Aids in China
1. Dezember 2011Wang Tao* sitzt in einem Besucherraum des You’an Krankenhauses im Süden von Peking. Er spricht mit leiser Stimme, sein linkes Auge schielt leicht nach rechts oben. Es war während des chinesischen Frühlingsfestes als ein Feuerwerkskörper direkt neben seinem Auge explodierte. Die Verletzung war ernst. Der 38-Jährige ging sofort ins Krankenhaus seines Heimatdorfes in der chinesischen Provinz Henan. Die Ärzte sagten, das Auge müsse sofort operiert werden. Wang Tao wurde nervös. Jetzt musste er den Ärzten von seiner Krankheit erzählen.
Wang Tao ist HIV-positiv. Angesteckt hat er sich beim Blutspenden. "Als die Ärzte hörten, dass ich HIV-positiv bin, haben sie mich abgewiesen", sagt Wang. "Ich musste dann nach Peking gehen. Auch dort hatte ich noch zahlreiche Probleme."
In einem speziellen Krankenhaus für Augenverletzungen in Peking wollte man Wang Tao ebenfalls nicht operieren. Die Ärzte rieten ihm, in eine Klinik für Infektionskrankheiten zu gehen. Dort allerdings gab es keine Abteilung für Augenkrankheiten. Insgesamt musste Wang zwei Wochen auf eine Behandlung warten. Die Konsequenz: Wang verlor seinen linken Augapfel und trägt nun ein Glasauge.
Angst vor Diskriminierung
Wang Tao will seinen wahren Namen nicht preis geben, zu groß ist die Angst vor Stigmatisierung. Wang lebt inzwischen mit seiner Familie in Peking und bekommt kostenlose Medikamente vom Staat. Sein Gesundheitszustand ist gut. Wang Taos Frau und seine Eltern wissen von seiner HIV-Infektion und unterstützen ihn so gut es geht. Seinen Freunden und selbst seinem 7-jährigen Sohn habe er allerdings nie etwas von seiner Krankheit erzählt, sagt Wang.
"Die Schule, auf die mein Sohn geht, weiß auch nicht, dass ich HIV habe." In China gebe es viele Beispiele dafür, dass die Kinder von Menschen mit HIV Opfer von Diskriminierung werden. "Viele dieser Kinder können nicht zur Schule gehen. Ich habe Angst, dass mein Sohn durch meine Krankheit Nachteile hat", erzählt Wang Tao besorgt.
Probleme im Alltag
Menschen mit HIV werden in China oft ausgestossen und benachteiligt, sagt Meng Lin. Meng Lin ist Vorsitzender des Chinesischen Verbandes für Menschen mit HIV und selbst HIV-positiv. Die Nichtregierungsorganisation setzt sich für die Rechte von HIV-Infizierten ein. Diskriminierung betreffe die ganze Privatsphäre, sagt Meng Lin. "Menschen mit HIV haben zum Beispiel Probleme bei medizinischer Versorgung, sie haben es schwer einen Job zu finden oder zu reisen. Wir kämpfen für eine Lösung dieser Probleme, aber das ist ziemlich schwierig."
Meng Lin musste dies am eigenen Leib erfahren. Als er 1995 die niederschmetternde Diagnose HIV bekam, verstieß ihn seine Familie. Bis heute hat er keinen Kontakt zu seinen Eltern. Der Unternehmer gab in seiner Funktion als Vorsitzender des Chinesischen Verbandes von Menschen mit HIV ein Fernsehinterview. Plötzlich wandten sich seine Kunden ab, die Aufträge gingen schlagartig zurück. Am Ende war Meng Lins Firma bankrott.
An zwei Fronten kämpfen
Derzeit sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen etwa 740.000 Menschen in China mit dem HI-Virus infiziert. Die meisten von ihnen gehören zu den so genannten Hochrisikogruppen wie Sexarbeiter, Drogennutzer oder Homosexuelle. Noch zu Beginn des Jahrtausends warnten die Vereinten Nationen vor einer AIDS-Epidemie in China von unvorstellbarem Ausmaß. Bis 2010 befürchtete man zehn Millionen Infizierte.
Durch umfangreiche Maßnahmen wie kostenlose HIV-Tests, kostenlose ärztliche Behandlungen sowie Aufklärung konnte die chinesische Regierung dieses Horrorszenario vermeiden. Auch gibt es nationale Richtlinien gegen Diskriminierung. Und die seien in China inzwischen sehr fortschrittlich, erklärt Mark Stirling, Länderkoordinator der UN in China. Oft würden allerdings lokale Regelungen im Widerspruch zu den nationalen Richtlinien stehen. "Wir müssen an zwei Fronten kämpfen", fordert Stirling. "Zum einen müssen nationale Behörden dafür sorgen, dass lokale Regelungen den nationalen Richtlinien entsprechen. Zum anderen ist es wichtig, die Bevölkerung über die Krankheit weiter aufzuklären."
Über die Krankheit aufklären will auch der Chinesische Verband für Menschen mit HIV, erklärt dessen Vorsitzender Meng Lin. Es brauche allerdings noch viel Zeit, bis HIV-Infizierte nicht mehr diskriminiert würden, so Meng. "Ich glaube nicht, dass sich in den nächsten zehn Jahren etwas ändert. Vielleicht aber in 100 Jahren."
*Name geändert
Autor: Christoph Ricking
Redaktion: Ziphora Robina