EU-Parlament: Orban verlässt die EVP-Fraktion
3. März 2021Nach jahrelangem Ehekrach ist jetzt die Scheidung durch: Die immer weiter nach rechts ausgescherte Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban verlässt die christdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament.
Orban erklärte in einem wütenden Brief an Fraktionschef Manfred Weber, einen deutschen Abgeordneten der bayrischen CSU, den sofortigen Austritt der zwölf ungarischen Fidesz-Abgeordneten aus der bislang 187 Parlamentarier umfassenden Fraktion. Auch ohne die Ungarn bleiben die Christdemokraten die größte Gruppe. Die Sozialdemokraten folgen mit einer Stärke von 147 Abgeordneten auf Platz zwei.
Bereits seit 2019 ist Orbans Partei, die in Budapest mit großer Mehrheit im Parlament regiert, am Familientisch der Christdemokraten in Europa nicht mehr willkommen. Der Dachverband der christdemokratischen Parteien, Europäische Volkspartei (EVP) genannt, suspendierte die Mitgliedschaft der Fidesz. Begründung damals: Ungarn verstößt gegen Grundwerte der EU wie Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit. Ausschlaggebend waren wohl auch die persönlichen Angriffe Viktor Orbans auf den damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Sein Konterfei tauchte in einer Anti-EU-Kampagne in Ungarn auf.
Ein endgültiger Ausschluss aus der EVP wird im Juni erwartet, wenn die Parteienfamilie sich wieder persönlich zu einem Parteitag treffen will. Der Vorsitzende der EVP, der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk, ist ein langjähriger Kritiker des ungarischen Regierungschefs und tritt für einen endgültigen Rauswurf ein.
Orban erhebt schwere Vorwürfe
Viktor Orban, der in den letzten Jahren rechtspopulistische Attacken gegen EU-Institutionen geritten hat, schrieb in seinem Brief an den Fraktionsvorsitzenden der Christdemokraten Manfred Weber, es sei sehr enttäuschend, dass die EVP-Fraktion sich "feindlich gegenüber Fidesz und ihren Wählern verhält." Wegen der "undemokratischen" Behinderung seiner Abgeordneten müssten diese sich zurückziehen. Sie würden aber weiter die Interessen des ungarischen Volkes vertreten. Es sei sehr enttäuschend, dass die EVP-Fraktion durch inneren Streit gelähmt sei, während in der Pandemie Ärzte versuchten, Leben zu retten.
Manfred Weber bedauerte den Auszug der ungarischen Abgeordneten. "Das ist auch ein trauriger Tag". Allerdings sei der Streit jetzt geklärt und die geeinte EVP-Fraktion werde sich jetzt mehr auf die Zukunft konzentrieren können. Fidesz sei gegangen, weil sie nicht mehr auf dem Fundament der europäischen Gründungsväter stehe.
Weber gab sein Zögern auf
Weber hatte seit seinem Amtsantritt als Chef der Christdemokraten im Parlament vor sieben Jahren immer wieder mit Provokationen aus Budapest zu kämpfen. Er zögerte lange, gegen Orban vorzugehen. Das Maß war wohl voll, als der Chef der Fidesz-Gruppe in der Fraktion, Tamas Deutsch, Weber im Dezember persönlich angriff und ihn mit der Nazi-Geheimpolizei Gestapo gleichsetzte.
Weber geißelte die Äußerungen als "völlig inakzeptabel". 40 Abgeordnete aus der Fraktion forderten Deutsch zum Rücktritt auf. Der Streit eskalierte. An diesem Mittwoch ließ Weber die Geschäftsordnung der Fraktion ändern, um den Rauswurf ganzer Gruppen vollziehen zu können. Eine klare Drohung gegenüber der ungarischen Fidesz.
Viktor Orban kam dem womöglich geplanten Schritt der Fraktionsführung zuvor und zog seine Abgeordneten von sich aus ab. Am Sonntag hatte Orban diesen Schritt in einem anderen Brief an Weber angedroht. Doch diesmal ließ sich der Fraktionschef nicht beeindrucken.
Was kommt jetzt noch?
Nach Angaben aus Fraktionskreisen hatte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Weber immer wieder gebeten, den Streit nicht jetzt eskalieren zu lassen und zu vermitteln. Merkel brauchte Viktor Orbans Zustimmung vor allem im letzten Jahr, um den langfristigen EU-Haushalt und ein Konjunkturprogramm in der Corona-Krise unter Dach und Fach zu bekommen. Der Haushalt erfordert Einstimmigkeit.
Orban hatte immer wieder mit einem Veto gedroht, vor allem um eine Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit Ungarns im Zuge der Haushaltsverhandlungen möglichst zu verhindern. Inzwischen ist der EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre mit der Stimme Ungarns verabschiedet.
Allerdings hat Viktor Orban beim Gipfeltreffen der EU im Dezember 2020 damit gedroht, die Ratifizierung von Teilen des Haushaltsgesetzes der EU im ungarischen Parlament zu verhindern. Unklar ist, wie sich der Rückzug aus der christdemokratischen Fraktion jetzt auf Orbans Taktik auswirken wird. Macht er seine Veto-Drohung vom Dezember wahr, könnte die Einrichtung eines Corona-Rettungsfonds der EU erheblich verzögert werden.
Meuthen: "Orban ist willkommen"
Die zwölf Fidesz-Abgeordneten im EU-Parlament können sich eine neue politische Heimat suchen. Sie könnten der nationalkonservativen ECR-Gruppe beitreten, in der zum Beispiel die polnischen Abgeordneten der regierenden PiS-Partei vertreten sind. Sie könnten aber auch noch weiter nach rechts driften und der Gruppe "ID" beitreten, die neben anderen die rechtspopulistische "Lega" aus Italien und die "Alternative für Deutschland" umfasst. Der Vorsitzende der AfD, der EU-Abgeordnete Jörg Meuthen, sagte: "Orban ist bei uns willkommen."
An der praktischen Arbeit im Parlament ändert sich zunächst einmal wenig. Geprüft werden muss nun, ob die Fidesz ihren Sitz im Parlamentspräsidium behalten kann und ob die Mitgliedschaft der Abgeordneten in Ausschüssen verändert werden muss, um den Proporz unter den Fraktionen zu wahren.