Cameron im Abseits
27. Juni 2014David Cameron gefällt sich in der Rolle des einsamen Kämpfers. "Ich weiß, dass alles gegen mich steht. Aber deswegen ändert man seine Meinung doch nicht", hat er trotzig gesagt. Noch vor wenigen Wochen hatte es so ausgesehen, als könne er mit schwedischer, niederländischer und eventuell deutscher Unterstützung Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsidenten verhindern. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich nach anfänglichem Zögern doch hinter Juncker gestellt, der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt und der niederländische Regierungschef Mark Rutte wurden kleinlaut - und am Ende blieb als einziger offener Verbündeter nur der Ungar Viktor Orban übrig.
Cameron scheint es Merkel, Reinfeldt und Rutte übelzunehmen, dass sie ihn haben im Regen stehen lassen. Es sei wichtig in Europa, "dass man dieselben Dinge öffentlich und privat sagt". Dass es überhaupt zur offenen Abstimmung kam, ist ein Novum in der EU - und eine Demonstration der Uneinigkeit. Bisher wurde das Spitzenpersonal immer im Konsens ernannt; gab es Streit, wurde der vorher beigelegt.
Falsches Prozedere, falsche Person
Cameron ging es sowohl ums Prinzip, wer den Kommisionspräsidenten wählt, als auch um die Person Juncker. Es sei "nicht richtig, dass die gewählten Regierungschefs ihr Recht aufgeben, den Präsidenten der Europäischen Kommission, die wichtigste Rolle in Europa, zu nominieren", sagte er. Durch das neue System konkurrierender Spitzenkandidaten hat sich das Parlament praktisch zum Hauptentscheider aufgeschwungen. Dieses Prinzip lehnt zwar auch der Schwede Reinfeldt nach wie vor offen ab, fügt sich aber in die neuen Verhältnisse. Cameron hält Juncker aber auch für die falsche Person: "Er stand sein ganzes Arbeitsleben für das Projekt, die Macht von Brüssel zu mehren und die Macht der Nationalstaaten zu mindern" - für den Briten eine grauenhafte Vorstellung.
Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann findet dagegen die offene Abstimmung gar nicht schlimm: "In der Demokratie muss es möglich sein, wenn man verschiedener Meinung ist, dass man das auch austrägt in einem guten Verhältnis und in einer seriösen Diskussion." Doch er schiebt die Schuld an der Isolation Camerons dem Premier selbst zu: "Wenn nur einer auf der Seite steht, ist doch die Frage, wer ist auf die Seite gegangen."
Strategische Agenda als Leitlinie
Die Konsequenzen dieser Konfrontation sind noch gar nicht absehbar. Manche glauben, Cameron stehe bei seinen Landsleuten jetzt als Verlierer da, und ein Ausstieg des Landes aus der EU werde nun wahrscheinlicher. Cameron will aber nicht aufgeben, die EU umzugestalten, damit sein Land in einer reformierten EU bleiben könne: "Das wird ein langer, harter Kampf. Und manchmal muss man bereit sein, eine Schlacht zu verlieren, um einen Krieg zu gewinnen."
Zumindest bei vielen seiner Reformwünsche hat Cameron die Bundeskanzlerin auf seiner Seite. Merkel zeigte sich zufrieden, dass der Gipfel für die EU eine "strategische Agenda" formuliert hat: "Es ist ganz klar, dass wir eine Neuausrichtung brauchen, die orientiert ist auf Stabilität der Finanzen, auf Wachstum, auf Beschäftigung, auf Innovation, auf Abbau von Bürokratie." Dies wird verkauft als eine Art Leitlinie, unter der der neue Kommissionspräsident arbeiten soll - ein Entgegenkommen gegenüber den Briten. Überhaupt, meint der Schwede Reinfeldt, sei "das Programm wichtiger als die gewählten Personen". In ihrer Abschlusserklärung machten die anderen Staats- und Regierungschefs Cameron in einigen Punkten zudem Zugeständnisse. Unter anderem wird Ländern das Recht eingeräumt, weitere Integrationsschritte der EU nicht mitzugehen.
Zu Kaffeeduft aufwachen
Viele der Regierungschefs betonten auch, wie gern sie die Briten in der EU behalten wollen. Sie hoffe sehr, so die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt, "dass es nach dem heutigen Tag weitergeht und dass das Vereinigte Königreich ein wichtiger und einflussreicher Partner in der Europäischen Union sein wird." Und der Finne Alexander Stubb griff zu dem schönen Bild, die Briten sollten "aufwachen und den Kaffeeduft schnuppern: Die Europäische Union ist für das Vereinigte Königreich eine sehr gute Sache". Beide, Thorning-Schmidt und Stubb, haben allerdings auch persönliche Gründe, sich für die Briten ins Zeug zu legen: Sie sind mit britischen Partnern verheiratet.
Bezeichnenderweise sind es auch ausschließlich Nordländer, die zwar nicht Camerons Juncker-Widerstand, aber dessen Kurs der Sparsamkeit, der Wettbewerbsfähigkeit und des Freihandels unterstützen. Im Süden arbeitet dagegen der Italiener Matteo Renzi zusammen mit dem Franzosen Franҫois Hollande und anderen kräftig daran, die europäische Konsolidierungspolitik aufzuweichen. So endet der Gipfel zwar vordergründig mit der Konfrontation Cameron gegen den Rest der EU. Dahinter werden aber schon wieder andere Konfliktlinien deutlich. Und die sehen wieder mehr nach Nord gegen Süd aus. Nichts Neues also.