Während des Kosovo-Kriegs flog die NATO 1999 heftige Luftangriffe gegen Serbien und Montenegro - damals in einem Staat namens "Bundesrepublik Jugoslawien" vereint. In diesem Krieg war Montenegro weitaus seltener Ziel als Serbien, das unter seinem autokratischen Präsidenten Slobodan Milošević im Westen als Hauptproblem angesehen wurde. Der militärische Fokus auf Serbien verärgerte damals manch einen Montenegriner, denn militärische Tapferkeit ist Teil des gern zelebrierten montenegrinischen Selbstbildes. Während der schlimmsten Bomben-Nächte in Belgrad stand in der montenegrinischen Stadt Nikšić das trotzig-witzige Graffito: Bombardiert doch auch uns! Wir haben keine Krätze!
Die Zeiten der Feindschaft sind nun definitiv vorbei. Der montenegrinische Ministerpräsident Milo Đukanović kann sehr zufrieden sein: seinem Zwergstaat, der an der Adria-Küste zwischen den NATO-Mitgliedern Kroatien und Albanien liegt, wurde eben die NATO-Mitgliedschaft angeboten.
Der Mann mit der weißen Weste
Ende der 1990er-Jahre distanzierte er sich zuerst von Slobodan Milošević, nach dessen Sturz auch vom demokratischen Serbien und führte Montenegro 2006 in die Unabhängigkeit. Klares Ziel: die Mitgliedschaft in EU und NATO. Đukanovićs Herrschaft ist seit Jahrzehnten stabil und dennoch umstritten: Er soll im großangelegten Zigarettenschmuggel involviert gewesen sein, auch seine Verbindungen nach Italien gelten als gut. Als Miloševićs Falke munitionierte er ideologisch die montenegrinischen Freischärler auf, die zu Beginn der jugoslawischen Sezessionskriege 1991 bis ins kroatische Dubrovnik vordrangen. Einige nennen das, was er damals tat, sogar die Anstiftung zu Kriegsverbrechen. Kriegsverbrechen gegen ein Land, dem Montenegro nun künftig als NATO-Partner verbunden ist.
Doch Đukanović behauptet seit jeher, eine weiße Weste zu haben. Mit der Einladung zur NATO-Mitgliedschaft wird er sich noch stärker als "lupenreiner Demokrat" des westlichen Balkans bestätigt sehen und entsprechend inszenieren. Wenn sich künftig die bisher zerstrittene Opposition in Montenegro radikalisiert, darf man das durchaus als ein Nebenprodukt dieser Entscheidung betrachten. Hauptsache Đukanović hält die Russen weg von der Adria! Jene Russen, die Đukanović vor wenigen Jahren noch als traditionelle Freunde Montenegros mit offenen Armen im Land empfing - als sonnenhungrige Urlauber genauso wie als Geschäftsleute.
Vorteile für Đukanović und die NATO
Die missbilligenden Töne aus Moskau angesichts der montenegrinischen NATO-Ambitionen dürften Đukanović politisch ebenso unangenehm sein, wie die Proteste der aggressiven Opposition vor dem Parlament in Podgorica. Doch die erhoffte Straffreiheit auch nach der Beendigung seiner ein Vierteljahrhundert andauernden, fast fürstlich anmutenden Herrschaft, sowie die zusätzlich gewonnene internationale Legitimität wiegen für Đukanović weit mehr.
Die NATO hingegen schließt eine potenzielle geostrategische Lücke, sichert sich die Vorherschaft in der Adria - mehr nicht. Die Montenegriner sind gewiss tapfere Soldaten, doch militärisch sind sie irrelevant: Selbst wenn Montenegro seine ganze Armee - rund 2000 Mann - in ein Krisengebiet schicken würde, wäre das gewiss nicht kriegsentscheidend.
NATO-Mitgliedschaft modernisiert keinen Staat
Kann die NATO zumindest ein Modernisierungsmotor sein? Schön wär's. Die Behauptung, dass die NATO-Mitgliedschaft die Westbindung und den Wertekonsens der aufgenommen Staaten irreversibel mache, entbehrt einer realistischen Grundlage. Zu viele Ausnahmen sind auf Anhieb zu nennen: Albanien, Bulgarien, aber auch die alten NATO-Mitglieder Griechenland und die Türkei stehen beispielhaft für zutiefst korrupte Staaten, die entweder autoritär regiert oder von Oligarchen gelenkt werden. Und auch putschendes Militär tat keiner NATO-Mitgliedschaft je Abbruch!
Die NATO adoptiert vielmehr ein Problemkind, auch wenn dieses gegenwärtig noch großes Lob ernten mag. Die PR-Abteilungen in Podgorica und Brüssel stricken garantiert schon an der Erfolgslegende des erfolgreich transformierten Staates. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat es bereits vorgemacht: "This is the beginning of a very beautiful alliance." Doch Montenegro kann mit dieser Entscheidung keinesfalls zu seinem inneren Frieden finden.
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