HSV - Zurück zu alter Klasse?
19. August 2014Wohl bei keinem anderen Bundesligaverein ist in diesem Sommer soviel passiert wie beim Hamburger SV. Das Bundesliga-Urgestein, das einzige Gründungsmitglied der Liga, das noch nie abgestiegen ist, leidet schon seit Jahren darunter, dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander klaffen. Nachdem er die Saison 2012/2013 auf Rang sieben beendet hatte, sah sich der Europapokalsieger von 1983 im vergangenen Sommer auf dem Weg zurück nach Europa. Heraus kam allerdings die schlechteste Spielzeit der langen HSV-Bundesliga-Historie. Erst in der Relegation gegen Greuther Fürth rettete der Bundesliga-Dino mit einem 0:0 und einem 1:1 gerade so den Klassenerhalt.
Danach war in diesem Sommer mal wieder Stunde Null bei den Hamburgern. Mal wieder musste neu aufgebaut werden. Und der Klub traf eine zukunftweisende Entscheidung: Mit Dietmar Beiersdorfer holte er einen Mann zurück, der zwischen September 2002 und Juni 2009 als Sportchef für den Club gearbeitet hatte. Beiersdorfer ist nun Vorstandvorsitzender und will den HSV wieder zurück in die Erfolgsspur führen. "Der Hamburger SV ist schon immer mein Baby gewesen", sagte Beiersdorfer, der schon als Spieler sechs Jahre lang das HSV-Trikot getragen hatte, bei seiner Präsentation als neuer HSV-Chef, "und er soll es auch wieder werden." Dabei versagte dem 50-Jährigen im Überschwang der Gefühle fast die Stimme. Allerdings zeigte sich Beiersdorfer alles andere als blauäugig: "Der HSV hat einen Teil seiner Orientierung und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Klubs verloren. Einige Vereine haben uns überholt."
Beiersdorfer lenkt, Kühne zahlt
Diesen Rückstand wieder aufzuholen und die "alte Reihenfolge" wiederherzustellen, hat sich Beiersdorfer zur Aufgabe gemacht. Doch bei aller emotionalen Verbundenheit mit dem HSV und dem damit einhergehenden großen Vertrauen, das der neue Clubchef bei den HSV-Fans genießt: Es wird nicht leicht werden, den seit Jahren schlingernden Verein wieder zum Dauergast im Europapokal zu machen. Personell baute Beiersdorfer zunächst neben dem Platz um: Der erfolglose Sportdirektor Oliver Kreuzer musste gehen, seinen Platz soll demnächst Peter Knäbel einnehmen, derzeit noch Technischer Direktor der Schweizer Nationalmannschaft. Außerdem konnte der ehemalige Hockey-Bundestrainer Bernhard Peters von der TSG 1899 Hoffenheim abgeworben werden. Er ist neuer Nachwuchschef bei den Hamburgern. Diesen Posten bekleidete er auch in Hoffenheim seit 2006 sehr erfolgreich. An Trainer Mirko Slomka hielt Beiersdorfer dagegen fest.
Für neue Gesichter auf dem Platz sorgte - wie schon in den vergangenen Jahren - Milliardär und HSV-Edelfan Klaus-Michael Kühne. Der Unternehmer stellte dem HSV in diesem Sommer 17 Millionen Euro zur Auffrischung des Kaders zur Verfügung. Dank dieser Finanzspritze gelangen die Verpflichtungen des Schweizer WM-Spielers Valon Behrami vom SSC Neapel (3,5 Millionen Euro), des in der Bundesliga begehrten Linksverteidigers Matthias Ostrzolek (FC Augsburg/2,5 Millionen Euro) und des deutschen Nationalspielers Nicolai Müller (FSV Mainz 05/4,5 Millionen Euro). "Er ist ein toller Spieler, hat Dynamik und Spritzigkeit im Spiel nach vorne und ist vor dem Tor eiskalt", lobte HSV-Trainer Mirko Slomka den Offensiv-Allrounder, der mithelfen soll, den HSV wieder nach oben zu bringen. Der bisherige Leihspieler Pierre-Michel Lasogga, mit 13 Toren in 20 Spielen bester Torjäger der Vorsaison, konnte bereits zuvor fest verpflichtet werden.
Außerdem soll HSV-Kapitän Rafael van der Vaart wieder eine feste Größe im Spiel der Hamburger werden. "Er hat viel an sich gearbeitet, ist 100 Prozent fit in Kopf und Körper", sagte Beiersdorfer über den Niederländer und sprach ihm das Vertrauen aus. "In dieser Form ist er nicht zu ersetzen. Wir können schwer auf ihn verzichten." Damit liegt der Club-Boss auf einer Linie mit dem Trainer. Slomka bestätigte van der Vaart als Mannschaftskapitän.
Achillesferse HSV-Abwehr
Beiersdorfers Handschrift ist bereits nach wenigen Wochen deutlich zu erkennen. Ob seine Maßnahmen aber auch auf dem Rasen den gewünschten Erfolg bringen, wird sich erst zeigen müssen. Vor allem die Abwehr, mit 75 Gegentreffern in der vergangenen Saison die schwächste der Liga, muss sich steigern - nach wie vor. Ein Testspiel in China gegen den asiatischen Champions-League-Sieger Guangzhou endete mit einer 2:6-Klatsche. Bei einem weiteren Testspiel kurz vor dem Saisonstart gegen Lazio Rom gab es auch dank eines eklatanten Abwehrfehlers eine 0:2-Niederlage.
Auch das Erstrundenspiel im DFB-Pokal bei Drittligist Energie Cottbus lief nicht nach Wunsch. Gegen den Zweitliga-Absteiger offenbarten die Hanseaten erneut Schwächen in der Defensive. Erst im Elfmeterschießen setzte sich Hamburg glücklich durch. In der Bundesliga muss der HSV am 1. Spieltag bei Aufsteiger 1. FC Köln antreten. Ein konkretes Saisonziel hat Dietmar Beiersdorfer bislang bewusst nicht ausgegeben - auch hier scheint der neue HSV-Chef aus den Fehlern seiner Vorgänger gelernt zu haben.