"Ewig sei Montenegro"
20. Mai 2016Der alte Fürst
Nur zehn Jahre unabhängig? Auf den Straßen von Podgorica sollte man das lieber nicht laut sagen. Dort wird gleich an den 1000 Todestag des Fürsts Vladimir miterinnert, der auf dem Gebiet des heutigen Montenegros herrschte. Es macht nichts, dass Fürst Vladimir lange lebte, bevor es Montenegro überhaupt gab. Die heutige Unabhängigkeit kam auch nicht unumstritten zustande - vor genau zehn Jahren ging das Referendum über die Trennung von Serbien nämlich so knapp aus, dass manch einer Betrug witterte. Der Zwergstaat, der zwischen der Adria und den Bergen liegt, ist heute der zweitjüngste international anerkannte Staat. Nur der Südsudan ist noch später UN-Mitglied geworden.
Der nicht so neue Fürst
Politiker auf dem Balkan sind für die Hartnäckigkeit bekannt, mit der sie an ihrem Sessel festkleben. Doch Milo Đukanović ist ein unangefochtenes Schwergewicht: In ganz Europa könnte es mit ihm höchstens der weißrussische Herrscher Lukaschenko aufnehmen, denn Đukanović ist seit 1991 entweder Premier oder Präsident seines Landes. Der starke Mann Montenegros war so ziemlich alles, was der jeweilige Zeitgeist verlangte: junger kommunistischer Funktionär, Weggefährte des nationalistischen Autokraten Slobodan Milošević, Ideologe der Abspaltung seines Landes von Serbien und schließlich Partner des Westens, der sein Land in die EU und in die Nato führen will. Seine Kritiker werfen Đukanović vor, Montenegro wie sein Privatreich zu regieren. Dem Zwei-Meter-Mann ist das egal. Und was seinen Gegnern wirklich Angst machen muss: er ist erst 54 Jahre alt.
Die Regierungspartei
Mit 480 Euro Durchschnittslohn und einer Arbeitslosenquote von 15 Prozent geht es den 620.000 Einwohnern Montenegros wohl etwas besser als den Nachbarn in Serbien. Und das, obwohl nicht wenige diese offiziellen Zahlen für rosarot gefärbt halten. Interessant wäre es zu wissen, wie es Montenegrinern so geht, die nicht das Parteibuch der regierenden Demokratischen Partei der Sozialisten haben. Denn Vetternwirtschaft, Parteistaat und Korruption sind ein Teil der Kritik, die der Premier einfach abprallen lässt - selbst die Vorwürfe der italienischen Staatsanwaltschaft, die ihn persönlich als Patron des Zigarettenschmuggels in den Neunziger Jahren bezeichnete.
Die Opposition...
...ist der wichtigste Grund, warum Đukanović so lange herrscht, sagen Zyniker. Hoffnungslos zerstrittene Parteien, die sich nicht einmal darüber einig sind, ob sie Đukanović aus dem Amt jagen möchten oder nicht. Manche arbeiten gelegentlich mit ihm zusammen, andere, so sagt die Gerüchteküche, hat er selbst gegründet oder gekauft, um die Opposition weiter zu schwächen. Versuche, ein breiteres Bündnis gegen Đukanović zu schmieden, gab es - die aktuelle Version heißt "Demokratische Front". Sie sind jedoch meistens daran gescheitert, dass sich die prowestlichen und proserbischen Parteien aus der Opposition schlecht vertragen.
Der Beitritt zur NATO
Die letzte Runde der Proteste im vergangenen Herbst galt vor allem der Korruption. Allein in Podgorica waren 10.000 Demonstranten dabei. Doch dann kamen immer weniger Bürger, denn für viele ist die Ikonografie der Proteste unerträglich - etwa die serbischen nationalistischen Lieder, Flaggen und Symbole. Rund 28 Prozent der Einwohner des Landes verstehen sich als Serben, und ihnen ging es eher um eine Blockade des NATO-Beitritts als um den Kampf gegen Korruption. Doch der Beitritt zur NATO ist in Montenegro eine fast beschlossene Sache - am Donnerstag wurde in Brüssel das Beitrittsprotokoll unterschrieben. Dass Đukanović damit den traditionellen Verbündeten Russland ärgert, hat er längst in Kauf genommen. Anders als Serbien nimmt das kleine Land an den EU-Sanktionen gegen Moskau teil.
