"In Deutschland haben wir keine Angst"
29. Juni 2017Haris und Lazar (Namen von der Redaktion geändert) sind seit zweieinhalb Jahren zusammen. Früher lebte einer in Sarajevo und der andere in Belgrad. In Bosnien-Herzegowina und Serbien mussten sie ihre Beziehung verstecken. "Würden unsere Familien davon erfahren, wären wir dort eine Schande für sie", erklärt Haris. Das war einer der Gründe, warum beide sich entschlossen haben, ihre Heimat zu verlassen.
"Von unseren Familien kam nie Unterstützung. Oft haben sie nebenbei gesagt, dass sie keinesfalls einen schwulen Sohn möchten. Für sie ist es noch immer am wichtigsten, was die Nachbarn über einen erzählen und denken", sagt der 25-jährige Haris. Wegen solcher Kommentare wagte er es nie, mit den Eltern über seine Homosexualität zu sprechen.
Ähnlich war es auch bei Lazar, und so beschlossen die beiden, nicht in einer Umgebung zu bleiben, in der sie nicht akzeptiert werden und ständig in Angst leben müssen. Vor einem Jahr zogen sie nach Frankfurt am Main.
Gewalttätige Übergriffe
In Bosnien-Herzegowina wurde noch nie eine Gay Pride Parade organisiert. Selbst viele kleinere Veranstaltungen mit einem Queer-, Gay- oder LGBTI-Bezug (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle) wurden durch gewalttätige Übergriffe unterbrochen. Zum Beispiel ein Queer Festival in Sarajevo 2008, oder sechs Jahre später das Queer-Filmfest "Merlinka". Die mutmaßlichen Täter wurden zwar vorübergehend festgenommen, bald darauf aber wieder freigelassen. Zu einer Anklage kam es nie.
Als im Mai das Offene Zentrum Sarajevo (SOC), das sich für LGBTI-Rechte einsetzt, einen Marsch für Menschenrechte veranstalten wollte, scheiterte das Vorhaben an den Behörden. Sie stellten eine Genehmigung zu spät aus, so dass die erforderlichen Sicherheitsbestimmungen nicht erfüllt werden konnten. "Das erweckt den Eindruck, dass Homophobie und Transphobie in Bosnien toleriert werden", schreibt das SOC in einer Presseerklärung.
"Eltern misshandeln ihre homosexuellen Kinder"
Dem "Pink Bericht" des SOC zufolge haben 2016 die Fälle von häuslicher Gewalt gegen LGBTI-Personen zugenommen. Auch an Schulen wird die Homophobie immer stärker.
"Eltern misshandeln oft ihre homosexuellen Kinder - körperlich und seelisch. Sie schließen sie im Haus ein und versuchen, sie unter Zwang zu 'heilen', wie sie es nennen. Häufig sind auch die Geschwister daran beteiligt", sagt SOC-Geschäftsführerin Emina Bošnjak. An Schulen komme es zu Gewalt durch Mitschüler als Mittel zur Demütigung und Einschüchterung gegen alle, die sich nicht den traditionellen Gesellschaftsrollen anpassen: "LGBTI-Kinder und Jugendliche sind dementsprechend sehr oft Opfer von Homo- und Transphobie."
Gesetze werden nicht immer eingehalten
Solche Erfahrungen haben auch Lazar und Haris gemacht. Allerdings sei es für Homosexuelle in Serbien etwas leichter als in Bosnien-Herzegowina: "In Belgrad gibt es viele Gay Clubs, und auch die Gay Pride Parade findet dort statt, wenn auch nur mit einem großen Polizeiaufgebot", sagt Lazar.
In Serbien gelten Gesetze zum Schutz der Menschenrechte von LGBTI-Personen. Doch oft bleibe es nur bei "leeren Worten", kritisiert Jelena Vasiljević von der Organisation "Labris" in Belgrad, die sich für die Rechte von Lesben einsetzt.
"Trotz einer Homosexuellen an der Spitze der serbischen Regierung (der neuen Premierministerin Ana Brnabić) und trotz der geltenden Gesetze, die Diskriminierung und Gewalt verbieten, gibt es immer noch viele Fälle von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, die ungeahndet bleiben", sagt Vasiljević.
Die LGBTI-Gemeinschaft lebt nicht auf einer Insel
Weder in Serbien noch in Bosnien-Herzegowina gibt es bisher Gesetze, die gleichgeschlechtliche Ehen oder Lebenspartnerschaften ermöglichen. Allerdings erwartet man in Serbien viel von der neuen Regierung. "Wir hoffen, dass während der Amtszeit der neuen Premierministerin das Gesetz zur Einführung von eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften beschlossen wird und dass die serbische Regierung viel mehr auf die Probleme von LGBTI-Personen achtet", sagt Vasiljević.
In Bosnien-Herzegowina ist man davon allerdings noch weit entfernt: Das Thema ist noch gar nicht auf der Tagesordnung der Regierung. "Es gibt einige positive Veränderungen, aber es fehlt die Erkenntnis, dass die LGBTI-Gemeinschaft nicht auf einer Insel lebt, sondern in der Mitte der Gesellschaft. Sie braucht nicht nur Schutz vor Diskriminierung und Gewalt, sondern hat auch eigene Bedürfnisse in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und bei der Arbeit", sagt Emina Bošnjak.
Lazar und Haris haben nicht auf die volle Gleichberechtigung gewartet. Sie sind nach Deutschland gezogen und leben in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. "Hier können wir ohne Angst unsere Liebe auf der Straße zeigen, uns küssen oder an den Händen halten. Vielleicht können wir eines Tages sogar Kinder adoptieren", sagt Lazar, und wirkt dabei fröhlich. Allerdings mussten sie ihr Glück und ihre Sorglosigkeit mit dem Verlust der Heimat bezahlen. Und trotz allem wollen sie lieber anonym bleiben: Wegen ihrer Familien glauben sie, es sei immer noch zu riskant, sich öffentlich zu ihrer Homosexualität zu bekennen.