Erdogans Egotrip
Was ist und wozu geht man ein Bündnis ein? Die naheliegende Antwort auf diese Frage ist eigentlich, dass sich Staaten zum gegenseitigen Vorteil zusammentun, um konkrete Gefahren abzuwehren. Oder zumindest auf die Abwehr potenzieller Gefahren vorbereitet zu sein.
Kompromisse sind immer nötig
In jüngster Vergangenheit wird die Rolle von Bündnissen zunehmend in Frage gestellt, weil im Zusammenspiel mehrerer Akteure immer auch Kompromisse gemacht werden müssen. Das Wort "Kompromiss" hat der angeblich starke Mann der Türkei, Präsident Recep Tayyip Erdogan, seit dem missglückten Putschversuch vor drei Jahren aus seinem Wortschatz gestrichen.
Das Problem mit Erdogan ist nur, dass er seinen eigenen Vorteil mit den Interessen des türkischen Staates gleichsetzt. Und da er sich in den Kopf gesetzt hat, dass die Vereinigten Staaten den Prediger Gülen, den Erdogan zum Anstifter des Putschversuches erklärt hat, ausliefern müssten, ist er bereit, sich sehr weit aus dem Fenster zu lehnen, um die Amerikaner zum Nachgeben zu bewegen. Dass die Türkei - aus guten Gründen - Mitglied der NATO ist, fällt für Erdogan offenbar nicht mehr ins Gewicht. Er sucht ohnehin einen eigenen Weg für sein Land. Dabei trifft er in Gestalt des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf einen Geistesverwandten. Dem sind zwar die Interessen der Türkei gleichgültig. Aber wenn es um die Schwächung der NATO geht, ist Putin sofort Feuer und Flamme.
Aus Moskauer Perspektive ist es daher nur naheliegend, der Türkei das Luftabwehrsystem S-400 zu verkaufen. Nicht nur trägt man damit den Spaltpilz ins westliche Bündnis. Als Kollateralnutzen bekommt Moskau auch wertvollste Informationen über die NATO. Wenn die türkische Regierung versichert, das werde nicht geschehen, ist das entweder unverzeihlich naiv, oder schlicht gelogen.
Für vernünftige Argumente noch erreichbar?
Zwar sprechen NATO-Partner mit der Türkei auch weiterhin über den Erwerb des amerikanischen "Patriot"-Abwehrsystems. Aber hier geht es offenbar vor allem anderen um einen weiteren Egotrip des türkischen Präsidenten. Es ist völlig unklar, ob man diesen mit vernünftigen Argumenten noch erreichen kann. Wenn nein, werden die Amerikaner garantiert neue Sanktionen gegen Ankara verhängen. Das werden dann alle Türken zu spüren bekommen. Und das wird das Bündnis dann auch nicht populärer am Bosporus machen. Es sieht also nach einer "lose-lose"-Situation für die NATO aus.