Homophobie in Russland
13. November 2013Offen über Homosexualität zu sprechen, sei in Russland schon immer riskant gewesen. Doch inzwischen sei es richtig gefährlich, beklagen Vertreter russischer Vereinigungen der Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT). Das im Juni 2013 verabschiedete Gesetz zum Verbot von Homosexuellen-Propaganda habe die ohnehin schon schwierige Lage der Schwulen und Lesben in Russland weiter verschärft. Allein die Vermutung, homosexuell zu sein, genüge, um ins Visier von Homophoben zu geraten.
Das international scharf kritisierte Gesetz stellt positive Äußerungen über Homosexualität in Gegenwart von Minderjährigen unter Strafe. Es sieht Geldbußen zwischen umgerechnet 100 Euro für Privatpersonen und über 23.000 Euro für Firmen oder Organisationen vor. Werden für vermeintliche "Propaganda" Medien genutzt, werden sogar zehn bis zwanzigmal höhere Strafen fällig. Auch Ausländer haben in Russland mit ähnlichen Konsequenzen zu rechnen. Zudem drohen ihnen Gefängnisstrafen von bis zu 15 Tagen und die Ausweisung.
Kritik an geltendem Strafgesetzbuch
Dass die Atmosphäre für Schwule und Lesben in Russland äußerst unbehaglich sei, bestätigte im Gespräch mit der Deutschen Welle Walerij Sosajew von der gesellschaftlichen Bewegung "Russian LGBT Network" in St. Petersburg. "Das Gesetz ermöglicht radikalen Gruppierungen, nach Übergriffen auf Homosexuelle ungestraft davonzukommen", so Sosajew. Allein während der Debatte über das Gesetz seien in Russland 17 Morde verübt worden, bei denen die Täter Homophobie als Motiv angegeben hätten.
Eine Studie des "Russian LGBT Network" ergab, dass die Gerichte bei Verbrechen mit Homophobie als Tatmotiv meist minimale Strafen verhängen. Homophobie stelle laut Strafgesetzbuch leider keinen erschwerenden Tatumstand dar, beklagt Sosajew. Beispielsweise würden derzeit zwei Übergriffe auf Homosexuelle in St. Petersburg von den Ermittlern als Rowdytum abgetan.
Misstrauen gegenüber den Behörden
Wegen eines solchen Umgangs mit homophoben Straftaten haben Schwule und Lesben kein Vertrauen in die Polizei. Das "Russian LGBT Network" kommt zum Ergebnis, dass nur 20 Prozent der Homosexuellen sich nach Übergriffen an die Polizei wenden würden. Polizisten seien oft selbst homophob, betonte der Leiter des Moskauer "Regenbogen-Verbandes", Andrej Obolenskij. Ihm zufolge fühlen sich Russlands Homosexuelle deshalb auch unzureichend vor der Bewegung "Occupy pedofilyay" geschützt, die "Jagd auf Schwule und Lesben" mache. "Das sind regelrechte Schlägertrupps", so Obolenskij. In Moskau und St. Petersburg gebe es keinen Ort, an dem Homosexuelle absolut sicher seien.
Wie gefährlich die Lage in Moskau ist, musste der junge Homosexuelle Alex erfahren. Er und sein Freund wurden in März dieses Jahres von Unbekannten in der U-Bahn brutal überfallen, als sie sich über eine Schwulen-Party unterhielten. Wie Alex der DW berichtete, hätten die zu Hilfe gerufenen Polizisten zwar Homophobie als Tatmotiv festgestellt. Doch hätten sie auch zu verstehen gegeben, dass sich mit dem Fall niemand weiter befassen werde. Alex' Anzeige wurde von den Behörden lange ignoriert. Erst im September kam Bewegung in den Fall. Doch Homophobie als Tatmotiv komme in den Akten nicht vor, so Alex.
Homosexuelle verlassen das Land
Auch Schwule, die keine Aktivisten von LGBT-Organisationen sind, stellen fest, dass seit der Verabschiedung des Gesetzes zum Verbot von Homosexuellen-Propaganda die Homophobie in der russischen Gesellschaft zunimmt. Sergej Gubanow lebt offen schwul. "Ich bin sehr häufig mit Aggression konfrontiert, bislang nur verbal", sagte er im Gespräch mit der DW. "Wenn ich mit meinem Freund durch Moskau spaziere, müssen wir uns ständig schwulenfeindliche Schimpfwörter anhören", so Gubanow.
Immer mehr Homosexuelle wollen wegen des umstrittenen Gesetzes und der zunehmenden Homophobie Russland verlassen. Gubanow sagte, in den vergangenen sechs Monaten hätten schon vier seiner Freunde ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt. "Das Gesetz verbietet mir zwar nicht, mit meinem Freund Hand in Hand über die Straße zu gehen und uns dabei zu küssen. Aber die meisten Schwulen und Lesben haben Angst, es zu tun", so Gubanow. Er ist überzeugt, dass die Staatsmacht mit dem Gesetz ihr Ziel erreicht hat: "Auf der einen Seite hat sie Angst gesät, auf der anderen Hass."