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Insiderwissen in Ost und West

Heinz Dylong18. März 2004

Nach neun Monaten hat die Stasi-Akten-Behörde die technische Aufarbeitung der 280.000 Rosenholz-Dateien zur Auslandsspionage des DDR-Geheimdienstes so gut wie abgeschlossen. Steht ein neuer Streit in Ost und West bevor?

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Werden ex-Ost- und ex-West-Stasiinformanten ungleich behandelt?Bild: AP

Mit der "Operation Rosenholz" hatten Kölner Verfassungsschützer Mitte der 1990er Jahre ihre Bemühungen beschrieben, auf offiziellem Weg an damals bei der CIA in Langley lagernde Personendateien des Staatssicherheitsdienstes der DDR zu gelangen. Es handelte sich um einen Datensatz der für die Auslandsspionage der DDR zuständigen "Hauptverwaltung Aufklärung". Diese Kartei gelangte nach dem Zusammenbruch des DDR-Regimes 1992 in die USA - unter aktiver Mithilfe eines KGB-Agenten in Berlin.

Informanten auch in Westdeutschland

Lange Zeit weigerte sich die CIA, die Rosenholz-Dateien dem wiedervereinigten Deutschland zugänglich zu machen. Doch das politische Tauziehen um die Akten fand im Juli 2003 ein glückliches Ende, als eine Kopie des Datenbestandes auf insgesamt 381 CD-ROMs an Deutschland übergeben wurde. Mit den Rosenholz-Dateien lässt sich nun noch deutlicher nachweisen, was für all jene, die es wissen wollten, auch schon früher kein Geheimnis war: Die Stasi unterhielt ein breites Netz von Zehntausenden Informanten auch in der alten Bundesrepublik. Wo auch immer sie in Aktion traten - es lief auf das Gleiche hinaus: Deutsche spionierten Deutsche aus. Juristisch gesehen ist die Aufarbeitung der Stasiunterlagen weitestgehend abgeschlossen. Moralisch jedoch geht die Aufarbeitung in eine neue Phase über, die ihren jetzigen Schub den von den USA freigegebenen Rosenholzdateien verdankt.

Zankapfel Wallraff

Die Stasiunterlagenbehörde in Berlin sieht etwa in den Dateien eindeutige Hinweise darauf, dass der westdeutsche Publizist Günter Wallraff zumindest Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre mit der Stasi im Bunde war. Wallraff gilt bislang als unerschrockener, linksintellektueller Undercover-Reporter. Mal tarnte er sich als türkischer Arbeiter Ali und mal als "Hans Esser" bei der Bild-Zeitung, um gesellschaftliche Missstände aufzudecken. Wallraff nutzte für seine Recherchen auch streng bewachte DDR-Archive, streitet aber ab, jemals eine Verplichtungserklärung gegenüber der Stasi eingegangen zu sein. "Da ich diese und andere Zustände in Westdeutschland einer großen Öffentlichkeit bekannt machen konnte, war ich natürlich für die DDR-Geheimdienste interessant", berichtet er. "Doch ich betone: meinerseits dienten die Reisen in die DDR ausschließlich für Recherchen über Texte, an denen ich arbeitete. Niemals bin ich bei meinen Kontakten zu Offiziellen der DDR irgendwelche Verpflichtungen eingegangen."

Gerechtigkeit für alle?

Das Spannende am Fall Wallraff ist ohnehin nicht mehr, wie viel Wahrheit oder Lüge in seinen Beteuerungen steckt, dient er doch als Auslöser einer bisher nicht dagewesenen gesellschaftlichen Kampagne für mehr Gerechtigkeit in Sachen Vergangenheitsbewältigung. Wallraffs schärfster Widersacher seit langem ist Hubertus Knabe. Der Historiker aus Nordrhein-Westfalen erkundete über Jahre als Mitarbeiter der Gauck- bzw. Birthlerbehörde Stasiverstrickungen westlicher Journalisten und Schriftsteller. Heute leitet er die Gedenkstätte für Stasiopfer in Berlin-Hohenschönhausen.

Knabe beobachtet mit erkennbarer Genugtuung, dass der Fall Wallraff eine Stasidebatten-Wende eingeleitet hat. "Ich habe schnell gespürt, dass es eine besondere Sensibilität auf diesem Gebiet gibt, um es mal vorsichtig zu formulieren", berichtet er von seiner Arbeit. "In meinen Manuskripten wurde herumredigiert. Bestimmte Dinge sollten so nicht formuliert werden. In einer einstweiligen Verfügung wurde mir sogar eine Geldstrafe von 500.000 Mark angedroht, sollte ich das Buch 'Die Stasi und die Westmedien' ohne vorheriger Vorlage der Behörde publizieren." Seine Manuskripte zur Tätigkeit der Stasi im Osten traf offenbar nie auf solche Schwierigkeiten. Dies scheint nun zu kippen.

Die Überprüfung der Überprüfung?

Besonders Politiker im Osten des Landes fordern nicht nur eine wiederholte Überprüfung der Mitarbeiter öffentlicher Gremien in Ostdeutschland auf Grundlage der Rosenholzkartei, sondern auch Überprüfungen in Westdeutschland oder aber gesamtdeutschen Institutionen. Die Landtagspräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht (CDU), regte schon frühzeitig eine erneute Überprüfung ihres Parlamentes an. "Jetzt haben wir Dateien, wo sehr klar ist, dass nicht nur Bürger der ehemaligen DDR betroffen sind, sondern dass auch Westdeutsche für die Stasi gespitzelt haben", so Lieberknecht. "Nach 14 Jahren deutscher Einheit ist es höchste Zeit, auch dieses Kapitel der Geschichte aufzuarbeiten."

Der Chefin der Bundesbehörde für die Stasiunterlagen, Marianne Birthler, ist indes bewusst, was da in den nächsten Monaten auf ihre Kollegen zukommen könnte. Sie hofft auf einen maßvollen Umgang mit den Rosenholzdateien. "Das ist weniger ein Akt des Misstrauens gegen den Einzelnen, als vielmehr eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber der Öffentlichkeit", so Birthler. "Ich bin selber sehr neugierig auf die Diskussion. Und ich fürchte mich auch ein wenig davor."

Vieles längst vernichtet

Um die Bearbeitung von Überprüfungsanträgen wird die Behörde nicht herumkommen. Jedoch ist nicht davon auszugehen, dass es noch eine Vielzahl von spektakulären Enthüllungen geben wird. Nach Abschluss der Rosenholz-Materialsichtung nächstes Jahr will die Behörde technische Angaben zu inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi nur dann zugänglich machen, wenn zusätzliche erhellende Unterlagen zu diesem Personenkreis aufgefunden werden. Dies ist eher unwahrscheinlich, da die eigentlichen Akten der für den Westen zuständigen Stasi-Hauptabteilung bis auf wenige Ausnahmen 1989/90 vernichtet wurden.