Internationale Friedenstruppen: Arbeiten auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner
31. Juli 2006DW-WORLD.DE: Um für Sicherheit und Frieden in Konflikt- und Kriegsregionen zu sorgen, setzt die internationale Gemeinschaft vermehrt auf den Einsatz von internationalen Friedenstruppen. Sie nennen sich UN-Blauhelme, Nato-Schutztruppen oder EU-Missionen. Doch so schön sich das in der Theorie anhört, in der Praxis stößt das Konzept auf viele Probleme. In Afghanistan werden beispielsweise ab Montag (31.7.) 18.000 Soldaten aus 37 verschiedenen Ländern unter der Führung der Nato zusammenarbeiten. Keine einfache Aufgabe, oder?
Ottfried Nassauer: Das ist keinesfalls eine einfache Aufgabe, aber die Internationalität ist natürlich auch gewollt um klarzustellen, dass es hier eine Lastenteilung zwischen den vielen Ländern gibt und dass der Einsatz auch von vielen Ländern politisch mitgetragen wird.
Mit welchen Problemen hat so eine bunt zusammengewürfelte Truppe zu kämpfen?
Wenn Soldaten aus vielen Ländern gemeinsam zum Einsatz kommen, dann gibt es natürlich Probleme mit unterschiedlichen militärischen Kulturen, mit der Führungskultur, zum Beispiel mit Auftragstaktik oder Befehlstaktik. Es gibt Probleme mit den Ausrüstungsgegenständen, die nicht immer kompatibel sind und deswegen nicht immer effizient funktionieren. Der Auftrag, den eine solche Mission hat, wird von den unterschiedlichen Ländern unterschiedlich verstanden. Afghanistan ist ein gutes Beispiel, da haben wir in Zukunft auch amerikanische Truppen in der Isaf, die von der Nato koordiniert wird. Da wird das amerikanische Verständnis, von einem robusten Kampfeinsatz zur Befriedung des Landes mit dem europäischen Ansatz, nämlich Wiederaufbauhilfe militärisch abgesichert zu betreiben, aufeinanderprallen.
Was ist mit Sprachbarrieren?
Die spielen eine sehr große Rolle. Armeen sind nicht unbedingt Fremdsprachenschulen, sondern beschäftigen sehr viele Menschen, die relativ wenige Fremdsprachenkenntnisse haben. Allgemein hat sich zwar durchgesetzt, dass Englisch die Kommandosprache ist, aber im Alltag gibt es intensivste Sprachprobleme. Die Deutschen können davon ein Lied singen: In der deutsch-französischen Brigade ist es bis heute so, dass die Sprache eines der wesentlichen Hindernisse in der Kooperation darstellt, und das, obwohl sie schon so lange existieren.
Die Praxis hat gezeigt, dass die Friedenstruppen oft nicht mit einem richtigen Mandat ausgestattet sind, um effektiv arbeiten zu können. Das traurigste Beispiel ist wohl Srebrinca, wo die UN-Blauhelme aufgrund des fehlenden Mandats nicht verhindern konnten, dass die Zivilbevölkerung massakriert wurde. Macht ein solcher Einsatz dann überhaupt Sinn?
Das Problem aller internationalen Friedenstruppen ist, dass diese nur ein Mandat bekommen können, dem alle Staaten zustimmen. Das heißt, sie arbeiten ganz oft auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner - und dieser Nenner reicht oft nicht aus. Das zeigt, was die Arbeit von internationalen Organisationen, besonders der Uno, so schwer macht. Eine internationale Organisation kann nur das tun, was ihre Mitglieder sie tun lässt. Insbesondere die USA betrachten die Aufgabe der Uno sehr kritisch und wollen deren Autorität eher zurücksetzen. Das führt dazu, dass die Uno andere militärische Organisationen internationaler Art, zum Beispiel die Nato oder die EU bittet, solche Operationen für sie durchzuführen. Das ist aber nicht im Sinne des Erfinders. Der müsste wollen, dass die Uno auch die komplexesten Aufgaben erfüllen kann und dafür die nötigen Mittel erhält.
Die amerikanischen Soldaten beispielsweise haben eine Sonderstellung: Sie genießen Immunität, um sie vor angeblich politisch motivierten Anklagen zu schützen. Untergräbt so etwas nicht das Gemeinschaftsgefühl der Truppe?
Die USA hatten immer eine Sonderstellung gefordert. Sie unterstellen ihre Soldaten nie einem Oberbefehlshaber aus dem Ausland. Auch nicht bei der Uno. Und sie akzeptieren keine internationale Gerichtsbarkeit für ihre Soldaten, sind also dem Internationalen Strafgerichtshof nicht beigetreten. In Zusammenarbeit mit anderen kann das ein Problem werden, muss aber nicht. Es kommt darauf an, ob die Soldaten sich an die völkerrechtlichen und anderen Regeln halten oder nicht.
Macht ihrer Meinung nach ein Einsatz einer Friedenstruppe im Libanon Sinn?
Im Moment wird mehr darüber geredet, als dass es faktisch umsetzbar wäre. Wenn eine solche Friedenstruppe in der Tat den Auftrag hätte, die Hisbollah und die israelischen Streitkräfte auseinander zu halten, dann müsste sie ein sehr, sehr robustes Mandat haben, damit sie nicht als einseitige Unterstützung für Israel bei der Entwaffnung der Hisbollah angesehen würde. Derzeit setzt schon ein Waffentstillstand voraus, dass die politischen Rahmenbedingungen zuvor so sein müssen, dass die Hisbollah ihr Gesicht wahren kann, gleichzeitig die libanesische Regierung gestärkt wird und Syrien sich nicht zum Eingreifen veranlasst sieht. Zweitens müsste sich eine wirklich neutrale Friedenstruppe, und da sieht man wie absurd das Ganze wird, theoretisch auch gegen potenzielle Angriffe von israelischer Seite verteidigen können. Es ist schwer vorstellbar, dass eine UN-Truppe so ausgestattet wird, dass sie auch einer High-Tech-Armee widerstehen könnte - und Israel widerum einer solchen High-Tech-Truppe zustimmen würde.
Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit internationale Friedenstruppen in Zukunft erfolgreicher arbeiten können?
Vor allem die Autorität der UNO muss gestärkt werden. Darüber hinaus bedarf es klarer Kritierien, welche Friedenseinsätze man machen will und welche nicht. Dazu gehört oft auch, dass die Einsätze nicht nur für Stabilität und Sicherheit und die Rechte von Menschen und Minderheiten sorgen, sondern vor allem, dass sie den Konfliktparteien nachhaltige wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven eröffnen. Oft wird vergessen, dass Sicherheit nicht nur eine Voraussetzung von Entwicklung, sondern auch Entwicklung eine Voraussetzung für Sicherheit ist. Wird das unzureichend beachtet, eskalieren die Konflikte wieder, oder die Staaten werden - wie auf dem Balkan - über viele, viele Jahre, von finanzieller Unterstützung abhängig bleiben.
Ottfried Nassauer ist Leiter des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (BITS) und freier Journalist