Präsident mit krimineller Vergangenheit
11. Januar 2021Am 10. Januar hat in Kirgisistan die vorgezogene Präsidentenwahl stattgefunden. Laut vorläufigen Angaben ist das Ergebnis eindeutig: Der ehemalige amtierende Premierminister und Übergangspräsident Sadyr Schaparow liegt mit über 79 Prozent der Stimmen deutlich in Führung.
18 Kandidaten bewarben sich um das Präsidentenamt. Zwei von ihnen haben am Montag angekündigt, dass sie die Wahlergebnisse nicht anerkennen. Sie sagen, es habe bei der Wahl massive Fälschungen gegeben.
Schaparows Name stand an erster Stelle auf dem Stimmzettel. Um an der Wahl teilnehmen zu können, musste er zuvor seine Befugnisse als Übergangspräsident ruhen lassen und das Premierministeramt niederlegen. Sadyr Schaparow hat einen zweifelhaften Ruf. Er ist mehrfach verurteilt und ihm wird vorgeworfen, im Oktober unrechtmäßig in Kirgisistan an die Macht gekommen zu sein. Dennoch gelang es ihm jetzt, das Rennen um die Präsidentschaft haushoch zu gewinnen.
Wie Schaparow Übergangspräsident wurde
Nach Unruhen im Oktober 2020 war der damalige Präsident Sooronbaj Dscheenbekow vorzeitig zurückgetreten und Sadyr Schaparow wurde amtierender Premier und Übergangspräsident. Doch seine Gegner sagen, er sei nicht legal in seine Ämter gekommen, denn es habe Verstöße bei der Ernennung Schaparows zum amtierenden Premier und Übergangspräsidenten gegeben.
Die Unruhen in der Hauptstadt Bischkek begannen nach den Parlamentswahlen am 4. Oktober. Mit dem Wahlergebnis unzufriedene Demonstranten stürmten das Parlament und ließen inhaftierte frühere Regierungsvertreter aus dem Gefängnis frei, darunter Sadyr Schaparow.
Per Eilverfahren und ohne dass eine Mindestzahl an Abgeordneten anwesend war, wurde Schaparow vom Parlament zum Premierminister bestimmt.
Juristen zufolge hätte Schaparow aber eigentlich zu diesem Zeitpunkt weiter im Gefängnis sitzen müssen, da eine gegen ihn 2013 erhobene Anklage wegen Geiselnahme noch nicht aufgehoben war. Außerdem sei die anschließende Übertragung auch noch der präsidialen Befugnisse auf Schaparow nicht rechtens gewesen. Diese Befugnisse wären eigentlich auf Parlamentspräsident Kanatbek Isajew übergegangen. Er hätte nach dem Rücktritt von Staatschef Sooronbaj Dscheenbekow nicht freiwillig auf die Übernahme von dessen Vollmachten verzichten dürfen.
Schaparows kriminelle Vergangenheit
2012 wurden Sadyr Schaparow und zwei weitere Mitglieder seiner parlamentarischen Fraktion "Ata-Schurt" wegen versuchter gewaltsamer Machtergreifung angeklagt. Als Vorwand dazu diente eine von ihm in Bischkek organisierte Kundgebung, bei der die Verstaatlichung der Kumtor-Goldmine gefordert wurde.
Die Teilnehmer dieser Aktion versuchten damals ins Parlament einzudringen. Bei Zusammenstößen mit der Polizei gab es einige Verletzte. Schaparow wurde zu anderthalb Jahren Haft verurteilt und musste sein Mandat niederlegen. Am 16. Oktober 2020, nach seiner Ernennung zum Premierminister und zum Übergangspräsidenten, sprach ihn das Oberste Gericht des Landes von diesem Vorwurf frei.
Im Jahr 2013 wurde ein weiteres Verfahren gegen Schaparow eingeleitet, unter anderem wegen Geiselnahme. Hintergrund: Bei erneuten Protesten wegen der Goldmine, die laut Augenzeugen von Schaparow organisiert wurden, versuchten die Demonstranten das regionale Verwaltungsgebäude der Region Issyk-Kul im Nordosten des Landes, wo sich die Goldmine Kumtor befindet, zu stürmen.
Dabei wurde ein Regierungsbeauftragter für die Region Issyk-Kul von den Demonstranten als Geisel genommen. Wie sich später herausstellte, war das Auto, in dem der Beamte festgehalten wurde, auf den Namen von Schaparows Schwester angemeldet.