Die Küste
Ob es auch mit der NATO-Thematik zutun hat, dass russische Immobilienbesitzer der montenegrinische Küste in den vergangenen Jahren eher den Rücken zukehrten? Angeblich besitzen sie immer noch rund 70.000 Immobilien im Land und sind damit mit Abstand die wichtigsten Kunden der Tourismus-Branche, die ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Für jedermann sollte die montenegrinische Küste sein, aber am liebsten für die reichen Gäste. In Häfen überwintern die Yachten der Oligarchen, selbst James Bond (Daniel Craig) stand vor der Spielbank eines montenegrinischen Casinos.
Der Norden
Im Gegensatz zu den Casinos und dem Luxusleben an der Küste ist der bergige Norden eine Magistrale der Misere. In den meisten von Serben und Muslimen bewohnten Kommunen ist jeder dritte Mensch arbeitslos. Alte Fabriken und Minen sind mit Unkraut überwachsen, und viele wollen auswandern - nach Westeuropa, zumindest aber bis Podgorica oder eben an die Adriaküste. Viele haben es mit einem Asylantrag in Deutschland versucht, doch Montenegro landete im vergangenen Jahr zusammen mit anderen Westbalkan-Ländern auf der Liste der "sicheren Herkunftsstaaten".
Die Autobahn
Eine große Sache für ein kleines Land - sie soll den Norden besser vernetzen und mehr Touristen anlocken. Denn die Schluchten der Flüsse Tara und Morača sind beeindruckend, die erste ist mit bis 1300 Metern sogar die tiefste Europas. Weniger beeindruckend ist es hingegen, auf den zweispurigen Straße zwischen Abgründen und rutschigen Felsen zu fahren. Deswegen war die Autobahn so etwas wie ein Jahrhundertziel für Montenegro. Sie wird gerade von China gebaut, und zwar komplett: Denn die Chinesen "investieren" auf dem Balkan so: eine chinesische Bank gibt den Kredit, eine chinesische Firma bekommt den Auftrag und chinesische Bauarbeiter kommen und bringen selbst das Essen mit. Aus China.
Die bedrohte Pressefreiheit
Der Druck auf Medien ist ein Kritikpunkt, der in den Berichten der EU immer wieder vorkommt. Vor zwölf Jahren wurde der Chefredakteur der proserbischen Tageszeitung "Dan" Duško Jovanović ermordet. Das Blatt druckt sein Bild seitdem täglich auf der Titelseite mit der Frage: Wer hat ihn ermordet? In den vergangenen zehn Jahren gab es dutzende Übergriffe gegen kritische Journalisten. Die Täter werden in den Polizeiakten lediglich als "N.N." geführt. Es wurden Baseballschläger und Bomben benutzt. Einmal war der Täter bekannt: kein geringerer als der Bürgermeister von Podgorica, der zusammen mit seinem Sohn zwei Journalisten im Stadtzentrum verprügelt hatte. Der Parteifreund des Premiers wurde selbstverständlich bestraft - er musste 400 Euro Bußgeld bezahlen.
Die Klischees
Das sozialistische Jugoslawien gibt es längst nicht mehr, die Klischees über seine Völker hingegen haben überlebt. So werden auch heute Witze erzählt, in denen der Slowene geizig, der Bosnier nicht so schlau und der Montenegriner faul ist. Was macht also der montenegrinische Kellner, als der brave deutsche Tourist ein Bier bestellt? Der Kellner sagt: "Da ist der Zapfhahn, bring mir auch eins!"