Im Knast in Belarus: Die brutale Wahrheit
15. August 2020"Sie prügelten und fragten: 'Sind wir vielleicht Faschisten?' Wenn Schlagstöcke auf dich eindreschen, wirst du garantiert nicht antworten: 'Ja klar, ihr seid Faschisten!'" Das erzählt Andrej, der eigentlich anders heißt und seinen richtigen Namen nicht nennen will. "Aber wer seid ihr sonst", fragt er an die Adresse der Einsatzkräfte, die Festgenommene misshandelt haben, "wenn es eure Arbeit ist, Menschen zu verprügeln, und wenn euch das auch noch Spaß macht?"
Andrej ist einer von fast 7000 Menschen, die in Belarus (Weißrussland) während der regierungskritischen Proteste nach der Präsidentschaftswahl festgenommen wurden. Mehr als 2000 Demonstranten hat die belarussische Regierung am Donnerstag wieder freigelassen. Der stellvertretende Innenminister Alexander Barsukow trat vor dem Gefängnis in der Okrestina-Straße in Minsk vor die anwesenden Journalisten und verkündete: "Misshandlungen gab es nicht!" Andrej und zwei andere Inhaftierte erzählen der DW das Gegenteil.
Mit dem Elektroschocker in die Nieren
Pavel Tschudka wurde am 10. August nachts im Zentrum von Minsk festgenommen. Als er bereits am Boden gelegen habe, sagt er, hätten die Einsatzkräfte ihn noch mit einem Elektroschocker in der Nähe der Nieren malträtiert. "Das hinterlässt zwar keine sichtbaren Spuren, aber ich habe die Stromstöße noch drei bis fünf Minuten lang gespürt. Ich konnte nicht mal mehr gehen." Sein Hals und Unterkiefer seien so angespannt gewesen, dass er nicht mehr sprechen und gut eineinhalb Tage auch nicht schlucken konnte. Bis heute zittern seine Hände. Zur körperlichen Misshandlung kam die Demütigung: "Na, gefällt dir das?", hätten seine Peiniger geschrien. "Willst du mehr? Gehst du jetzt noch mal zum Protestieren auf die Straße?"
Danach wurde Pavel in das Okrestina-Gefängnis gebracht. Dort seien Hunderte Demonstranten gewesen und er habe viele gesehen, die verprügelt wurden. Pavel musste im Innenhof des Gebäudes ausharren - in schmerzhaften Positionen. "Du kniest für zwei Stunden, die Hände hinter den Kopf gelegt, mit dem Kopf auf dem Boden. Oder du stützt dich mit Händen und Kopf an einer Wand ab." Etwa alle 20 Minuten hätten die Sicherheitskräfte die Festgenommenen aufgefordert, sich auf Knien kriechend von einer Wand zur nächsten zu begeben, über eine Entfernung von 20 bis 30 Metern.
In der Zeit, in der er dort war, sei vier Mal ein Rettungswagen vorgefahren, berichtet Pavel, die Sanitäter seien aber nicht ins Gebäude gelassen worden. Das Gefängnis sei völlig überfüllt gewesen: "In einer Zehn-Quadratmeter-Zelle waren 25 Leute. Dabei waren auch Minderjährige, die wurden später als erste freigelassen."
Prügel, Demütigungen und gefälschte Protokolle
Andrej wurde in der Nähe der Metrostation Puschkinskaja festgenommen, am Abend des 11. August. Schon im Gefangenentransporter sei er auf die Beine geschlagen worden und musste knien. Als er auf dem Parkplatz des zentralen Polizeireviers ankam, erzählt er, "lagen dort schon 30 andere mit dem Gesicht auf den Asphalt gedrückt. Zwischen ihnen liefen schreiend Aufseher auf und ab. Wir Neuankömmlinge mussten uns ebenfalls auf den Boden legen, wir wurden mit Schlagstöcken begrüßt und danach mit Wasser abgespritzt." So habe er ungefähr drei Stunden auf dem Boden gelegen.
Andrej hat Hämatome an den Beinen und blaue Flecken auf dem Rücken. Dennoch sagt er: "Ich hatte ich Glück im Unglück. Ich habe gesehen, wie Menschen da rausgekommen sind, denen es wirklich schlecht ging."
Die Inhaftierten mussten auch Vernehmungsprotokolle abnicken, berichtet Andrej. Sie hätten einen vorgefertigten Text vorgelegt bekommen, darin stand, der Festgenommene "war an nicht genehmigten Aktionen beteiligt, hat hetzerische Slogans geschrien". Wer sich weigerte, das Protokoll abzuzeichnen, sei in ein Nebenzimmer geführt und erneut geschlagen worden, bis er unterschrieb. Später seien sie in überfüllte Zellen gesperrt worden und hätten nicht einmal Wasser zu trinken bekommen.
Am nächsten Morgen wurde Andrej ins Okrestina-Gefängnis verlegt, sei auch dort misshandelt worden. Insgesamt zwei Tage später, am 13. August, wurde er entlassen.
"Die sollen vor Durst verrecken!"
Michail befand sich in einem Gefangenentransporter mit Schwerverletzten, erzählt er. Um die zu versorgen, seien Ärzte gerufen worden. Eine Ärztin haben die Soldaten angeschrien, sie seien Tiere. Die Soldaten hätten geantwortet: "Alles klar, los, fang an zu arbeiten!" Michail verbrachte eine Nacht auf dem Leninskom-Polizeirevier in Minsk; auch seinen Namen haben wir auf seinen Wunsch geändert.
Michail hat nicht einmal an einer Demonstration teilgenommen, sagt er - er sei einfach aus dem Auto gezerrt worden. "Wir sind in einen Stau geraten. Zu uns kamen Leute mit Schilden und Schlagstöcken, ich glaube, die waren von der Spezialeinheit der internen Truppen. Die forderten uns auf, auszusteigen und unsere Handys abzugeben. Sie haben kontrolliert, ob auf den Handys Fotos oder Videos der Proteste waren." Michail hatte ein Video, das Menschen mit einer weiß-rot-weißen Flagge zeigte. Sie war bis 1995 Nationalfahne und wird jetzt von Teilen der Opposition benutzt. Er sei sofort festgenommen worden, berichtet Michail.
"Die Soldaten, die mich abgeführt haben, haben mir geraten, mich leise zu verhalten. Deswegen wurde ich nicht geschlagen. Aber andere wurde in dem Gefangenentransporter grausam verprügelt. Neben mir war ein Mann, der nicht mehr in der Lage war zu sprechen. Er hat nur noch leise gestöhnt und es schien so, als könnte er sich nicht selbstständig auf den Beinen halten."
Michail wurde auf das Lininskij-Polizeirevier geschafft; auch er berichtet von Misshandlungen mit Schlagstöcken und Fäusten. Unter den Festgenommenen habe er vier Frauen und einen Jugendlichen gesehen. Die Nacht habe er stehend im Freien verbracht, mit dem Gesicht zur Wand und gefesselten Händen. Obwohl ihm schwindelig war, durfte er sich nicht setzen. Zu trinken bekam er auch nichts, einer der Bewacher habe gesagt: "Nehmt ihnen das Wasser weg, sie sollen vor Durst verrecken!"
Als er am Morgen freigelassen wurde, fand Michail trotzdem, dass seine Festnahme noch glimpflich verlaufen sei - im Vergleich zu allem, was er miterlebt hat.