Aus diesem Grund wurde das Verfahren gegen Schaparow eröffnet. Er verließ daraufhin das Land und lebte mehrere Jahre auf Zypern. 2017 wollte er an der Präsidentenwahl teilnehmen und gegen Sooronbaj Dscheenbekow antreten. Doch im selben Jahr wurde Schaparow an der Grenze zu Kasachstan festgenommen und kam nach seiner Verurteilung in Haft.
Wenige Tage vor der Präsidentenwahl 2021 wurde das Strafverfahren gegen Schaparow wegen Geiselnahme aus dem Jahr 2013 eingestellt. Nach Ansicht von vier anderen Präsidentschaftskandidaten sind alle Freisprüche des Obersten Gerichts in der Nacht vom 5. auf dem 6. Oktober 2020 illegal erfolgt, indem unter Druck gegen Verfahrensnormen verstoßen worden sei.
Schaparows Werdegang
Sadyr Schaparow wurde am 6. Dezember 1968 im Dorf Ken-Suu in der Region Issyk-Kul geboren. 1987 begann er als Arbeiter in einer Kolchose. Bis 2005 leitete er einen landwirtschaftlichen Betrieb, war dann Chef einer Ölgesellschaft und danach Direktor einer Gasfirma und schließlich Inspektor des Innenministeriums in der Region Issyk-Kul.
Unter Präsident Kurmanbek Bakijew war Schaparow von 2005 bis 2007 Mitglied des Parlaments. Von 2007 bis 2008 war er Berater von Präsident Bakijew und arbeitete von 2009 bis 2010 bei der Nationalen Agentur für Korruptionsprävention. Nach Bakijews Sturz war Schaparow von 2010 bis 2013 zum zweiten Mal Abgeordneter der Partei "Ata-Schurt" im kirgisischen Parlament.
Erklärter Kampf gegen Korruption und das Verbrechen?
Nach seinem Amtsantritt als Premier und Übergangspräsident im Oktober versprach Schaparow, die Ordnung im Land schnell wiederherzustellen. Er betonte, er werde einen echten Kampf gegen die Korruption führen. Allerdings holte Schaparow auch Leute mit einem sehr zweifelhaften Ruf in sein Kabinett.
So ernannte er Rawschan Sabirow, Ex-Minister für soziale Entwicklung, zum stellvertretenden Ministerpräsidenten. Dieser wurde einst zu fünf Jahren Haft verurteilt, da er von einer ausländischen Firma ein sehr hohes Bestechungsgeld verlangt hatte, um im Gegenzug eine Genehmigung für internationale Adoptionen zu erteilen. Neben seiner Haftstrafe wurde auch Sabirows Eigentum beschlagnahmt und ihm das Recht entzogen, ein öffentliches Amt zu bekleiden.
Der von Schaparow eingesetzte Leiter des Regierungsapparats im Rang eines Ministers, Baktybek Amanbajew, wird für finanzielle Mauscheleien beim staatlichen Fernsehen verantwortlich gemacht. Außerdem besaß er Räumlichkeiten, in denen Bordelle untergebracht waren.
Als Übergangspräsident hatte Schaparow lautstark ankündigt, auch gegen Kriminalität vorgehen zu wollen. Doch ihm werden Verbindungen zu dem mutmaßliche Schwerkriminellen Kamtschi Kolbajew nachgesagt, der auch als "Kolja-Kirgis" bekannt ist. Schaparow bestreitet nicht, ihn zu kennen, versichert aber, nichts mit ihm zu tun zu haben.
Kolbajew gilt als eine der Hauptfiguren von Kirgisistans Unterwelt. Im Jahr 2000 wurde er wegen eines Attentats auf einen anderen Kriminellen und wegen zweifachen Mordes angeklagt und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Doch 2006 kam er frei und tauchte in Dubai unter. Dort wurde Kolbajew von Interpol erneut festgenommen und nach Bischkek gebracht.
2014 wurde er nach anderthalb Jahren Haft wieder freigelassen. Am 22. Oktober 2020 wurde der heute 40-Jährige erneut in Kirgisistan wegen Organisation einer kriminellen Vereinigung festgenommen und sitzt derzeit im Gefängnis.
Dies ist die überarbeitete Fassung eines DW-Artikels vom 22.10.2020. Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk