In Griechenland wird die Sechs-Tage-Woche eingeführt
20. Juni 2024Nach fünfzehn Jahren Krise und drei Rettungspaketen mit harten Auflagen ist Arbeit in Griechenland nicht mehr streng reguliert. Tarifverträge sind seit Jahren eingefroren, in vielen Unternehmen arbeiten die Mitarbeiter im Rahmen individueller Arbeitsverträge. Es gilt zwar immer noch die 40-Stunden-Woche, aber die Arbeitgeber dürfen für eine begrenzte Zeit bis zu zwei unbezahlte Überstunden pro Tag verlangen und im Gegenzug mehr Freizeit anbieten.
Theoretisch ist das auf freiwilliger Basis, doch in vielen Betrieben werden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gezwungen, länger und ohne jeglichen Ausgleich zu arbeiten. Die Einhaltung des Arbeitsrechts wird selten von den Behörden kontrolliert, die immer weniger Personal haben. Die effektive Arbeit der Prüfbehörden hat für die konservative Regierung unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis keine Priorität.
Die Griechen sind Europameister
Noch bevor das Gesetz über die Sechs-Tage-Woche in Kraft tritt, sind die Griechen die "Helden der Arbeit" in Europa. Mit durchschnittlich 41 Stunden pro Woche arbeiten sie länger als alle anderen EU-Bürger, wie aus Zahlen von Eurostat hervorgeht -und werden dafür ziemlich schlecht bezahlt.
Μit einem Mindestlohn von 830 Euro liegt Griechenland auf Platz 15 der Liste der EU-Länder. Gemessen an der Kaufkraft ist Griechenland sogar das vorletzte Land in Europa.
Weisungsrecht des Arbeitgebers
Ab dem 1. Juli 2024 werden viele Menschen in der Industrie, dem Einzelhandel, den landwirtschaftlichen Betrieben und einigen Dienstleistungen sechs Tage die Woche arbeiten müssen, wenn der Arbeitgeber sich so entscheidet. Für den sechsten Tag wird ein Zuschlag von 40 Prozent des Tageslohns gezahlt.
Tourismus und Gastronomie sind von dieser Regelung ausgenommen, denn in diesen Branchen gehört die Fünf-Tage-Woche schon seit 2023 der Vergangenheit an.
"Mit dem Gesetz 5053/2023 stirbt endgültig die Fünf-Tage-Woche", meint Aris Kazakos, emeritierter Professor für Arbeitsrecht in Thessaloniki. Der renommierte Jurist warnt vor der absoluten Macht des Arbeitgebers in den Beziehungen zu seinen Beschäftigten. Da die Arbeit am zusätzlichen sechsten Tag unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers falle, könne sich der Arbeitnehmer nicht dagegen wehren.
Kazakos setzt sich für kollektive Tarifverträge ein, die durch die Gesetzgebung der rechtskonservativen Regierung der Nea Dimokratia (ND) jedoch immer weiter zurückgedrängt werden. "Bei individuellen Verhandlungen ist der Arbeitgeber der absolute Souverän, der praktisch alle Bedingungen diktiert, die er will, mit Ausnahme der durch das Arbeitsrecht gesetzten Mindestrechte," so Kazakos weiter. Wenn die Gesetze gelockert würden, werde selbst dieser minimale Schutzrahmen ausgehebelt. "Da der Arbeitgeber die für ihn vorteilhaften Arbeitsbedingungen diktieren kann, führt dies automatisch dazu, dass die Arbeitsbeziehungen ein Regime der Ungerechtigkeit darstellen, denn was in den Arbeitsbeziehungen nur einer Seite nützt, kann niemals gerecht sein."
Offiziell wird die Sechs-Tage-Woche eingeführt, weil es auf dem griechischen Arbeitsmarkt an qualifiziertem Personal mangelt. Letztlich werden dadurch die Überstunden für den Arbeitgeber billiger und er wird nicht dazu gezwungen, mehr Mitarbeiter einzustellen.
Erhöhte Sicherheitsrisiken
In den meisten europäischen Ländern kämpfen die Gewerkschaften für eine Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnkürzung. Ziel ist unter anderem die Beschäftigungsförderung. Denn die 35-Stunden-Woche oder die Vier-Tage-Woche begrenzen die Zahl der Überstunden und zwingen so die Arbeitgeber, zusätzliches Personal einzustellen. Gleichzeitig erhöhen sie - das zeigen Studien - die Produktivität und die Einsatzbereitschaft der Arbeitnehmer. Die neuen griechischen Regelungen zur Sechs-Tage-Woche und die damit einhergehende Einschränkung von Schiedsverfahren drehen dagegen die Uhr zurück, wie Kazakos der DW sagt.
Der Jurist warnt, dass die Belastung eines sechsten Arbeitstags in der Woche die Sicherheitsrisiken für die Arbeitnehmer in der Industrie erhöht. Schon jetzt ist die Zahl der Arbeitsunfälle in Griechenland hoch. Im Jahr 2023 verunglückten 179 Arbeitnehmer bei tödlichen Arbeitsunfällen. Im Jahr zuvor waren es 104 Todesfälle.
Moderne Sklaverei?
Die niedrigen Löhne, die begrenzten Karrieremöglichkeiten und die immer längeren Arbeitszeiten ohne nennenswerten Lohnausgleich zwingen viele Griechen ins Ausland. Und immer mehr verweigern die Arbeit im Tourismus, weil sich die Arbeitsbedingungen dort wie moderne Sklaverei anfühlen.
Auf beliebten Urlaubsinseln wie Mykonos und Santorini müssen die Saisonarbeitnehmer schon jetzt sieben Tage die Woche schuften. Darüber hinaus sind sie oft in überfüllten Unterkünften untergebracht. Nicht selten teilen sich zehn Arbeitnehmer einen einzigen Raum zum Schlafen und Wohnen. Doch wenigstens auf Mykonos ist die Bezahlung gut, was auf weniger renommierte Urlaubsorte nicht zutrifft. Darum können Hoteliers in Gegenden wie der bei Urlaubern beliebten Halbinsel Chalkidiki in Nordgriechenland nicht genug Arbeitskräfte finden. Viele konnten ihre Hotels und Restaurants in diesem Sommer daher erst mit Verspätung öffnen.