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Eine Familie für die AfD

Christoph Hasselbach12. Juni 2014

In der Straßburger Fraktion der Konservativen und Reformisten tummeln sich nicht nur die britischen Tories, sondern auch allerlei rechtsnationale und fremdenfeindliche Gruppierungen.

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AfD-Parteichef Lucke mit Palakat "Mut zur Wahrheit" Foto: "picture-alliance/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Syed Kamall, der neu gewählte Fraktionsvorsitzende der Konservativen und Reformisten (EKR), nannte seine Gruppierung "eine der am schnellsten wachsenden politischen Familien". Noch schneller wachsen wohl nur die selbsterklärten Europafeinde vom Schlage des französischen Front National oder der britischen UKIP. Neu in die EKR-Familie wurden jetzt auch die sieben Abgeordneten der Alternative für Deutschland, AfD, aufgenommen. Mit Abstand am stärksten in der Fraktion sind die britischen Konservativen, ihr gehören aber auch die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit, die Dänische Volkspartei oder die Wahren Finnen an. Sie alle lehnen die Europäische Union zwar nicht rundweg ab, wollen sie aber grundlegend reformieren und europäische Kompetenzen auf die nationale Ebene zurückverlagern. Wichtig ist ihnen allen auch eine Begrenzung von Einwanderung.

London ist die Sache peinlich

Heikel bei der Entscheidung ist vor allem die Position der britischen Konservativen, denen auch der neue Fraktionschef Kamall angehört. Die europäischen Tories waren ursprünglich Teil der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), in der auch die deutsche CDU/CSU und die anderen klassischen christdemokratischen Parteien zuhause sind. 2009 verließen die Tories diese EVP-Fraktion, weil ihnen deren Kurs zu integrationsfreundlich war. Seitdem machen ihre Abgeordneten mal gemeinsame Sache mit ihren EVP-Kollegen, mal bekämpfen sich beide Fraktionen, je nach Abstimmung.

Cameron und Merkel Wange an Wange Foto: Reuters
Cameron braucht Merkel für seine EU-ReformpläneBild: Reuters

Deutsche CDU-Europaabgeordnete toben

Noch interessanter aber ist der Gegensatz zwischen den nationalen britischen Tories und denen im Europaparlament. Denn auch wenn sich die Europa-Tories bei der Aufnahme der AfD-Abgeordneten durchgesetzt haben, ist der Londoner Zentrale die Entscheidung peinlich. Denn Premierminister David Cameron braucht Bundeskanzlerin Angela Merkel als Verbündete bei seinem Ziel einer EU-Reform.

Merkels CDU ist aber der AfD spinnefeind, sie lehnt jede Zusammenarbeit mit ihr ab. Ein Sprecher Camerons hat sich "enttäuscht" über den Beschluss der europäischen Parteifreunde geäußert und gesagt, seine Partei werde "mit der AfD zusammenarbeiten, aber die CDU/CSU bleibt unsere einzige Schwesterpartei in Deutschland". Die britischen Konservativen unterscheiden also hier zwischen europäischer und nationaler Politik. Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Straßburger Parlament, bleibt unversöhnlich: Die Aufnahme sei ein "Affront" und "irritierend". Die EKR begebe sich damit "in populistisches, antieuropäisches Fahrwasser".

Grüne und Liberale werfen der Fraktion Rassismus vor

Beißende Kritik an der AfD-Aufnahme kam erwartungsgsmäß von anderen Fraktionen. Sven Giegold, Sprecher der deutschen Grünenabgeordneten, sagte in einer Stellungnahme, AfD-Parteichef Bernd Lucke "verbündet sich mit offenen Rassisten. Die AfD widerlegt damit alle Abgrenzungsversuche von Rechtsextremen und isoliert sich damit noch weiter". Die Grünen halten der AfD entsprechende Aussagen von Fraktionskollegen aus anderen Ländern vor, etwa ein Zitat von Morten Messerschmidt von der Dänischen Volkspartei: "Alle Muslime, die an der islamischen Ideologie festhalten, sind Verlierer oder werden zu solchen", oder von Jussi Halla-aho von den Wahren Finnen: "Es verwirrt mich zutiefst, dass es Muslimen so große Lust bereitet, Lebewesen in schwächerer Position wie Tieren, Kindern und Frauen Schmerz zuzufügen."

Messerschmidt tritt aus Wahlkabine Foto: Bax Lindhardt/AFP/Getty Images
Morten Messerschmidt von der Dänischen Volkspartei wird Rassismus vorgeworfenBild: Bax Lindhardt/AFP/Getty Images

Alexander Graf Lambsdorff, der Vorsitzende der FDP im Europaparlament, schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er über die neuen Fraktionsfreunde der AfD herzieht: "Die polnische nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit hetzt nicht nur gegen Minderheiten, sondern auch gegen Deutsche. Die Wahren Finnen sind gegen Freizügigkeit. Der Däne Messerschmidt wurde wegen Rassismus verurteilt. Insgesamt sind ein Drittel der Europaabgeordneten der beiden nordischen Staaten vorbestraft."

Neuer EKR-Chef gibt sich gemäßigt

Syed Kamall gab sich bei seiner Ernennung zum EKR-Fraktionschef gemäßigt. Als Ziele seiner Fraktion nannte er "Eurorealismus" und "eine stärker dezentralisierte und flexible EU, die ihre Anstrengungen darauf konzentriert, wirtschaftliche Reformen durchzuführen, Märkte zu öffnen und Unternehmern Möglichkeiten zu bieten". Klare Abgrenzungen vermied er, zum Thema Abstimmungsverhalten gab er sich pragmatisch: "Wir werden mit all denen zusammenarbeiten, die glauben, dass ein Wandel zum Besseren in der EU möglich ist." Klar ist nur, ein Wandel zum Besseren, so wie seine Fraktion es sieht, ist auf keinen Fall "mehr Europa", sondern mindestens ein anderes - und am besten "weniger Europa".