'Keine Alternative'
10. Juni 2009Für die Bundeswehr war es der erste Kampfeinsatz ihrer Geschichte: der Kosovo-Krieg vor zehn Jahren. 78 Tage lang, bis zum 10. Juni 1999, bombardierte die NATO militärische und zivile Ziele in Serbien, dem Kosovo und Montenegro. Erklärtes Ziel war, die Vertreibung der albanischen Bevölkerung des Kosovo zu verhindern.
Die Bundeswehr war mit Aufklärungsflugzeugen vom Typ "Tornado" beteiligt. Ihrem Einsatz ging eine hitzige und kontroverse politische Auseinandersetzung voraus. Besonders für die Grünen, die mit den Sozialdemokraten damals die Regierung stellten, war die Entscheidung eine Zerreißprobe. Dass die NATO-Intervention vor zehn Jahren dennoch richtig war, davon sind die meisten deutschen Parlamentarier auch heute noch fest überzeugt.
"Unendlich schwierig"
Die Erinnerung bereitet der 67-jährigen SPD-Abgeordneten offensichtlich Missbehagen. "Es war alles unendlich schwierig für uns und schmerzhaft, an einem Krieg beteiligt gewesen zu sein", sagt Uta Zapf heute, zehn Jahre später. Die Parlamentarierin leitet den parlamentarischen Unterausschuss für Rüstungskontrolle.
Auch im Rückblick befürwortet sie die NATO-Intervention und Deutschlands Beteiligung daran: "Also, ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass es richtig war und dass es eine Entwicklung gestoppt hat, die damals den ganzen Balkan in Brand gesetzt hat und noch weitere Destabilisierung der gesamten Region gebracht hätte. Man hat dort ganz vielen Menschen geholfen, die unter unendlichem Leid, unendlicher Repression gelitten haben. Und ich glaube, eine Gesellschaft wie sie dieses Milosevic-Jugoslawien vorher war, die braucht auch Zeit, sich wieder demokratisch auszurichten. Sie ist heute noch gespalten, aber weniger gespalten als vor zehn Jahren."
"Bruch des Völkerrechts"
Auch die traditionell pazifistisch eingestellten Grünen, die damals an der Regierung beteiligt waren, hatten nach erregten Debatten einer Bundeswehr-Beteiligung am NATO-Einsatz gegen Serbien zugestimmt. Der Grünen-Abgeordnete Winfried Nachtwei bewertet die damalige Haltung seiner Partei so: "Der Luftkrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien war ein schlechtes und äußerst fragwürdiges Mittel. Allerdings, unter den damaligen Bedingungen der völlig verfahrenen Konfliktsituation und der vertanen Chancen gab es, glaube ich, nur schlechtere Alternativen. Also, unter den gegebenen Bedingungen richtig, aber in keiner Weise Vorbild, Präzedenzfall."
Wolfgang Neskovic hingegen kann auch heute nichts Positives am NATO-Krieg gegen Serbien finden. Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof mit serbischen Wurzeln verließ 2005 die Grünen. Jetzt ist er parteilos und Fraktionsmitglied der Partei Die Linke im Bundestag. Seiner Meinung nach – und diese Meinung, betont er, habe nichts mit seiner Herkunft zu tun – war der NATO-Angriff auf Jugoslawien sogar in dreifacher Hinsicht illegal: "Es war ein klarer Bruch des Völkerrechts, weil es dazu keine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat gegeben hat. Die deutsche Beteiligung war gegen das Grundgesetz gerichtet, weil es keinen Angriff auf das deutsche Territorium gegeben hat. Es war auch ein Rechtsbruch des NATO-Statuts, weil kein Bündnisterritorium angegriffen worden ist. Dieser Krieg war ein schwerer Bruch des Völkerrechts und allein schon deswegen ein großer, großer Fehler."
Zerstörte Infrastruktur
Neben den zivilen Opfern - Schätzungen schwanken zwischen 1.200 und 2.500 Toten - forderten die NATO-Luftangriffe auch schwere Schäden an der Infrastruktur Serbiens. Brücken, Flughäfen und Industrieanlagen, aber auch zivile Ziele wie Krankenhäuser, Schulen und Wohnsiedlungen wurden zerstört. Neskovic sieht darin Methode auf Seiten der NATO: "80 Prozent aller Angriffe haben der Infrastruktur gegolten, und nicht den serbischen Streitkräften. Das heißt, man hat ein Land eigentlich in die Steinzeit zurückgebombt und gerade viele junge Menschen, die heute Serbien helfen könnten beim Aufbau, haben Serbien verlassen. Serbien ist zurzeit eine benachteiligte Nation in Europa."
Dem widerspricht Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, entschieden. Selbst wenn der Wiederaufbau länger dauere als gedacht, selbst wenn es Rückschläge gebe, sei die NATO-Intervention absolut gerechtfertigt gewesen. Es habe keine vernünftige Alternative gegeben. Anders hätte der Kosovo-Krieg nicht beendet werden können, erklärt der CDU-Politiker. Jetzt komme es in erster Linie auf eine europäische Perspektive für das Land an: "Die ausgestreckte Hand Europas ist eigentlich nicht zu übersehen, so dass ich doch hoffe, dass vor allen Dingen auch die Politik, die die Europäische Union jetzt gegenüber Serbien macht, klar macht, dass diese damaligen Angriffe nicht dem serbischen Volk als solchem galten, sondern einem Regime von Milosevic, das über das serbische Volk eine Menge Unheil gebracht hat."
Lehren für das Völkerrecht
Für den Grünen-Politker Nachtwei lautet die Lehre aus den Ereignissen von vor einem Jahrzehnt: "Eine solche Situation von zu spät gekommener Konfliktbewältigung, die muss man in Zukunft auf jeden Fall verhindern. Und da kommt es dann auf klare Bindung an die Vereinten Nationen, an das Völkerrecht an, was bei dem Kosovo-Luftkrieg eben auch verletzt wurde. Also, wenn Militär, dann klar eingebunden im Rahmen der Vereinten Nationen."
Der CDU-Politiker Polenz weist auf Folgen für das Völkerrecht hin, die sich nach dem NATO-Eingreifen im Kosovo-Krieg herausgebildet haben: "Und heute sprechen wir ja auch von einer entstehenden Völkerrechtsfigur der 'responsibility to protect', also einer Verantwortung, zum Schutz einer Bevölkerung einzugreifen, wo die eigene Regierung entweder diesen Schutz nicht gewährleistet oder im Gegenteil sich an Teilen ihrer eigenen Bevölkerung dadurch vergeht, dass sie schwerste Menschenrechtsvergehen begeht."
Die Erfahrung aus dem Jugoslawien-Krieg wird das Völkerrecht, die Parteien, aber auch die Gesellschaft in Deutschland noch lange beschäftigen. Dieser Prozess hat längst begonnen und seine innen- und außenpolitischen Folgen sind jetzt schon allenthalben sichtbar – etwa in Afghanistan, bestätigt Cornelius Adebahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin: "Wir sind heutzutage viel mehr im Ausland engagiert, als es früher der Fall war. Aber wir sind nicht in einem kriegerischen Sinne engagiert. Wir sind in multilateralen, multinationalen Organisationen engagiert. Die Missionen selber sind immer von den Vereinten Nationen mandatiert oder von der Europäischen Union geleitet. Also, das ist eine Art der Sicherheitspolitik, die aber auch das Militär benötigt, das ist keine Frage, und das wäre tatsächlich vor Kosovo kaum denkbar gewesen. Das ist die Veränderung, die damals stattgefunden hat, auch innenpolitisch."