Gauck auf Staatsbesuch in Neu Delhi
5. Februar 2014Im indischen Protokoll herrscht eine gewisse Panik: "Wir brauchen einen Regenschirm", ruft eine Diplomatin in die Runde, ein junger Helfer rennt los und kramt unter der Tribüne der Fotografen. Bundespräsident Joachim Gauck schreitet gerade die Reihen der Würdenträger vor dem Amtssitz des indischen Präsidenten in Delhi ab, so wie es das Protokoll bei einem Staatsbesuch vorschreibt, und der Nieselregen tropft ihm auf das Jackett. Der Schirm fehlt noch, als er vor der anwesenden Presse erklärt, dass er sich auf "fruchtbare Gespräche" mit der ältesten Demokratie in der Region freut.
Der Präsident möchte mit seinem ersten Staatsbesuch in Asien (04.-12.02.2014) bewusst ein Zeichen setzen: Nämlich, dass Deutschland und Indien, die größte Demokratie der Region, Grundwerte teilen. Er habe damit auch Respekt zollen wollen für die Rolle Indiens in der Region, etwa in Afghanistan, erklärt er nach seinen Gesprächen mit dem indischen Präsidenten Manmohan Singh vor den mitgereisten Journalisten am Nachmittag. Mittlerweile ist die Wolkendecke aufgerissen, die Sonne scheint über Delhi. Aber er habe durchaus auch kritische Punkte thematisiert, so Gauck: So habe er ein Urteil des indischen Verfassungsgerichtes, wonach Homosexualität illegal bleibt, nicht verschweigen wollen. In den Gesprächen sei klar geworden, dass die indische Politik durchaus nach einer "progressiven Lösung" suche, die bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht diskriminiere. Er habe auch das Thema Frauenrechte angesprochen: Dort klaffe das Handeln des Politik und großer Teile der Bevölkerung weit auseinander. Es gebe Gruppen, "die mehr als kritikwürdig handeln." Indien ist in den vergangenen Monaten immer wieder durch brutale Vergewaltigungen in die Schlagzeilen geraten.
Gespräche mit Zivilgesellschaft
"In Indien treffen zwei Realitäten aufeinander", bestätigt Irmingard Schewe-Gerigk der Deutschen Welle. Die Vorstandsvorsitze der Frauenrechtsgruppe "Terre des Femmes" begleitet die deutsche Delegation: Zwar garantierten die Gesetze die Rechte von Frauen, doch "große Teile der Gesellschaft leben noch immer im Mittelalter." So würden Mädchen oft noch mit 14 verheiratet, obwohl das Gesetz ein Mindestalter von 18 vorschreibe. Auch die Massenvergewaltigungen seien kein neues Phänomen, sondern lediglich in letzter Zeit thematisiert worden. Sie begrüßte ausdrücklich, dass Gauck in den kommenden Tagen auch Gespräche mit der indischen Zivilgesellschaft führen will. Das setze ein wichtiges Zeichen.
Auch Gauck betont, dass Indiens aktive Zivilgesellschaft und Medien, bereits eine offene Debatte angestoßen haben. Es gehe ihm nicht da rum, als "Lehrer, der alles weiß", aufzutreten, sondern seine Unterstützung zu zeigen. Alles andere "wäre eine peinliche Rolle." Auch der Klimaschutz sei Gegenstand der Gespräche gewesen, so Gauck. Er sei froh, dass man ein sehr gutes Modell einer fortschrittlichen Entwicklungszusammenarbeit gefunden habe. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit konzentriert sich derzeit schwerpunktmäßig auf erneuerbare Energien.
Kritik an der Todesstrafe
Bei einem Staatsbankett zu seinen Ehren griff Gauck das Thema Menschenrechte erneut auf. In der Hauptstadt Neu-Delhi sagte er, unter Freunden müsse ein offener Dialog möglich sein, auch über Fragen, in denen es keine Übereinstimmung gebe. "Das schließt zum Beispiel die Todesstrafe ein, die wir als Europäer abgeschafft und geächtet haben."
Die deutsche und die indische Gesellschaft seien zwar unterschiedlich, doch das Bekenntnis zur Universalität der Menschenrechte habe für beide Seiten überragende Bedeutung. Er ermutige die indische Regierung, "alles zu tun, was es den Bürgern Ihres Landes ermöglicht, ihre Rechte wahrzunehmen".
Vorsichtige Balance in Birma
Am Freitag reist Gauck mit seiner Delegation weiter nach Bangalore. Dort stehen Treffen mit indischen und deutschen Unternehmen auf dem Programm. Thema bei den Treffen wird das deutsche duale Ausbildungsmodell sein. Das könnte durchaus ein interessantes Modell für Indien sein, um die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, so Gauck.
Im Anschluss geht es weiter nach Birma. Auch dort wird Gauck eine vorsichtige Brücke schlagen müssen: Einerseits will er den demokratischen Transformationsprozess der vergangenen Monate der ehemaligen Militärdiktatur unterstützen und zeigen, dass Demokratie das beste Modell für das Land ist. Andererseits will er auch Kritik an der fragilen Menschenrechtslage, vor allem die Diskriminierung und Verfolgung von Muslimen in den vergangenen Monaten, üben, ohne die Gesprächspartner zu verprellen. Die Regierung steht in der Kritik, nicht konsequent genug gegen diese vorgegangen zu sein. Demokratie und Menschenrechte dürften also die Gespräche in Birma bestimmen.