Düstere Aussichten für Europa
7. November 2012EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn verkündete die Ergebnisse der Herbstprognose in eher gedämpfter Stimmung: Europa befände sich in einem schwierigen makroökonomischen Prozess, der noch eine ganz Zeit andauern werde, so Rehn. Auch wenn einige politische Entscheidungen der letzten Monate für mehr Vertrauen gesorgt hätten, könne man sich keineswegs zufrieden zurücklehnen. Europa müsse die Konsolidierung der Haushalte mit Strukturreformen kombinieren, um nachhaltiges Wachstum zu schaffen und die Arbeitslosigkeit zu senken, so Rehn weiter.
Die Erwartungen an das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone wurden von minus 0,3 auf minus 0,4 Prozent nach unten korrigiert. 2013 erwarten die Experten dann zwar ein minimales Wachstum, aber nicht mehr ein Prozent, sondern nur noch 0,1 Prozent.
Für die gesamte EU prognostiziert das Gutachten einen Wachstumsrückgang von minus 0,3 Prozent für dieses Jahr. Im kommenden Jahr soll die Wirtschaft in der gesamten EU dann um 0,4 Prozent wachsen.
Unterschiede gleichen sich aus
Doch Wirtschaftskommissar Rehn hatte auch gute Nachrichten: In einigen Bereichen würden sich die Ungleichgewichte zwischen den Euro-Staaten inzwischen wieder angleichen. In den Defizit-Staaten wie Griechenland, Spanien oder Italien waren die Löhne seit 1999 deutlicher gestiegen als in den Überschuss-Staaten Deutschland oder den Niederlanden. Das habe zwar einerseits den Nachholbedarf der Defizit-Staaten wieder gespiegelt, aber eben auch die Finanzmarkt-Blase und den Mangel an Haushaltsdisziplin. Diese Lohnunterschiede glichen sich nun an, so der Wirtschaftskommissar: "Aber seit 2010 hat sich dieser Trend umgekehrt. Die Wettbewerbsfähigkeit, die in der ersten Dekade der Währungsunion verlorengegangen ist, wird nach und nach wiederhergestellt".
Die deutsche Wirtschaft sei relativ stabil, so Rehn. Aber auch sie könne sich dem gebremsten Wirtschaftswachstum nicht entziehen, das noch bis Ende des Jahres schwächeln werde. Insgesamt stellte Rehn Deutschland allerdings ein sehr gutes Zeugnis aus.
Schrumpfende Wirtschaft in Spanien, Frankreich und Italien
Anders als Spanien: Das Land, in dem jeder vierte arbeitslos ist, wird der Prognose nach auch im nächsten Jahr mit einer schrumpfenden Wirtschaft zu kämpfen haben. Auch die Neuverschuldung wird in den kommenden zwei Jahren bei sechs Prozent – und damit deutlich zu hoch liegen. "Wir haben Spanien ermutigt, die Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung schnell zu verstärken", erklärte Olli Rehn in Brüssel. Italien steht etwas besser da und soll im übernächsten Jahr wieder zum Wachstum zurückkehren. Der Schuldenberg werde aber langsamer abgebaut, als im vergangenen Jahr geplant, so Rehn.
Auch in Frankreich läuft der Abbau des Defizits eher schleppend. Das war schon in der Frühjahrsprognose angemahnt worden. Nach der aktuellen Herbstprognose geht die Kommission von einer Neuverschuldung von 3,5 Prozent in den kommenden zwei Jahren aus. "Die EU-Kommission begrüßt den von der französischen Regierung aufgelegten Pakt für mehr Wachstum, Wettbewerb und Beschäftigung", erklärte EU-Kommissar Olli Rehn sichtbar konzentriert - auf Französisch.
Requiem für die Schuldenländer?
Doch seine Konzentration wurde jäh gestört: Leise, aber doch eindringlich tönte plötzlich morbide Orgelmusik über die Boxen des Pressesaal – sehr zur Erheiterung der Anwesenden, inklusive des EU-Kommissars: "Sehr harmonisch. Ich wusste nicht, dass ich so zeremoniell und religiös wirke, aber vielleicht ist das der Situation angemessen", witzelte Rehn, ohne eine Miene zu verziehen.
Die aufkommende Heiterkeit wich allerdings gleich beim nächsten Krisen-Kandidaten: Die Schuldenlast Griechenlands werde sich nicht ohne weitere Maßnahmen senken lassen, so Rehn. Die ersten beiden – Haushaltsreformen und Strukturreformen - sollen in dieser Woche im griechischen Parlament verabschiedet werden.
Appell an Griechenland
"Aber darüber hinaus müssen wir noch darüber entscheiden, welchen finanziellen Bedarf es noch gibt und wie die Schulden abgebaut werden können." Die Troika und die griechische Regierung verhandelten darüber sehr konstruktiv. Er erwarte für den kommenden Montag (12.11.2012) entsprechende Entscheidungen im Hinblick auf die nächste Rate aus dem Hilfspaket, erklärte Rehn. "Aber jeder muss seinen Teil erfüllen – die EU, der IWF und natürlich die griechische Regierung und das Parlament."
Am späten Mittwoch Abend (7.11.) stimmte das griechische Parlament mit knapper Mehrheit für das neue, umstrittene Sparpaket - und sicherte sich damit wohl die nächste Tranche des Griechenland-Hilfspakets in Höhe von gut 31 Milliarden Euro.
Das Titelblatt des diesjährigen Frühjahrsgutachtens zierte ein Ast mit zartgrünen, jungen Feigen. Ein Symbol für Wachstum, das EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn allerdings schon damals nicht verkünden konnte. Die europäische Wirtschaft befände sich in einer milden Rezession, dürfte sich aber von der zweiten Hälfte des Jahres 2012 langsam erholen, hatte Rehn im Mai 2012 prognostiziert. Ihre vorsichtig positive Wirtschaftsprognose musste die EU-Kommission nun schon zum vierten Mal in Folge nach unten korrigieren.