Die Welt des Tanzes zu Gast in Hamburg
27. Februar 2014Deutsche Welle: Aus 200 Stücken der Freien Tanzszene haben Sie und ihre Jurykollegen zwölf Stücke ausgewählt. Diese werden vom 27. Februar bis zum 2. März in Hamburg aufgeführt. Fiel die Auswahl schwer?
Bettina Masuch: Eigentlich nicht. So einer Auswahl geht ja immer eine intensive Diskussion in der Jury und mit dem Veranstalter voraus, wen man eigentlich mit dieser Plattform erreichen will. Auf der einen Seite soll es State of the Art sein, es soll auf Tour gehen können, dann soll es einen guten Überblick über das Tanzschaffen in Deutschand geben, möglichst auch ein breites Spektrum abbilden. Wenn man sich erst einmal auf Kriterien geeinigt hat, dann ist es auch nicht mehr schwierig.
Die Tanzplattform ist eine Art Fest der internationalen tanzenden Avantgarde. Ist es damit eher etwas für Feinschmecker oder auch etwas für das "gemeine" Publikum, Menschen, die ansonsten mit Tanztheater nicht viel zu tun haben, sich aber angesprochen fühlen, mal hereinzuschauen?
Die Idee der Tanzplattform kann man mit einer Messe vergleichen. Kerngedanke so einer Veranstaltung ist, dass Veranstalter aus aller Herren Länder kommen, sich die Vorstellungen anschauen und dann hoffentlich einladen. Aber auch als Liebhaber des Tanzes, wenn man der Branche nicht professionell verbunden ist, hat man durchaus auch etwas davon. Auf jeden Fall können die Besucher einen umfassenden Überblick bekommen, was derzeit an zeitgenössischem Tanz in Deutschland passiert.
Neues aus der Tanz-Szene
Sie werden in Hamburg Stücke von Weltstars wie William Forsythe und Meg Stuart präsentieren, aber auch neuer deutscher Choreographen wie Sebastian Matthias. Welche Entwicklungen sind denn derzeit für die nationale und internationale Tanzszene prägend? Wohin geht die Reise?
Weil Tanz sehr international funktioniert, sind die Stilrichtungen inzwischen sehr durchmischt. Es gibt sehr viele hybride Formen. Aber man kann sagen, dass es eine Rückbesinnung auf das Arbeiten mit Musik, mit Musikensembles auf der Bühne gibt. Es wird also zur live gespielten Musik getanzt. Das gab es viele Jahre nicht. Es gibt auch mehr partizipative Formen, bei denen das Publikum nicht dem Geschehen kontemplativ beiwohnt, sondern Teil des Tanzgeschehens ist. Das ist eine Tendenz, die immer mehr zunimmt. Es gibt ein Rückbesinnen auf das Tanzerbe, einen sehr viel selbstbewussteren Umgang mit den Traditionen der Avantgarde. Das ist ein neues Thema.
Der Blick über den Tellerrand
Wo steht die deutsche Tanzszene im internationalen Vergleich?
Es gibt auf der einen Seite die bei den Theatern angesiedelten Ballett-Kompanien und auf der anderen Seite die sogenannte "freie" Szene. Das sind in der Regel unabhängige Choreographen, die zum Teil mit festen Ensembles arbeiten. Aber man muss sagen, die wenigsten können sich das leisten. Im internationalen Vergleich muss man sagen, dass Deutschland insgesamt eine sehr reiche Tanzlandschaft hat, weil wir auch ein reiches Land sind. Trotzdem gibt es nicht genug Infrastruktur für den Tanz in Deutschland. Wenn man nach Frankreich schaut, wo es vergleichsweise ähnliche Strukturen gibt: Dort haben Choreographen ganz andere Möglichkeiten, langfristig und kontinuierlich mit einem Ensemble zu arbeiten. Das führt immer zur Qualitätssteigerung. Da haben wir hierzulande noch etwas zu tun.
Was heißt das? Müssten wir mehr Geld in die Hand nehmen oder professioneller arbeiten, uns besser vernetzen?
Man ist in Deutschland schon sehr gut vernetzt. Es geht eher um langfristige Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten. Im Moment ist die Tanzförderung projektbasiert. Man kann immer nur für ein Projekt Geld beantragen. Wenn es prima läuft, dann hat man gute Chancen, wieder Geld zu erhalten. Aber man ist enormem Erfolgsdruck ausgesetzt. Wenn eine Produktion mal nicht so gut funktioniert, dann hat man es schwerer, eine Anschlussfinanzierung zu bekommen. Um ein bisschen Ruhe ins System zu bekommen und den Künstler die Möglichkeit zu geben, langfristig neue Stile, neue Formen auszuprobieren, da geht es nicht um mehr Geld. Man muss es nur anders organisieren.
Stars wachsen nicht auf Bäumen
Wenn man von den großen Stars redet, Pina Bausch oder William Forsythe, das sind alles Künstler, die in festen Strukturen Gelegenheit hatten, ihre eigene Sprache über einen längeren Zeitraum zu entwickeln. Rückblickend sieht man auch, dass nicht jede ihrer Arbeiten ein Meisterwerk war, aber sie hatten die Möglichkeit, immer weiter zu arbeiten. Das fehlt der jüngeren Choreographen-Generation.
Pina Bausch ist ein Name von großer Strahlkraft. Ihr Wuppertaler Tanztheater gelangte zu Weltruhm. 2009 verstarb sie. Wo steht die deutsche Tanzszene vier Jahre nach ihrem Tod?
Pina Bausch ist ein Meilenstein im deutschen Tanz. Sie hat mit ihren Choreographien Tanzgeschichte geschrieben. Aber: Ich komme aus der Nähe von Wuppertal und habe mitbekommen, wie groß anfangs die Proteste waren. Ich habe miterlebt, wie ihr Ensemble, ihr Intendant, die gesamte Kulturpolitik der Stadt und der Region hinter ihr standen und das ermöglicht haben. Doch für solche Entwicklungen, solche Künstler-Karrieren, die Signalcharakter haben, braucht man langen Atem. Die fallen nicht vom Himmel. Solche Kunst erfindet man nicht über Nacht. Wenn Kulturpolitik das will, muss man andere Weichen stellen.
Bettina Masuch ist seit Jahresbeginn Intendantin der international renommierten Einrichtung Tanzhaus NRW und Jurymitglied der Tanzplattform 2014.