Gebäude nicht mehr zu nutzen ist, weil viele der Büros ausgebrannt sind.

"Mariupol ist Ukraine", steht in vier Sprachen auf der Plane - auf Ukrainisch und Russisch, auf Englisch und Griechisch. Mariupol ist eine alte griechische Handelsniederlassung, eine Polis, in der bis heute rund 20.000 Griechen leben. Das Polizeipräsidium war im Frühjahr 2014 von Separatisten besetzt worden; dann haben Kombattanten des ukrainischen Freiwilligen-Bataillons "Asow" die Separatisten wieder verjagt.

Verwaistes Stadtzentrum

Doch Normalität ist mit der Befreiung Mariupols nicht zurückgekehrt. Das Stadtzentrum wirkt abends seltsam verwaist, trotz hochsommerlicher Temperaturen sind nur wenige Passanten unterwegs. Rund um das Stadttheater, das ausschließlich Stücke in russischer Sprache ankündigt, lungern ein paar Motorradfahrer vor einer Bäckerei. Taxen fahren vorbei, doch sie achten nicht auf die wenigen Touristen am Straßenrand, die per Handzeichen eine Taxe anhalten wollen.

Staatstheater in Mariupol (Foto: DW/Trippe)
Die Straßen in Mariupol sind leer - die meisten Menschen bleiben lieber zuhauseBild: DW/C.F.Trippe

"Sie müssen schon die Taxi-Zentrale anrufen", rät ein Motorradfahrer. Aus Sicherheitsgründen stoppe hier niemand, und die Taxizentrale nimmt die Bestellung auch nur entgegen, wenn das Fahrtziel präzise angegeben wird. Auch aus Sicherheitsgründen. Denn in letzter Zeit kam es in Mariupol immer wieder zu Übergriffen und Entführungen.

Trotzdem sind viele in diese Stadt geflüchtet - um rund 100.000 Einwohner ist Mariupol seit Beginn des Krieges gewachsen. Etwa 1,8 Millionen Binnenflüchtlinge gibt es laut Angaben der ukrainischen Regierung im gesamten Land. Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR schätzt deren Zahl auf rund eine Million. Die Zahlen sind ungenau, weil viele sich nicht als Binnenflüchtlinge registrieren lassen. Andere hingegen lassen sich registrieren, obwohl sie gar nicht geflohen sind, sondern weiter in den Separatistengebieten wohnen. Um aber ihre ukrainische Rente ausbezahlt zu bekommen, müssen sie einen Wohnsitz im nicht-besetzten Teil der Ukraine nachweisen.

Wer jeden Monat den beschwerlichen Weg durch die Demarkationslinie machen muss, der nimmt gerne auch noch die Zusatz-Zahlungen für Binnenflüchtlinge mit. Und das hat Folgen für den ukrainischen Sozialstaat und die Menschen, die hier leben. Jelysaweta Lewtschenko und ihre Familie sind offiziell registrierte Binnenflüchtlinge. Seit ihrer Flucht aus Luhansk im Sommer 2014 lebt die vierfache Mutter mit ihrem Mann in einem Vorort von Mariupol.

Unsicherheit - und kein Geld

Der ukrainische Staat zahlt ihnen 70 Euro Kindergeld plus rund 90 Euro Sonderhilfe für Binnenflüchtlinge. Von diesen insgesamt 160 Euro im Monat kann die sechsköpfige Familie nicht leben, zumal die Eltern derzeit keine Arbeit haben. Doch nun verzögert sich auch noch diese Hilfe - seit Mai hat der Staat die Gelder nicht mehr gezahlt.

Binnenflüchtling Jelsaweta Lewtschenko hält ihr Baby im Arm (Foto: DW/Trippe)
Jelsaweta Lewtschenko ist mit ihrer Familie vor zwei Jahren nach Mariupol geflohenBild: DW/C.F.Trippe

Für Jelysaweta ist das eine Katastrophe, für die sie den "Renten-Tourismus" aus den besetzen Ostgebieten verantwortlich macht. "Der Staat hat keine Idee, wie es mit den Binnenflüchtlingen weitergehen soll", sagte sie im Gespräch mit der DW.

Immerhin hat die Stadt selbst ein paar Ideen und vernetzt hier mit UN-Hilfe alle Organisationen, die sich um Flüchtlinge kümmern.

Doch mittelfristig müsste viel mehr geschehen, so Pablo Mateu, Leiter des UN-Flüchtlingshilfswerks in der Ukraine. "Wir können ihre Häuser reparieren, aber wenn es keine Jobs gibt, werden die Leute nicht in ihre Dörfer zurückkehren. Genau dort müssten Konjunktur- und Entwicklungsprogramme ansetzen."

"Stadt der Solidarität"

Solche Programme aber kosten Geld, das der ukrainische Staat in nächster Zeit kaum wird aufbringen können. Die sozialen Folgen des Krieges und die Reparatur der Infrastruktur im Donbass werden für Generationen eine Herausforderung für den Staatshaushalt bleiben.

Karte Ostukraine

Fürs Erste müssen kleine Schritte reichen, auch symbolische Gesten. Mariupol, das den Flüchtlings-Zustrom auch dank der Nichtregierungsorganisationen erstaunlich gut verkraftet hat, trägt nun den Titel "Stadt der Solidarität" - die UN zeichnete die Stadt für die großzügige Aufnahme von Binnenflüchtlingen aus.

Der stellvertretende Minister für die besetzten Gebiete, Heorhij Tuka, hofft, dass der Ehrentitel anderen als Beispiel dienen wird. "Rund um diese große Stadt, in der jetzt mehr als eine halbe Million Menschen leben und wo am Stadtrand täglich geschossen wird, sollte sich die ukrainische Gesellschaft solidarisieren."