Israel: Gantz läuft die Zeit davon
14. April 2020Während Israels Bürger in Folge der Corona-Krise in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt sind, versucht die Politik weiter die Gestaltung eines überdimensionalen Spagats. Oppositionskandidat Benny Gantz (Artikelbild) vom Mitte-Bündnis Blau-Weiß hat nach einer Fristverlängerung noch bis zum späten Mittwochabend Zeit, eine Koalition zu schmieden. Am Dienstag blieben die Verhandlungen für eine neue Regierung zwischen Gantz und Regierungschef Benjamin Netanjahu von der rechtskonservativen Likud-Partei erneut ergebnislos. Ein Treffen zwischen Gantz und Netanjahu sei beendet, teilten beide Parteien in einer Stellungnahme lediglich mit.
Pessachfest verkürzt Verhandlungszeit
Die Verhandlungsteams wollen nun nach Ende des Pessachfestes am Mittwochabend erneut zusammenkommen, um eine "nationale Notstandsregierung" zu formen. Dazu hat der mit der Regierungsbildung beauftragte Gantz nach einer Fristverlängerung noch bis zum späten Mittwochabend Zeit. Ob die weiteren Verhandlungen angesichts strikter Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie lediglich online erfolgen sollen, sagte eine Sprecherin von Gantz nicht.
In Israel dürfen die Bürger bis Donnerstagmorgen grundsätzlich ihre Städte und Dörfer nicht verlassen, in Jerusalem in ihren Vierteln bleiben. Damit will die Regierung verhindern, dass sich Familien zum Ende des jüdischen Pessachfestes treffen und die Verbreitung von SARS-CoV-2 befeuern.
Rivlin gewährt Gantz letzte Frist
Präsident Reuven Rivlin hatte die Frist zur Regierungsbildung für Gantz in der Nacht zum Dienstag um weitere 48 Stunden verlängert. Eine vierwöchige Frist zur Regierungsbildung für Gantz war am Montag um Mitternacht abgelaufen. Die neue Frist werde am Mittwoch um 24 Uhr (23 Uhr MESZ) enden, teilte Rivlins Büro mit. Sowohl Gantz als auch Netanjahu unterstützten die entsprechende Anfrage - sie sei unter der Voraussetzung zum Präsidenten gebracht worden, dass man nahe an einer Einigung sei, hieß es.
Gantz will eine Entscheidung und macht nun verstärkt Druck: "Netanjahu, dies ist unser Augenblick der Wahrheit". Entweder werde es eine nationale Notstandsregierung geben, "oder eine sinnlose vierte Wahlrunde, die in dieser Stunde der Krise teuer und unnötig ist". Sollten die Politiker dieser Herausforderung nicht gerecht werden, werde "die Geschichte das nicht verzeihen", sagte Gantz.
Übergangsregierung seit mehr als einem Jahr
Israel wird seit Ende 2018 von einer Übergangsregierung unter Netanjahu verwaltet. Am 2. März hatten die Bürger das dritte Mal innerhalb eines Jahres ein neues Parlament gewählt. Dabei gab es erneut keinen klaren Sieger, aber Gantz erhielt wegen mehr Empfehlungen von Abgeordneten den Auftrag zur Regierungsbildung. Er strebt vor dem Hintergrund der Corona-Krise eine große Koalition mit Netanjahu an, obwohl dieser wegen Korruption in drei Fällen angeklagt ist. Aus Protest dagegen hat sich ein Teil seines Bündnisses von Blau-Weiß abgespalten.
Unter dem Eindruck der Corona-Krise war der Beginn des Korruptionsprozesses gegen Netanjahu Mitte März verschoben worden. Er soll nun erst am 24. Mai beginnen. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Netanjahu Betrug und Untreue sowie Bestechlichkeit vor. Der Regierungschef hat alle Vorwürfe zurückgewiesen.
Sollten Gantz und Netanjahu sich nicht auf eine Regierung einigen, will Rivlin nach eigenen Angaben das Mandat zur Regierungsbildung an das Parlament geben. Liegt das Mandat bei der Knesset, kann jeder Abgeordnete - auch Gantz und Netanjahu - versuchen, binnen 21 Tagen die Unterstützung von 61 der insgesamt 120 Parlamentarier zu finden. Danach hat er noch einmal zwei Wochen Zeit, eine Koalition zu schmieden. Scheitert dies, muss Israel zum vierten Mal seit April 2019 wählen.
cgn/ww (afp, dpa)