Filmfestival in Locarno trotzt Corona
3. August 2021In diesem Jahr verspricht das Filmfestival in Locarno in der Südschweiz etwas Normalität in der Corona-Pandemie. Anders als im Vorjahr soll das Fest keine Hybrid-Veranstaltung werden, die teils vor Publikum und teils digital abläuft. Im Open-Air-Kino auf der Piazza Grande und in den Spielstätten sind keine Beschränkungen der Zuschauerzahl geplant. Pflicht ist hier aber ein Covid-Zertifikat, das die Impfung, Genesung oder einen negativen Test bescheinigt. In kleineren Spielstätten ist kein Zertifikat nötig, hier gelten weiterhin Abstands- und Maskenpflicht. Locarno zählt neben Venedig, Cannes und Berlin zu einem der wichtigsten europäischen Filmfestivals.
Die 74. Ausgabe des Locarno Film Festivals vom 4. bis 14. August ist die erste des neuen Festivalleiters Giona A. Nazzaro. Der Italiener hatte die künstlerische Leitung offiziell zum Jahreswechsel übernommen, nachdem die Französin Lili Hinstin nach nur zwei Jahren zurückgetreten war.
Nazzaro leitete seit 2016 die Kritikerwoche des Internationalen Filmfestivals Venedig und war in Locarno bereits seit 2009 als Moderator im Einsatz. Der neue Festivalleiter will die Tradition des Festivals für Autorenfilme fortsetzen. Er übernimmt das Festival in einer für das Kino schwierigen Zeit: Neben Corona sorgt auch der Strukturwandel durch die Konkurrenz der Streamingdienste für Probleme.
Wie sehr das Kino im Wandel und Streaming auf dem Vormarsch ist, wird am Eröffnungsfilm deutlich: Die Rechte am Thriller "Beckett" hält Netflix, wo der Film noch vor Ende des Festivals abrufbar sein wird - früher ein Ding der Unmöglichkeit.
"Beckett" erzählt von einem US-Amerikaner, auf den im Griechenland-Urlaub nach einem Unfall Jagd gemacht wird. Die Hauptfigur verkörpert John David Washington. Der Sohn von Oscar-Preisträger Denzel Washington spielte bereits die Hauptrollen in Spike Lees Oscar-prämiertem "BlacKkKlansman" und Christopher Nolans "Tenet". Der Film eröffnet das Filmfest am 4. August auf der Piazza Grande.
Nachdem im vergangenen Jahr Corona-bedingt kein Hauptpreis vergeben worden war, gehen im internationalen Wettbewerb, dem Concorso internazionale, nun 17 Filme ins Rennen um den Goldenen Leoparden. Die Jury führt die US-Regisseurin Eliza Hittman an, die 2020 für ihren Film "Niemals Selten Manchmal Immer" den Silbernen Bären der Berlinale erhielt.
Neben dem Schweizer Film "Soul of a Beast" über einen jugendlichen Vater wird die schweizerisch-österreichisch-deutsche Koproduktion "Monte Verità - Der Rausch der Freiheit" mit Spannung erwartet. Sie handelt von einer Gruppe von Aussteigern Anfang des 20. Jahrhunderts - unter ihnen der Psychoanalytiker Otto Gross und der Schriftsteller Hermann Hesse. Beide konkurrieren um den Hauptpreis mit Abel Ferraras Beitrag "Zeros and Ones", in dem der Vatikan in die Luft fliegt.
Die deutsche Produktion "Niemand ist bei den Kälbern" nach dem gleichnamigen Debütroman von Alina Herbing hat Chancen auf den Nachwuchspreis Concorsi Cineasti del presente. Die Geschichte handelt von Christin, die das Landleben satt hat und von der Großstadt träumt.
Zum ersten Mal wird in diesem Jahr der Locarno Kids Award la Mobiliare vergeben, der an Filmschaffende geht, die das jüngere Publikum ans Kino heranführen. Damit soll Kindern und Jugendlichen im Festivalpublikum ein besonderer Platz eingeräumt werden. Erster Preisträger ist der japanische Animationsfilm-Regisseur Mamoru Hosoda. Dessen neuer Film "Belle" handelt vom Einfluss der sozialen Netzwerke auf die junge Generation und feiert am 9. August seine Premiere.
In Locarno soll nach dem Willen der Veranstaltenden in diesem Jahr nicht nur über Filme gesprochen werden, sondern auch über die Umwelt. Gelegenheit dazu bietet die Weltpremiere von "Yaya e Lennie - The Walking Liberty", ein Animationsfilm des italienischen Regisseurs Alessandro Rak. Der Film erzählt von einer apokalyptischen Zukunft: Die Natur hat sich die Welt zurück erobert und die Menschen versuchen, eine neue Ordnung herzustellen.
Auf der Piazza Grande laufen auch ältere Filme, die in Locarno dieses Jahr Ehrenpreise erhalten. So entsteht vor der prächtigen Kulisse am Lago Maggiore ein bunter Film-Strauß. Mit dabei ist etwa der Thriller-Klassiker "Heat" mit Robert de Niro (Ehrenpreis für Kameramann Dante Spinotti) oder der Science-Fiction-Hit "Terminator" (Ehrenpreis für die Produzentin Gale Anne Hurd). Jeden Abend läuft im Open-Air-Kino ein Film vor 8000 Zuschauerinnen und Zuschauern.
Auch zwei Filme mit der französischen Schauspielerin Laetitia Casta werden auf der Piazza Grande zu sehen sein: "L'homme fidèle" (2018) von Louis Garrel und "Gainsbourg" (2010), in dem das frühere Model Brigitte Bardot verkörperte und dafür als beste Nebendarstellerin eine Nominierung für den César erhielt.
Casta nimmt in Locarno den Excellence Award entgegen, mit dem das Festival Persönlichkeiten ehrt, die das zeitgenössische Kino geprägt haben. Zu den früheren Preisträgerinnen und Preisträgern gehören der südkoreanische Schauspieler Song Kang-ho, Ethan Hawke, John Malkovich, Juliette Binoche und Isabelle Huppert.