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HandelBrasilien

EU investiert Milliarden in Lateinamerika

18. Juli 2023

Rund 45 Milliarden Euro sollen in die Region fließen - auch ohne Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten. Eine Verurteilung von Russlands Angriff auf die Ukraine gelang auf dem EU-CELAC-Gipfel allerdings nicht.

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Drei Männer und eine Frau halten ihre Hände aufeinander
Ein paar Stunden überzogen, aber am Ende zufrieden: Argentiniens Präsident Alberto Fernandez, Ralph Gonsalves, der Premier von St. Vincent und die Grenadinen, EU-Ratspräsident Charles Michel and EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (v.l.n.r.)Bild: Francois Walschaerts/AP Photo/picture alliance

"Das ist ein gutes Zeichen. Ich bin sehr glücklich", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am zweiten Tag des Gipfeltreffens mit lateinamerikanischen und karibischen Staaten. Borrell lobte, dass sich Vertreter und Vertreterinnen aus rund 50 der möglichen 60 Staaten aus Europa und Südamerika in Brüssel eingefunden hätten, um eine Wiederbelebung ihrer Beziehungen, einen Neuanfang, auf den Weg zu bringen.

Ralph Gonsalves, der Premierminister des karibischen Kleinstaates St. Vincent und die Grenadinen, fasste seine Bewertung des EU-Lateinamerika-Gipfels ganz kurz. "Hoffnung, Zutrauen, Liebe", gingen von der Begegnung mit europäischen Staats- und Regierungschefs aus, sagte Gonsalves, der im Moment auch Vorsitzender der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) ist.

Porträtbild von einem Mann mit grauen Haaren und Bart, Ralph Gonsalves
Ralph Gonsalves, Vorsitzender der CELAC, regiert rund 100.000 Einwohner auf den karibischen Inseln St. Vincent und die GrenadinenBild: Johanna Geron/REUTERS

Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, erklärte, es fühle sich an, als hätten "alte Freunde" ihre Beziehung neu belebt. Sie kündigte an, dass man sich in der großen Runde von nun an alle zwei Jahre sehen wolle. Das letzte Treffen dieser Art vor diesem Gipfel ist acht Jahre her.

Gab es eine gemeinsame Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine?

Die Gipfelerklärung erwähnt den Krieg in der Ukraine. Man sei "besorgt", weil immenses Leid ausgelöst werde, heißt es in dem Dokument. Wer der Aggressor ist, nämlich Russland, wird verschwiegen.

Bis auf das Moskau-treue Nicaragua konnten alle CELAC- und EU-Staaten nach zähen Verhandlungen diesen Text mittragen. Kuba und Venezuela, ebenfalls sehr eng mit Russland verbündet, gaben ihren Widerstand auf, nachdem der Paragraph zur Ukraine stark weichgespült wurde.

Drei Männer stehen vor einem Gemälde und halten gegenseitig Hände, sie lachen
Ziemlich gute Freunde: Russlands Außenminister Sergej Lawrow (m.) besuchte im April Nicaragua, das treu zu Moskau stehtBild: RUSSIAN FOREIGN MINISTRY/AFP

Der Premierminister von Luxemburg, Xavier Bettel, kritisierte, man könne Fakten nicht einfach leugnen und die Geschichte umschreiben. Allerdings nimmt die Erklärung auf einschlägige Deklarationen der Vereinten Nationen Bezug, die Russlands Angriff verurteilen.

Außerdem wird die UN-Charta erwähnt, die Angriffskriege verbietet. Der amtierende CELAC-Präsident Ralph Gonsalves sagte, man habe den Gipfel der zwei Kontinente nicht zum ausschließlichen Treffen über die Ukraine machen wollen.

"Die Sprache stimmt jetzt", so Gonsalves. Bundeskanzler Olaf Scholz betonte, die gemeinsame Erklärung zur Ukraine sei ein Fortschritt. Mehr und mehr Staaten trügen die Verurteilung Russlands mit. 

Wie hält es die EU mit der Kolonialgeschichte?

Gonsalves hatte auch eine Entschuldigung für koloniale Ausbeutung, Völkermord an Ureinwohnern und Sklavenhandel ins Spiel gebracht sowie die Möglichkeit von Reparationen. Die Staats- und Regierungschefs der EU waren zwar bereit, ihr Bedauern für Unrecht während der Kolonialzeit auszudrücken, von Reparationen wollten sie aber nichts wissen.

Der Regierungschef der ehemaligen britischen Kolonie St. Vincent und die Grenadinen gestand zu, dass diese Fragen, besonders die Ausbeutung der Sklaven, "sehr komplexe" Themen seien. So hat zum Beispiel Brasilien auch nach seiner Unabhängigkeit von Portugal vor 200 Jahren weiter Sklaven importiert und ausgenutzt.

Was wird aus dem Freihandelsabkommen mit Mercosur?

Eine Überarbeitung des bislang nicht ratifizierten Freihandelsabkommens der Europäischen Union mit den vier Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay soll bis Ende des Jahres gelingen. Sowohl der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva als auch Bundeskanzler Olaf Scholz äußerten sich zuversichtlich.

