Der Brasilianer Odilo Scherer ist kein Samba tanzender Katholik
12. März 2013Der Deutsch-Brasilianer, Erzbischof von Sao Paulo, der größten Diözese des Landes, unterhält langjährige Beziehungen zur römischen Kurie und gilt als enger Vertrauter des zurückgetretenen Papstes Benedikt XVI. Auf den ersten Blick wirkt der 63-Jährige ernst und streng. Hochgebildet, intelligent, polyglott – die Eigenschaften, die "Dom Odilo", wie er in Brasilien heißt, zugeschrieben werden, lassen wenig Volksnähe vermuten. Er gilt als Macher, als Kirchenmann mit festen Überzeugungen. Benedikt erhob ihn Ende 2007 in den Kardinalsstand, insbesondere brasilianische Medien betrachten ihn daher als Vertreter der konservativen römischen Kurie.
Doch hinter Scherers Habitus verbergen sich auch andere Eigenschaften. Bei Fernsehauftritten zeigt sich der 1976 zum Priester geweihte "Papabile" nicht nur als diskussionsfreudiger Dogmatiker, sondern zugleich als selbstkritischer, geduldiger und humorvoller Hirte.
Gute Kontakte nach Rom
Ja, leider seien die Predigten in der Kirche oft schwer verständlich, der Gottesdienst könne lebhafter und feierlicher sein, und natürlich leide auch Brasilien unter großem Priestermangel, räumte Scherer kürzlich ein. Für den Priestermangel sei zwar nicht die verordnete Ehelosigkeit verantwortlich, erklärte Scherer. Doch er schloss Reformen nicht aus. "Der Zölibat ist kein Dogma", stellte er klar, "sondern eine disziplinarische Norm". Und Normen könnten im Zweifel geändert werden, auch wenn dies zurzeit nicht absehbar sei.
Einem brasilianischen Talkmaster gelang es im November vergangenen Jahres, den ernsten Erzbischof aufzumuntern: "Darf ein Pfarrer Blut spenden?", lautete seine erste, scheinbar harmlose Frage. Bei der zweiten Frage musste Scherer dann tief durchatmen. "Darf ein Pfarrer Samen spenden?" Scherers Antwort war ganz und gar undogmatisch: "Diese Frage überrascht mich", erklärte er lachend vor laufenden Kameras. "Ich muss darüber nachdenken, unter welchen Umständen dies möglich sein könnte!".
Eigentlich müsste "Dom Odilo" das Lachen vergangen sein, denn in Brasilien bekennen sich immer weniger Menschen zum katholischen Glauben. Im noch größten katholischen Land der Welt sank der Anteil der romtreuen Gläubigen an der Bevölkerung zwischen 2000 und 2010 von 74 auf 64 Prozent. Evangelikale Freikirchen und Pfingstgemeinden verzeichneten zugleich einen Zuwachs von 15 auf 22 Prozent. Rund 14 Prozent der Bevölkerung gelten als konfessionslos.
Mangelware Priester
Für die rund 125 Millionen Katholiken Brasiliens sind lediglich 22.000 Geistliche im Einsatz. Im Durchschnitt kommen auf einen Priester 5600 Gläubige. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Schnitt bei 1600 Katholiken je Priester. Scherer leugnet diese Probleme nicht. Er betrachtet seine Heimat als ein großes religiöses Labor, in dem sich der Katholizismus neben anderen Glaubensgemeinschaften positionieren muss.
Seine Analysen über einen rapiden Werteverfall und die mangelnde katholische Grundbildung und Verwurzelung in der modernen brasilianischen Gesellschaft haben ihm Respekt in Rom eingebracht. Er wurde Mitglied in wichtigen Institutionen der Kurie, darunter der Kongregation für den Klerus, den Päpstlichen Rat für die Familie und die Päpstliche Kommission für Lateinamerika.
Der größte Vertrauensbeweis aus Rom war jedoch Scherers Berufung in die Kardinalskommission der Vatikanbank "Istituto per le Opere di Religione" (IOR) im Jahr 2008. Drei Jahre später erklomm er durch seine Nominierung für den mächtigen Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung eine weitere Stufe in der römischen Hierarchie.
Kein Samba tanzender Katholik
Als Deutschbrasilianer fügt "Dom Odilo" sich nicht in das Klischee eines Samba tanzenden Katholiken. Alte Kirchenlieder sind ihm vertrauter als Karnevalsschlager. Er wuchs weit entfernt von der Metropole Rio de Janeiro mit zehn Geschwistern in der kleinen südbrasilianischen Ortschaft Cerro Largo auf. Schon sein Onkel Alfredo Vicente Scherer wirkte als Erzbischof.
Bescheidenheit und Aufrichtigkeit, das Arbeitsethos und die klaren Analysen Scherers nötigen vielen Brasilianern Respekt ab, selbst wenn sie seine Positionen nicht teilen. "Wenn Scherer Papst wird, stärkt dies die Position der katholischen Kirche in Brasilien und in ganz Lateinamerika", ist Erzbischof Anuar Battisti überzeugt. "Er wird den katholischen Glauben verteidigen, Basisgemeinden fördern und alle Initiativen der brasilianischen Bischofskonferenz unterstützen."