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Reformchance für Abe

Martin Fritz (aus Tokio)12. Juli 2016

Japans Wähler haben der von Premierminister Shinzo Abe angepeilten Verfassungsreform den Weg geebnet. China sorgt sich bereits um die "Stabilität der Region". Doch das Pazifismus-Gebot könnte bleiben - vorerst.

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Japans Premier Shinzo Abe (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/T. Hanai

Japan tickt anders: Bei der Teilabstimmung zum Oberhaus am vergangenen Wochenende haben sich die Wähler für Kontinuität entschieden. Die Regierungskoalition von Shinzo Abe baute ihre Mehrheit deutlich aus, obwohl die Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik Abenomics und dem Pro-Atomkraft-Kurs hoch ist. Vor allem die Jungwähler unter 30 unterstützten Abe, weil derzeit fast jeder Schul- und Universitätsabgänger eine Anstellung findet. Es gab nur wenige Proteststimmen. Die zuvor in Umfragen relativ hoch gehandelten Kommunisten konnten die Zahl ihrer Mandate nur auf sechs verdoppeln. Lediglich die viertniedrigste Wahlbeteiligung für eine solche Wahl war ein Indiz für die verbreitete Apathie des Wahlvolks.

Am Wochenende sicherte sich Japans Premier Abe Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Parlaments. (Foto: Reuters)
Am Wochenende sicherte sich Japans Premier Abe Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des ParlamentsBild: Reuters/I. Kato

Jedoch hat die Risikoscheu der Japaner eine unerwartete Folge. Die Regierung und ihre konservativen Verbündeten verfügen nun über eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Diese Supermehrheit gibt Japans Nationalisten die historische Chance, erstmals seit fast 70 Jahren die japanische Verfassung zu ändern - und dies in ihrem Sinne. Vielen Wählern war diese Folge offenbar nicht klar, weil wichtige Medien wie der öffentlich-rechtliche TV-Sender NHK, dessen Führung der Regierung nahesteht, vor dem Wahltag die möglichen Folgen einer Supermehrheit nicht erwähnt hatten. Nur die wenigen liberalen Medien wie die Zeitung Asahi machten auf diesen speziellen Wahlumstand aufmerksam.

Erste Änderung seit Verabschiedung

Regierungschef Abe bekräftige noch am Wahlabend, dass die Reform angepackt wird. Der 61-Jährige will schon lange die Verfassung loswerden, die Japan nach dem Weltkrieg von den siegreichen USA aufgezwungen wurde. Das zeigt sich sowohl im Artikel 9, der Japan das Führen von Kriegen und den Unterhalt einer Armee verbietet, als auch im sperrigen Japanisch des Vorworts, das von einem US-Juristen verfasst wurde.

Abe möchte sich mit der ersten Änderung der Verfassung seit ihrer Einführung 1947 in die Geschichtsbücher eintragen. Allerdings signalisierte sein Partner, die Komei-Partei, bereits, dass man eine Änderung des Pazifismus-Artikels nicht für notwendig hält. Komeito-Chef Natsuo Yamaguchi verwies auf die Sicherheitsgesetze vom Vorjahr, die den Artikel 9 neu interpretiert haben. Seitdem kann das japanische Militär verbündete Staaten wie die USA verteidigen, auch wenn Japan selbst nicht angegriffen wird - wenn auch nur unter bestimmten Umständen.

Japans Oberhaus (Foto: Reuters)
Japans OberhausBild: Reuters/T. Hanai

Angesichts solcher Dissonanzen will Abe die Reform nicht überstürzen. Die Debatte soll in Ausschüssen des Parlaments stattfinden. Seine eigene Liberaldemokratische Partei hat bereits seit 2012 einen Reformentwurf in der Schublade liegen, der stark von konservativen Wertvorstellungen geprägt ist. Statt vom "Widerruf des Krieges" ist darin von "nationaler Verteidigung" die Rede. Die Streitkräfte und ihre Einsatzmöglichkeiten im Ausland würden konkret erwähnt. Außerdem geht es um den Schutz der nationalen Sicherheit und die Einführung von Militärgerichten.

Die konservativen Reformer stoßen sich auch an westlichen Bürger- und Freiheitsrechten. Nach ihrem Entwurf werden diese Rechte durch die öffentliche Ordnung und das öffentliche Interesse eingeschränkt. Dadurch hätte die Regierung eine umfassende Macht, Kritiker zum Schweigen zu bringen.

Wirtschaft hat zunächst Vorrang

Allerdings hatte Abe vor der Wahl erklärt, der Entwurf werde noch "substantielle Änderungen" durchlaufen. Sein Minimalziel dürfte sein, den Artikel 96 zu reformieren, um Verfassungsänderungen zu vereinfachen. Statt einer Zweidrittelmehrheit würde dann eine einfache Mehrheit in beiden Häusern für eine Änderung reichen. Bei der bisher vorgeschriebenen Volksabstimmung soll es jedoch bleiben. Auch die bisher fehlende Notstandsgesetzgebung bei einem Angriff von außen, inneren Aufständen und Naturkatastrophen dürfte auf der Reform-Agenda stehen. Gerade nach Erdbeben und Vulkanausbrüchen fehlte der Regierung bisher die Vollmacht, für eine schnelle Katastrophenhilfe die Gesetze zeitweise außer Kraft zu setzen.

(Archiv) Japans Hubschrauberträger Izumo (Foto: Reuters)
Japans Hubschrauberträger IzumoBild: Reuters/T. Peter

Japans Nachbarn werden den Reformprozess mit Argusaugen verfolgen. Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua warnte bereits, Abes Wahlsieg gefährde die

Stabilität in der Region. Doch zunächst wird sich der Politiker darauf konzentrieren, die Wirtschaft anzukurbeln. Im Juni hatte er bereits die geplante Erhöhung der Mehrwertwertsteuer auf Oktober 2019 verschoben. Am Montag kündigte Abe für den Herbst die erste schuldenfinanzierte Konjunkturspritze seit vier Jahren an. Sein Kalkül: Die Wirtschaft muss gut laufen, damit die Bevölkerung seiner Regierung auch bei dem vorgeschriebenen Referendum über die neue Verfassung folgt. Dann reicht eine einfache Mehrheit für das Inkrafttreten der Verfassungsänderungen.