Die EU verlangt von ihnen konkrete Zusagen über den Schutz des Regenwaldes und die Klimaziele. Der brasilianische Präsident Lula da Silva hat die Forderungen als Bevormundung zurückgewiesen. Er wiederholte aber bei einem Treffen mit Wirtschaftsvertretern in Brüssel seine Zusage, die Abholzung im Amazonasbecken bis zum Jahr 2030 ganz einzustellen.

Neun Männer und Frauen sitzen um einen Konferenztisch, vor ihnen Unterlagen, Wasserflaschen, Gläser, Kaffeekannen und Tassen
Viel Gelegenheit zu bilateralen Treffen: Hier Bundeskanzler Olaf Scholz (2. v. re.) mit Chiles Präsident Gabriel Boric (2. v. li.)Bild: Geert Vanden Wijngaert/AP Photo/picture alliance

Der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, Bernd Lange (SPD), meinte, die EU und die vier Mercosur-Staaten seien auf einem guten Weg. "Mit der Präsenz von Präsident Lula Da Silva könnte es neue Dynamik für die Fertigstellung des Mercosur-Abkommens geben. Die neue brasilianische Regierung hat die gleichen Ziele, wenn es darum geht, den Regenwald zu schützen und die illegale Rodung von Wäldern zu stoppen", so Lange in Brüssel.

Vor allem Frankreich müsse auf europäischer Seite seinen Widerstand gegen das EU-Mercosur-Abkommen aufgeben. Präsident Emmanuel Macron fürchtet billige Konkurrenz aus Südamerika für seine französischen Landwirte. Im Gegensatz zum umstrittenen Mercosur-Abkommen sind Freihandelsabkommen mit Chile und Mexiko schon fast unterschriftsreif.

Wie werden sich die wirtschaftlichen Beziehungen entwickeln?

Auch ohne Freihandelsabkommen wollen europäische Unternehmen, unterstützt von der EU-Kommission, in Südamerika investieren - in Energieprojekte, in Infrastruktur und die Gewinnung von Rohstoffen, die zum Bespiel für den Bau von Batterien gebraucht werden. EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen sprach von 45 Milliarden Euro, die in den nächsten vier Jahren fließen sollen.

Die EU will damit China und Russland ausstechen, die sich ebenfalls stark in Lateinamerika engagieren. Im Rahmen der Global Gateway Initiative der EU unterschrieb Ursula von der Leyen während des Gipfeltreffens eine ganze Reihe von bilateralen Vereinbarungen. Global Gateway ist der Gegenentwurf der chinesischen Wirtschaftsförderung im Rahmen der Belt and Road Initiative oder neuen Seidenstraße, die Peking auch auf Südamerika ausgeweitet hat.

Ein Mann, der offenbar gerade in die Hände klatschen will (Lula) und eine Frau, beide lachen, vor verschiedenen Fahnen
Eitel Freude: Brasiliens Präsident Lula und Kommssionschefin von der Leyen sind sich handelseinig bei InvestitionenBild: EMMANUEL DUNAND/AFP

Mit Uruguay strebt die EU gemeinsame Energieprojekte an. Aus Chile will die Union vor allem das Metall Lithium für den Bau von Autobatterien importieren. Mit dem chilenischen Präsidenten Gabriel Boric vereinbarte die Kommissionpräsidentin eine "strategische Partnerschaft" für die Lieferketten von Seltenen Erden. Bei diesen Rohstoffen, die für die Digitalisierung der Wirtschaft unverzichtbar sind, ist die EU derzeit zu mehr als 90 Prozent von China abhängig.

Lateinamerika und Brasilien spielten für Europa und die Welt eine "strategische Rolle", sagte Brasiliens Staatschef Lula da Silva. "Wir bieten große Chancen für Investitionen und Konsum mit einem Markt von 200 Millionen Menschen allein in Brasilien."

Brasilien: Lulas ehrgeizige Ziele für den Regenwald

Insgesamt listet die EU-Kommission 130 Projekte in den Partnerstaaten auf, die über Global Gateway der EU finanziell unterstützt werden. Diese reichen von Elektrobussen in Costa Rica über eine Untergrundbahn in Kolumbien bis hin zu Telekommunikation in der Amazonasregion und Wasserstoffproduktion in Chile.

Welchen Erfolg gab es am Rande?

Die Europäische Union konnte letzte interne Bedenken über das sogenannte Post-Cotonou-Abkommen zur Entwicklungsarbeit mit karibischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Staaten ausräumen. Ungarn und Polen, die das Nachfolgeabkommen für den Cotonou-Vertrag aufgehalten hatten, weil ihnen die Vereinbarung zur Rückführung von Migranten nicht scharf genug war, gaben ihren Widerstand auf. Das wichtige Abkommen für die Zusammenarbeit und den Handel mit 79 armen Staaten soll nun schleunigst ratifiziert werden und in Kraft treten, verkündete der Vorsitzende des Europäischen Rates, Charles Michel.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union