"Fremdenfeindlichkeit tief verwurzelt"
22. August 2015Deutsche Welle: Die offiziellen Zahlen der Asylsuchenden in der Slowakei nehmen sich bescheiden aus: 109 Asylanträge bisher in diesem Jahr, davon wurden sechs genehmigt. Und doch ist die Angst vor Flüchtlingen groß. In einer Umfrage haben sich vor kurzem zwei Drittel der Slowaken gegen jede Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen. Warum?
Zuzana Števulová: Das hat verschiedene Gründe. Zunächst einmal hat es in den vergangenen Jahren kaum Zuwanderung gegeben, nur wenige Flüchtlinge sind gekommen. Heute liegt der Ausländeranteil bei gerade einmal einem Prozent. Und von diesen 70.000 Einwanderern kommt die Mehrheit aus dem EU-Ausland. Wir haben als Nation also kaum Erfahrung mit Flüchtlingen.
Zum anderen findet in unserer Gesellschaft überhaupt keine öffentliche Debatte über Werte statt, zum Beispiel dass wir offen gegenüber Migranten sein sollten. Das Problem zeigt sich auch gegenüber der Roma-Minderheit in der Slowakei: Von einfachen Bürgern und auch von Politikern hört man offen rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen - und ähnlich jetzt in der Debatte über Immigranten und Flüchtlinge. Xenophobie und Rassismus sind in den Köpfen hier tief verwurzelt.
Wovor haben die Slowaken denn Angst?
Ich glaube, sie haben Angst vor dem Unbekannten. Seit Beginn der Flüchtlingskrise in den Mittelmeeranrainerstaaten beschwören unsere Politiker öffentlich eine Bedrohung herauf, indem sie die Immigranten mit Terrorgefahr in Verbindung bringen. Kaum jemand äußert sich tolerant oder verständnisvoll, noch sind objektive Tatsachen zu hören.
Zugleich stellen extremistischen Gruppen fremdenfeindliche Artikel und wahrheitsverfälschende Videos ins Netz, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Das alles verunsichert die Menschen zutiefst. Und wenn sie dann im Fernsehen hören, dass auch der Ministerpräsident und der Innenminister gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sind, glauben sie natürlich, ihre Angst sei berechtigt.
Wahlen im Blick
In den vergangenen Jahrzehnten haben hunderttausende Slowaken in westlichen Ländern Zuflucht gesucht und gefunden. Spielt diese Tatsache eine Rolle in der Debatte?
Das sollte sie. Und einige, die sich mit Asylfragen beschäftigen, weisen auch darauf hin. Aber dieses Argument kommt nicht in den Köpfen der Menschen an. Vielmehr hört man dann: "Die Slowaken haben ja dort auch gearbeitet, sie waren integriert, da gab es nie Probleme." Viele können sich nicht vorstellen, dass sich die Flüchtlinge, die jetzt kommen, ebenso gut integrieren können.
Die slowakische Regierung hat mit ihrem Angebot, 200 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, aber nur, wenn sie christlichen Glaubens sind, im Ausland harsche Kritik geerntet. Was steckt Ihrer Ansicht nach hinter diesem Angebot?
Diese Aussage ist in der Tat beschämend und diskriminierend. Kein einziger Politiker redet davon, den Flüchtlingen Asyl zu gewähren, weil sie in größter Not oder besonders verwundbar sind. Statt dessen tun alle so, als sei die zentrale Frage, ob man nun muslimische oder christliche Flüchtlinge aufnimmt. Das ist ein großer Fehler.
Unsere Politiker haben schon die Parlamentswahlen im nächsten Frühjahr im Blick. Und einige glauben, dass sie die Wahlen gewinnen können, wenn sie so tun, als gelte es, die slowakische Nation und das Christentum gegen Muslime zu verteidigen.
Flüchtlinge nur im Transit
Und doch hat sich Regierungschef Robert Fico bereit erklärt, 500 Asylsuchende aus dem österreichischen Aufnahmelager Traiskirchen unterzubringen - unter der Voraussetzung, dass ihr Asylantrag weiter in Österreich bearbeitet wird. Die Regierung in Wien zeigt sich glücklich und dankbar über dieses großzügige Angebots. Was halten Sie davon?
Das mag großzügig sein, aber das ist ja keine Lösung bei der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU. Es mag Österreich dabei helfen, das Aufnahmelager zu entlasten. Und sicher haben wir leerstehende Unterkünfte in der Slowakei, weil aus der Ukraine derzeit kaum noch Flüchtlinge kommen.
Meiner Ansicht nach sollten wir aber mit diesen Einrichtungen helfen, die Situation in den Aufnahmelagern in Griechenland, Italien und jenseits der EU-Grenzen zu entspannen. Das hätte die slowakische Regierung anbieten können. Stattdessen hat sie beschlossen, Österreich zu helfen, um sagen zu können, dass sie etwas tut - aber eben für Flüchtlinge, die nicht in der Slowakei bleiben werden. Der EU bietet die Slowakei fast nur Hilfe beim Transit in andere Länder an.
Kaum aufgeschlossene Politiker
Die slowakische Regierung sagt, dass ihre Migrationspolitik im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der europäischen Flüchtlingspolitik steht. Meinen Sie das auch?
Was die Gesetzgebung angeht, stimmt das. Aber als Rechtsberaterin für Asylsuchende mache ich die Erfahrung, dass über Asylanträge seit Jahren sehr restriktiv entschieden wird. Das sagen der Ministerpräsident und der Innenminister auch ganz offen. Es ist mehrfach vorgekommen, dass Asylbewerber, die die Kriterien erfüllen, nicht anerkannt wurden. Das ist ein großer Fehler.
Erwarten Sie, dass eine der Parteien bei den Wahlen im Frühjahr mit einer liberaleren Flüchtlingspolitik ins Rennen gehen wird?
Leider nein. Es gibt zwar einige Stimmen in den Reihen der Christdemokraten oder auch bei den Minderheitsparteien der Ungarn und der Roma, die im Parlament dafür geworben haben, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Aber in keiner der Parteien kann ich einen spürbaren Schritt erkennen, sich aufgeschlossener gegenüber Immigration und in der Flüchtlingspolitik zu positionieren.
Zuzana Števulová leitet die Nichtregierungsorganisation Human Rights League in der slowakischen Hauptstadt Bratislava, die seit 2005 Asylsuchenden juristische Unterstützung anbietet.
Das Gespräch führte Klaus Dahmann.