Deutsche Waffenexporte verletzen systematisch Grundsätze
20. Juli 2020Deutschland bricht seit rund seit 30 Jahren systematisch seine eigenen zentralen Grundsätze, wenn es um Rüstungsexporte geht. Zu diesem harten Urteil kommt jedenfalls eine Studie des "Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)", in Auftrag gegeben von der Umweltorganisation Greenpeace. Darin heißt es: "Deutschland genehmigt und exportiert Kriegswaffen und Rüstungsgüter in Kriegs- und Krisenländer, in Staaten mit Menschenrechtsverletzungen und in Spannungsregionen."
Viertgrösster Waffenexporteur der Welt
Dabei beteuert noch jede Regierung stets aufs Neue, Deutschland betreibe eine "restriktive und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik". Tatsächlich aber listet ein anderes renommiertes Institut, das "Stockholmer internationale Friedensforschungsinstitut" (SIPRI) auf, dass Deutschland in den Jahren von 2015 bis 2019 hinter den USA, Russland und Frankreich mit einem Anteil von 5,8 Prozent an allen Waffenexporten weltweit den 4. Platz belegt.
Beispiele Mexiko und Jemen
In der aktuellen Studie der hessischen Friedensforscher werden nun konkrete Fälle genannt, in denen Deutschland explizit gegen die Standards verstoßen habe, die eigentlich innerhalb der Europäischen Union bei Rüstungsexporten gelten. Zu diesen Standards gehörten die "Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch das Endbestimmungsland" sowie die "Aufrechterhaltung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in einer Region".
Die Studie kommt zu dem Schluss, gegen diese Kriterien habe Deutschland wiederholt verstoßen. So sei die Polizei in Mexiko im September 2014 mit G-36-Sturmgewehren aus deutschen Lieferungen gewaltsam gegen Studentenproteste vorgegangen.
Auch im Bürgerkriegsland Jemen werden laut der Studie Waffen benutzt, die aus Deutschland stammen. Die Autoren zitieren als Beleg auch aus der "German Arms" Recherche, an der auch die DW beteiligt war.
Zudem seien Altbestände der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee der DDR zum Teil an Drittstaaten abgegeben worden. Drittländer, das sind Staaten, die weder EU - noch Nato-Mitglieder und diesen auch nicht gleichgestellt sind.
Verbot existiert seit 1971
Seit 1971 gilt ein striktes Verbot, Waffen in solche Länder zu liefern. Eigentlich. Denn die Praxis sieht offenbar anders aus. "Die Studie zeigt, dass wir nicht von Einzelfällen verfehlter Rüstungsexportpolitik reden können. Es geht nicht um einen, zwei oder drei Exporte, die schiefgegangen sind", erklärte Greenpeace-Abrüstungsexperte Alexander Lurz am Montag gegenüber der DW. "Das ganze deutsche Genehmigungsregime ist morsch. Die Bundesregierung hat in den vergangenen 30 Jahren systematisch Waffenexporte genehmigt, die in den Händen von Diktatoren gelandet und in den verheerenden Kriegen der Vergangenheit und der Gegenwart eingesetzt wurden und werden."
Dagdelen: "Ausnahmen Freibrief für Export."
Die Reaktionen aus der Politik auf die Studie ließen nicht lange auf sich warten: "Die Ausnahmen in den Rüstungsexportrichtlinien werden als Freibrief für jeglichen Waffenexport gebraucht", sagte etwa die Linke-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen. Die Fraktion der Linken im Bundestag ist seit langen für ein generelles Verbot von Rüstungsexporten.
Aus der Antwort auf eine Anfrage von Dagdelen an die Regierung geht hervor: Deutschland hat in den ersten vier Monaten des Jahres 2020 Kriegswaffen im Wert von 492 Millionen Euro exportiert - eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um satte 40 Prozent. An verbündete Nato-Staaten sind demnach Kriegswaffen im Wert von 182 Millionen Euro gegangen. Der deutlich größere Rest ging hingegen an Staaten, die weder der EU noch der Nato angehören. Welche Staaten das sind, weiß man nicht. Ihre Namen wurden offiziell zur Verschlusssache erklärt.
SPD nimmt die Studie ernst
In Kreisen der SPD im Bundestag, die mit der konservativen CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel und deren bayrischer Schwesterpartei CSU Deutschland in einer Koalition regiert, wird die Kritik aus der aktuellen Studie durchaus ernst genommen. Gegenüber der DW heißt es aus der SPD-Fraktion, grundsätzlich bestärke die Studie die Einschätzung, dass es zu viele Lücken und eine zu große Offenheit bei der Genehmigungspraxis gegeben habe. Die zuständigen Ministerien seien zu unsensibel und erst langsam ändere sich etwas.
Seit Mitte 2019 gebe es immerhin ein Verbot für den Export von Kleinwaffen in sogenannte Drittstaaten. Die Ausfuhr von Gewehren wie ehedem nach Mexiko ist also nicht mehr möglich. Nötig seien jetzt weitere Schritte, vor allem eine gesetzliche Regelung und nicht nur Richtlinien. Allerdings sehen das nicht alle SPD-Abgeordneten so.
Nouripour: "Nur mit einem Gesetz ist der Klageweg frei."
Auch der Außenexperte der Grünen, Omid Nouripour, unterstreicht die Forderung nach klaren gesetzlichen Vorgaben. Nouripour sagte der DW am Montag: "Es wird Zeit, dass aus den Exportrichtlinien endlich ein Gesetz wird, so dass Verstöße der Bundesregierung, denen wir in der Koalition zwischen Union und SPD in erheblichen Maße beiwohnen dürfen, endlich auch beklagt werden können."
Bundessicherheitsrat tagt geheim
Rüstungsexporte werden im Verborgenen vom geheim tagenden "Bundessicherheitsrat" geprüft und genehmigt. Ihm gehören die wichtigsten Ministerien an; den Vorsitz hat die Bundeskanzlerin. Eine parlamentarische Kontrolle gibt es nicht.
Nach welchen Kriterien Genehmigungen erteilt werden, ist häufig nicht klar. Immer wieder hat das Gremium auch heiklen Exporten seinen Segen erteilt. Ein neues Gesetz, dass klar regelt, was an wen exportiert werden darf und was nicht, wird aber vom zuständigen Wirtschaftsministerium abgelehnt.
Korbinian Wagner, Sprecher von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), sagte am Montag in Berlin, es gebe geltende Regelungen, "und das ist der Status Quo der Rechtslage. Es gibt derzeit keine Planungen, die mir bekannt sind, für ein solches Gesetz." Die Vorwürfe von Greenpeace, systematisch gegen Regeln zu verstoßen, wies der Sprecher mit der bekannten Formel zurück: "Die Bundesregierung verfolgt eine restriktive und verantwortungsbewusste Rüstungsexportpolitik."