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Die Chemie hinter der Tianjin-Explosion

Brigitte Osterath17. August 2015

Bei der Detonation des Lagerhauses im Norden Chinas starben mindestens 114 Menschen, über 700 wurden verletzt. Auch das Gift Natriumcyanid lagerte dort. Eine Freisetzung in die Umwelt hätte dramatische Folgen.

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Tianjin: Explosion Foto: REUTERS/Stringer
Bild: Reuters

Laut Tianjins stellvertretendem Bürgermeister, He Shushan, lagerten etwa 700 Tonnen der tödlichen Chemikalie Natriumcyanid in dem Lagerhaus, das am vergangenen Mittwoch (12.8.2015) in die Luft flog. Nach Angaben der "South China Morning Post" waren das bei weitem mehr, als erlaubt waren: Der Lagerhausverwalter habe nur eine Lizenz für die Lagerung von 10 Tonnen gehabt.

Der Chefingenieur in Tianjins Umweltschutzbehörde, Bao Jingling, soll chinesischen Medien am Montag (17.8.2015) gesagt haben, dass die Luft am Standort nicht gesundheitsschädlich sei. Die meisten gefundenen Behälter mit Natriumcyanid seien noch intakt gewesen. Einige haben offensichtlich geleckt.

Das würde bedeuten, dass keines oder nur wenig Natriumcyanid frei geworden ist. Sollte das trotzdem passiert sein, wären die Folgen dramatisch. Natriumcyanid ist als "sehr giftig" und "umweltschädlich" eingestuft.

Tödliche Leidenschaft für Metalle

Natriumcyanid ist ein weißer Feststoff. Wer ihn verschluckt, stirbt innerhalb von Minuten. Der giftige Teil der Verbindung ist das Cyanidion. Es bindet fest an Eisen, einem Bestandteil des Enzyms Cytochrom-c-Oxidase. Dieser Eiweißstoff ist essenziell für die Zellatmung, um aus Sauerstoff und Nährstoffen energiereiche Verbindungen für die Zellen zu machen. Ist das Enzym durch Cyanid blockiert, erstickt man innerlich. Die Substanz ist nicht nur giftig für Menschen, sondern auch für sehr viele Tiere.

Was Natriumcyanid noch gefährlicher macht: Die Chemikalie reagiert mit Säuren und selbst mit Wasser zum giftigen Gas Blausäure. Man muss sie nicht mal schlucken. Wer sie in hohen Konzentrationen einatmet, stirbt. Blausäure riecht nach bitteren Mandeln. Allerdings sind nicht alle Menschen in der Lage, den Geruch wahrzunehmen.

Wichtiger Ausgangsstoff

Die chemische Industrie produzierte im Jahr 2012 knapp 800.000 Tonnen Natriumcyanid weltweit, wie eine britische Marktforschungsstudie beschreibt. Mit Natriumcyanid extrahiert die Bergbauindustrie Gold und andere wertvolle Metalle. Cyanid bindet an Gold, es bildet sich eine stabile, wasserlösliche Verbindung. So lässt sich Gold selbst aus Erzen minderer Qualität gewinnen.

Natriumcyanid wird auch in der chemischen Synthese benötigt. Mit ihm werden unter anderem pharmazeutische Wirkstoffe, Farben und Kunststoffe hergestellt.

Um es zu entgiften, braucht man nur Wasserstoffperoxid hinzuzugeben. Laut Chefingeneiur Bao Jingling wird genau das am Tianjin-Standort mit dem Natriumcyanid gemacht, das ausgelaufen ist. Die noch intakten Behälter wurden abtransportiert. Die Behörden gaben an, alle Wasserwege zum Meer vom Unfallstandort aus abgesperrt zu haben, so dass kein Natriumcyanid ins Wasser gelangen kann.

Weitere Chemikalien

Im Lagerhaus in Tianjin waren laut chinesischen Medien noch mehr Chemikalien untergebracht, die vermutlich ursächlich für die starke Explosion waren, darunter Ammoniumnitrat, Kaliumnitrat und Calciumcarbid

Ammoniumnitrat ist ein weißer wasserlöslicher Feststoff. Er dient hauptsächlich als Düngemittel in der Landwirtschaft, kann aber auch für die Herstellung von Sprengstoffen verwendet werden. Wird er erhitzt oder einer Zündquelle ausgesetzt, zersetzt sich die Chemikalie rasant und kann dabei explodieren. Bei dem Umgang mit der Chemikalie gelten zahlreiche Sicherheitsrichtlinien.

Kaliumnitrat ist Bestandteil von Salpeter und dient unter anderem etwa als Dünger und als Konserviermittel für Fleisch. Es ist auch der Hauptbestandteil von Schießpulver, da es sich bei mehreren hundert Grad Celsius zersetzt und Sauerstoff freisetzt, der die Explosion begünstigt.

Calciumcarbid ist die Lagerform des Schweißgases Acetylen. Der Feststoff reagiert mit Wasser zu hochentzündlichem Acetylen und Calciumhydroxid. Man vermutet, dass es dadurch beim Löschen des Brandes zu weiteren Explosionen kam. Während die Produktion von Calciumcarbid in vielen Teilen der Welt abnimmt, steigt sie in China. Hier wird es als Ausgangsstoff in der chemischen Industrie genutzt, vor allem bei der Herstellung des Kunststoffs Polyvinylchlorid.