EU Ukraine
18. Dezember 2011Es würde an ein Wunder grenzen, wenn auf dem Gipfel am Montag (19.12.2011) in Kiew doch noch ein Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine paraphiert wird, so die einhellige Meinung von Beobachtern in Kiew. Diese Vorstufe einer Unterzeichnung würde bedeuten: Beide Seiten sind mit dem Vertragstext einverstanden. Aber obwohl die langjährigen Verhandlungen abgeschlossen sind, wird das Assoziierungsabkommen vermutlich auf Eis gelegt. "Es könnte sein, dass die Paraphierung nicht bei diesem Gipfel stattfindet", dämpfte ein Mitarbeiter des ukrainischen Außenministeriums die Erwartungen.
Seit über zehn Jahren streben ukrainische Präsidenten eine Mitgliedschaft ihres Landes in der Europäischen Union an. Ohne Erfolg. Das so genannte "erweiterte Assoziierungsabkommen", das auch die Gründung einer Freihandelszone vorsieht, würde diesem Ziel nahe kommen. Die Ukraine würde sich so fest wie noch nie an Europa binden. Beide Seiten würden davon profitieren, sagt Ricardo Giucci von der deutschen Beratergruppe bei der ukrainischen Regierung. Zudem würde der Handel zwischen der Ukraine und der EU durch Zollsenkungen erleichtert. "Die Ukraine würde moderne Standards bei der Güterproduktion übernehmen", sagt Giucci. Das schaffe günstigere Bedingungen für Investoren, so der Wirtschaftsexperte.
Auch politisch würde die Ukraine von dem Abkommen profitieren. Eine EU-Mitgliedschaft könnte in greifbare Nähe rücken. Das ist das erklärte Ziel des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Doch genau daran gibt es Zweifel: sowohl bei der Opposition in Kiew als auch bei der EU in Brüssel.
Fall Timoschenko als Belastungsprobe
"Einer der brisanten Punkte auf der Tagesordnung bleibt die Situation um die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko", sagte Janukowitsch wenige Tage vor den EU-Ukraine-Gipfel. Das Schicksal der ukrainischen Oppositionsführerin ist inzwischen eine Belastung für die Beziehungen zwischen Kiew und Brüssel.
Seit Anfang August ist die charismatische Julia Timoschenko, die bei der letzten Präsidentenwahl nur knapp gegen Janukowitsch verloren hatte, hinter Gittern. Ein Kiewer Gericht hat die 51-Jährige zu sieben Jahren Haft wegen Amtsmissbrauchs bei der Unterzeichnung eines neuen Gasabkommens mit Russland verurteilt. Timoschenko weist die Vorwürfe zurück und beschuldigt den ukrainischen Präsidenten, sie als Oppositionsführerin ausschalten zu wollen.
Die Europäische Union hat den Prozess gegen Timoschenko von Anfang an kritisiert. Das Verfahren wecke Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine, hieß es aus Brüssel. Auch in Berlin entstand der Eindruck, dass es sich um "politisch motivierte Justiz" handeln könnte.
Diplomatische Ohrfeige für Janukowitsch
Zunächst bemühte sich die EU, keinen großen Druck auf die Ukraine auszuüben. Bei einem Gipfel der EU-Initiative "Östliche Partnerschaft" in Warschau im September lobten die europäischen Spitzenpolitiker Fortschritte der Ukraine bei der Annäherung an die EU. Sie machten aber zugleich deutlich, dass eine Verurteilung Timoschenkos nicht ohne Konsequenzen bleiben würde. Und dazu kam es auch. Wenige Tage nach dem Schuldspruch sagte die EU-Kommission einen Besuch des ukrainischen Präsidenten in Brüssel kurzfristig ab. Westliche Medien sprachen von einer "diplomatischen Ohrfeige".
Die EU fühlt sich offenbar von Janukowitsch in die Irre geführt. Dieser hatte zwar gesagt, dass er sich nicht in die Arbeit der ukrainischen Justiz einmischen werde. Doch der Präsident deutete an, Timoschenko könnte entweder durch eine Gesetzesänderung oder durch einen Freispruch vor dem Berufungsgericht frei kommen. Nichts davon geschah. Die Oppositionsführerin blieb in Haft und ist inzwischen sogar mit einem neuen Verfahren konfrontiert. Diesmal wird ihr Steuerhinterziehung vorgeworfen.
EU in der Sackgasse
Nichts deutet darauf hin, dass Timoschenko bald frei kommen könnte. Beobachter rechnen deshalb nicht mehr mit einer Paraphierung des Assoziierungsabkommens auf dem Gipfel in Kiew. Susan Stewart von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hält es für einen "Fehler", dass die EU das Abkommen mit dem Schicksal von Timoschenko verknüpft hat. "Die EU hat sich in eine Sackgasse manövriert", sagt die Expertin. "Entweder lässt sie das fallen und ist dann unglaubwürdig, oder sie besteht darauf, und dann kommt das Abkommen nicht zustande."
So droht nun eine Abkühlung in den Beziehungen zwischen Brüssel und Kiew. Susan Stewart von der SWP plädiert vor diesem Hintergrund für einen neuen "Baustein-Ansatz". Sie schlägt vor, einzelne Aspekte der Zusammenarbeit nicht in einem großen Abkommen, sondern in einzelnen Kapiteln zu behandeln. "Ich finde es ist schon wichtig, dass die EU einen Schwerpunkt auf die Entwicklung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit legt, weil ich die Entwicklung in der Ukraine sehr beunruhigend finde", sagt die Expertin.
Ein Schwenk in Richtung Russland?
Oppositionspolitiker und Vertreter der westlich orientierten Nichtregierungsorganisation in Kiew befürchten, dass sich die Ukraine von der EU abwenden und Russland zuwenden könnte. Moskau ist gerade dabei, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum und eine Zollunion mit Weißrussland und Kasachstan aufzubauen. Gerne würde der Kreml auch die Ukraine in diesem eurasischen Bündnis sehen.
Der ukrainische Vizeregierungschef Serhij Tihipko formulierte es in einem Zeitungsinterview so: "Sollte von der Europäischen Union ein absolut klares Nein kommen, dann ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass sich die Ukraine auf die Zollunion umorientiert."
Autoren: Lesya Yurchenko, Roman Goncharenko
Redaktion: Bernd Johann, Sabine Faber