Frankreich kann EM-Geschichte schreiben
14. Juni 2021Frankreich gegen Deutschland: Es ist ein Duell unter Nachbarn und eines mit langer Tradition. Insgesamt 31-mal trafen beide Nationalmannschaften bislang aufeinander. Die Bilanz spricht dabei mit 14 Siegen und sieben Unentschieden für "Les Bleus". Die Franzosen gewannen auch das erste Pflichtspiel: 6:3 im Spiel um Platz drei bei der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden, Frankreichs erster Superstar Just Fontaine erzielte dabei vier Tore.
Noch mehr Treffer fielen lediglich im Halbfinale der WM 1982 in Spanien - aber nur, weil es im Elfmeterschießen entschieden wurde. Nach 90 und 120 Minuten stand es 3:3. Das Duell vom Punkt gewann Deutschland mit 5:4, Horst Hrubesch verwandelte den letzten Elfmeter. Die letzte Niederlage kassierte Frankreich bei der WM 2014 in Brasilien, als sich der spätere Weltmeister Deutschland im Viertelfinale mit 1:0 durchsetzte. Bei der Heim-EM gelang der Équipe Tricolore mit einem 2:0 im Halbfinale die Revanche. Das letzte Aufeinandertreffen beider Teams endete im Oktober 2018 mit einem 2:1-Erfolg der Franzosen in der Nations League.
Deschamps winkt Historisches
Die jüngere Vergangenheit spricht im Duell der beiden Weltmeister-Trainer Löw und Deschamps also eindeutig für den Franzosen, der neben Franz Beckenbauer (1974, 1990) und dem Brasilianer Mario Zagallo (1958, 1962, 1970) der Dritte im Kreis derer ist, die als Spieler (1998) und auch als Trainer (2018) den WM-Pokal in die Höhe stemmen durften. Und Deschamps hat das nächste historische Ziel bereits vor Augen: Im Falle des EM-Titelgewinns wäre der 52-Jährige der Erste überhaupt, der als Spieler und als Trainer den EM-Titel holen konnte. Im Jahr 2000 hatte er "Les Bleus" als Weltmeister und Kapitän auch bei der EM in Belgien und den Niederlanden zum Titel geführt.
Seit 2012 verantwortet Deschamps die Nationalmannschaft als Trainer und ist damit einer der am längsten amtierenden bei der EM. Seitdem schaffte es Frankreich in zwei große Finals (EM 2016, WM 2018). Der WM-Titel 2018 war der bisherige Höhepunkt für die Mannschaft des Mannes aus dem südfranzösischen Bayonne, dessen Philosophie nicht das überfallartige Offensivspektakel mit Gegenpressing, sondern das Spiel aus einem geordneten Mittelfeld heraus ist. Das mag nicht jedem gefallen - Belgiens Torhüter Thibaut Courtois nannte Frankreichs Spiel nach der Niederlage im WM-Halbfinale 2018 "Anti-Fußball" - ist aber extrem erfolgreich und lässt Frankreich seit Jahren vor jedem Turnier zum Favoritenkreis zählen.
Weltklasse-Spieler, Weltklasse-Team
Deschamps verfügt über den wohl besten Nationalmannschafts-Kader der Welt. Wahlweise lässt er sein Team in einer 4-4-2- oder einer 3-4-1-2-Grundformation antreten. Besonders in Mittelfeld und Sturm sind dabei die Top-Leute unter dem 52-Jährigen gesetzt: Im Zentrum agieren die Premier-League Profis N'Golo Kanté (Chelsea) und Paul Pogba (Manchester United), davor bilden Barca-Profi Antoine Griezmann und der als kommender Weltfußballer gehandelte Kylian Mbappé das Herz der Offensive. Dazu kommen mit Olivier Giroud (Chelsea) und Karim Benzema (Real Madrid), der zum ersten Mal seit 2015 wieder für die Nationalmannschaft nominiert wurde, klassische Mittelstürmer, die seit Jahren ihre Torjägerqualitäten unter Beweis stellen.
Der Luxus-Kader Frankreichs erlaubt es Deschamps sogar, auf Spieler von europäischem Topformat zu verzichten. So gehören beispielsweise Stürmer Anthony Martial von Manchester United, Ferland Mendy von Real Madrid oder Tanguy Ndombele von Tottenham Hotspur gar nicht zum EM-Kader des Weltmeisters. Aus der Bundesliga stehen mit Kingsley Coman, Corentin Tolisso, Lucas Hernandez und Benjamin Pavard vom FC Bayern und dem Gladbacher Marcus Thuram fünf Profis im Aufgebot des Weltmeisters.
Ob das dem deutschen Team im ersten Gruppenspiel gegen den Weltmeister einen Vorteil bringen kann, darf jedoch bezweifelt werden. Zwar schloss das DFB-Team die Vorbereitung mit einem eindrucksvollen 7:1-Torfestival gegen Lettland ab und wirkt mit den Rückkehrern Mats Hummels und Thomas Müller spielerisch und vom Teamgeist her wieder wie zu erfolgreicheren Zeiten. Doch um Frankreich zu schlagen, muss für Joachim Löws Mannschaft am Dienstag (Anstoß 21 Uhr MESZ) alles zusammenpassen. Denn der Favorit trägt bei der Neuauflage des Traditionsduells in München blau.
Adaption: David Vorholt