Die Zukunft des Telefonierens
12. März 2005Wenn sich zwei Menschen am Telefon streiten, sich gegenseitig ins Wort fallen, dann spricht der Techniker von einer "Vollduplex-Verbindung in Echtzeit". Beim Telefonieren über das Festnetz oder das Handy empfinden wir das als Selbstverständlichkeit. Die Idee, über das Internet zu telefonieren, gibt es zwar schon lange, doch bislang scheiterten solche Versuche an der Übertragungskapazität der Datenleitungen.
Das ist nun dank so genannter Breitband-Verbindungen ohne spürbare Verzögerungen möglich. In Deutschland kann man schon eine bis drei Millionen Zeichen pro Sekunde über eine Breitband-Verbindung schicken, und die Telekom plant im Sommer die ersten Verbindungen mit sechs Millionen Zeichen pro Sekunde.
Größte Umwälzung
Damit schlägt auf der CeBIT (10. - 16.3.2005) die Stunde der Internet-Telefonie, sagt zum Beispiel Johannes Nill, Geschäftsführer des Berliner Telefonausrüsters AVM: "Wir befinden uns in einer Revolution. Ein starker Satz. Im Duden wird Revolution als umwälzend beschrieben, und bezogen auf die Telefonietechnik ist das genau der richtige Begriff. VoIP ist die größte Umwälzung in der Geschichte der modernen Kommunikation seit der Erfindung des Telefons."
Die neue Technik wird nicht nur von Unternehmen genutzt, die ohnehin über Breitbandverbindungen verfügen, sondern zunehmend auch Privatkunden mit DSL-Anschluss. Rund 6,7 Millionen DSL-Anschlüsse gibt es bereits in Deutschland, und bis Ende des Jahres sollen es zehn Millionen werden. Attraktiv für den Geldbeutel ist Voice over IP allemal, denn der Kunde zahlt nur die Grundgebühr für die Internet-Verbindung und Minutenpreise von ein bis zwei Cent - für Verbindungen in die ganze Welt.
Konkurrenz für Telekom
VoIP-Anbieter wie Sipgate, Freenet und Web.de haben bereits ihre Netze zusammengeschlossen, seitdem können ihre Kunden kostenlos miteinander telefonieren. Das könnte zu einer Gefahr für die großen Festnetz-Anbieter werden. Die britische Unternehmensberatung Analysis prophezeit den europäischen Festnetzbetreibern allein in den nächsten beiden Jahren Umsatzeinbußen von rund sechs Milliarden Euro.
Allerdings drohen in Deutschland, so sagen die VoIP-Anbieter, wieder einmal politische Bremsen die rasche Verbreitung der neuen Technik zu verhindern. Denn 90 Prozent aller DSL-Anschlüsse werden vom Ex-Monopolisten Deutsche Telekom betrieben. Sie vermarktet DSL für sich und ihre Wettbewerber jedoch nur in Verbindung mit einem Festnetzanschluss. "Wir brauchen vernünftige Breitbandbedingungen", fordert Nill deshalb. "Dazu zählt eine klare Vorgabe für einen fairen Vorleistungspreis. Zumindest so lange, wie es nur einen marktbeherrschenden Netzbetreiber gibt. Und natürlich gehört dazu auch die Entbündelung, also die Möglichkeit, den Breitbandanschluss auch ohne Festnetzanschluss zu marktkonformen Preisen zu erhalten."
Druck auf Regulierer
Zurzeit sind alle Konkurrenten der Telekom auf deren Monopol auf die berühmte "letzte Meile" angewiesen, die sie bei der Telekom kaufen müssen. Das ärgert zum Beispiel auch Harald Stöber, Chef des Telekom-Konkurrenten Arcor. "Wir haben bei Voice over IP immer eines zu berücksichtigen: Irgendwie muss das Signal zum Endkunden kommen", sagt er. "Und entweder Sie transportieren das durch Rauchsignale wie bei den Indianern, oder Sie Nutzen das Kupfer." Dies koste 11,80 Euro und sei zudem ein Hemmschuh für die alte und für die neue Technologie. "Deswegen ist der Regulierer sicherlich gut beraten", sagt Stöber, "sich seine Entscheidung zu den neuen Teiltarifen, die er ja im April fällen muss, sehr reiflich zu überlegen."
Fachleute bedrängen die Bonner Regulierungsbehörde, sich den so genannten light-touch-Ansatz der EU-Kommission zu eigen zu machen. Der besagt, dass die Einführung von Voice over IP nicht durch regulatorische Hürden behindert werden soll. Ansonsten könnte nämlich eintreten, was die Unternehmensberatung Arthur D. Little schon jetzt voraussagt: 2010 werden in Japan alle Breitband-Kunden über Voice over IP verfügen, in Frankreich 90 Prozent, in Hongkong 70 Prozent - während sich Deutschland mit mageren 25 Prozent wieder einmal mit den hinteren Rängen begnügen muss.