EU-Parlament: Scholz wirbt für ein starkes Europa
9. Mai 2023Während in Moskau der russische Machthaber Wladimir Putin seine Militärparade abnahm, sprach im Europäischen Parlament in Straßburg vor nicht gerade vollen Rängen der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. Seine klare Botschaft: "Lassen wir uns nicht einschüchtern von solchem Machtgehabe! Bleiben wir standhaft in unserer Unterstützung der Ukraine – solange wie das nötig ist! Schließlich will niemand von uns zurück in die Zeit, als in Europa das Recht des Stärkeren galt." Der deutsche Kanzler vertritt das größte Mitgliedsland der EU und wählte für seinen Auftritt nicht zufällig den symbolträchtigen Europatag, der an die Ursprünge der EU erinnert. Olaf Scholz sagte, ein offenes, geeintes Europa sei die beste Versicherung gegen die Kräfte der Vergangenheit, gegen Revisionisten, die von nationalem Ruhm träumten und nach imperialer Macht lechzten. Für die Verurteilung des russischen Krieges gegen die Ukraine bekam er von den meisten Abgeordneten Applaus.
Schnellere Beitritte nötig
Der Bundeskanzler wiederholte sein Bekenntnis zu einer Erweiterung der EU, die schneller vorangehen müsse. "Es ist wirklich peinlich, dass wir den Balkan-Staaten den Beitritt vor mittlerweile 20 Jahren versprochen haben und immer noch nicht weiter sind." Die sechs Westbalkan-Staaten, die Ukraine, Moldau und perspektivisch auch Georgien gehörten in die Union. "Und dabei geht es nicht um Altruismus. Es geht um unsere Glaubwürdigkeit und um wirtschaftliche Vernunft. Und es geht darum, den Frieden in Europa nach der Zeitenwende, die Russlands Angriffskrieg bedeutet, dauerhaft abzusichern." Die Türkei, die in den letzten Jahren von Präsident Recep Tayyip Erdogan zunehmend autokratisch regiert wurde, erwähnte Scholz nicht mehr. Ankara verhandelt formal bereits seit 2005 mit der EU über einen Beitritt, bislang ohne nennenswerte Fortschritte.
Schnellere Handelsabkommen
Wie die Beitrittsverfahren beschleunigt werden sollen und an welche Zeiträume er denkt, sagte Olaf Scholz nicht. Auch andere Vorschläge blieben wenig konkret, kritisierte der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund nach der Rede gegenüber der DW. Er werde sich weiter für Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Steuerpolitik einsetzen, kündigte Scholz an. Auch geopolitisch will der Kanzler Europa stärken: "Es ist mehr als vernünftig, dass wir nun zügig neue Freihandelsabkommen schließen – mit dem Mercosur, mit Mexiko, mit Indien, Indonesien, Australien, Kenia und perspektivisch mit vielen weiteren Ländern", so Scholz. Damit könne man Lieferketten schützen und sich von China unabhängiger machen. Es handele sich um "faire Abkommen, die die wirtschaftliche Entwicklung unserer Partner befördern, nicht behindern."
Der deutsche Regierungschef wiederholte bei seinem ersten Auftritt im Europäischen Parlament die Ziele für die EU-Politik, der er bereits in einer Grundsatzrede in der Karlsuniversität in Prag im August 2022 skizziert hatte. Drei Leitsätze formulierte Olaf Scholz: "1. Europas Zukunft liegt in unserer Hand. 2. Je geeinter wir Europa aufstellen, desto leichter ist es, uns eine gute Zukunft zu sichern. 3. Nicht weniger, sondern mehr Offenheit, mehr Kooperation sind das Gebot unserer Zeit."
Grünen-Politiker Freund sagte der DW nach der Rede, er habe neue Ideen vermisst. "Es war ein wenig enttäuschend, dass er Debatten nur ankündigt, aber nichts beiträgt", sagte Freund. Das sei angesichts des Krieges in Europa und anderer geopolitischer Herausforderungen durch China nicht genug. Man wisse ja auch nicht, wer nach den nächsten US-Wahlen im Weißen Haus sitzen werde. "Wir müssen Europa für diese Zukunft fit machen. Da kam wenig vom Kanzler, wie wir das hinbekommen."
Migrationsfragen zügig regeln
Olaf Scholz forderte die EU auf, sich bis zum Ende der Legislaturperiode des Parlaments in gut einem Jahr auf Regeln für Migration und Asylverfahren nach jahrelangen Diskussionen und Blockaden zu einigen. Vor Reportern sprach sich der Kanzler dafür aus, Asylverfahren bereits an den Außengrenzen der EU - also in Italien, Griechenland, Malta und Kroatien - zu entscheiden. Die Grenzen müssten besser gesichert werden. Migration müsse besser gesteuert werden. "Dann wächst die Akzeptanz für eine kluge, gesteuerte und kontrollierte Zuwanderung in unseren Ländern. Und dann entziehen wir denjenigen die Grundlage, die mit Angst und Ressentiments Politik machen", sagte Scholz nach einem Gespräch mit Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. "Alte Probleme müssen endlich gelöst werden", so Scholz.
"Europa braucht Führung"
Der Vorsitzende der größten Fraktion im Europäischen Parlament, der deutsche Christdemokrat Manfred Weber, kritisierte die Rede des Kanzlers. "Wir brauchen keine weiteren Grundsatzreden mehr, Europa braucht jetzt Führung", sagte Weber angesichts der vielen ungelösten praktischen Probleme in der EU-Politik. Deutschland sei eher ein Bremser in der EU. "Ihre Regierung ist oft zu spät und zu wenig ambitioniert. Das reicht nicht", kritisierte der CSU-Politiker. Olaf Scholz nahm es in der ersten Reihe sitzend lächelnd hin. Er wies Kritik, Deutschland sei zu zögerlich bei der Unterstützung der Ukraine, zurück. Deutschland sei der größte Unterstützer und der größte Waffenlieferant für die Ukraine in Europa und das werde auch so bleiben.
"Frankreich kann zufrieden sein"
Trotz der Meinungsverschiedenheiten mit der französischen Regierung über die richtige EU-Politik erwähnte der deutsche Kanzler weder Frankreich noch die deutsch-französische Lokomotive in der EU. Das sei aber nicht wirklich überraschend, meinte Georgina Wright im Gespräch mit der DW. Sie ist Expertin für deutsch-französische Beziehungen in der Pariser Denkfabrik "Institut Montaigne". Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron seien sich bei den groben Linien mehr oder wenig einig. Macron habe Deutschland bei seiner Rede im Europäischen Parlament 2022 auch nicht erwähnt. "Bei 85 bis 90 Prozent der breiten politischen Themen gehen sie Hand in Hand. Es gibt aber große Differenzen bei der konkreten Umsetzung dieser Visionen. Zum Beispiel ist es gut und schön, über eine integrierte Verteidigungsindustrie zu reden, aber wie soll die konkret funktionieren?", fragt sich Wright. Auch die umstrittene Haushalts- und Fiskalpolitik erwähnte der Kanzler in seiner Rede nicht. Frankreich möchte lockere Schuldenregeln, Deutschland mehr Sparsamkeit. Die Pariser Expertin ist sich aber sicher: "Am Ende wird es einen Konsens geben, auch wenn der noch sehr weit entfernt zu sein scheint."